Hilfskonvoi nach Gaza: Aktivere Rolle der EU in Nahost gefordert

George Giacaman

3. Juni 2010
Von George Giacaman
Von George Giacaman

Der Angriff auf den Hilfskonvoi gibt der EU die Möglichkeit, endlich eine aktivere Rolle in Nahost zu spielen. Bis heute hat sich die EU als ausgesprochen unfähig gezeigt, wenn es darum geht, den Nahostkonflikt politisch zu beeinflussen. Nun, nach dem Angriff, ist einigen EU-Offiziellen endgültig klar geworden, dass etwas dafür getan werden muss, die Belagerung Gazas aufzuheben.

Allein der UN-Sicherheitsrat weiß nicht, was mit dem Hilfskonvoi nach Gaza geschah, was auf dem größten türkischen Schiff, auf dem es die meisten Opfer gab, passiert ist. Der Sicherheitsrat fordert, den Sachverhalt zu untersuchen. Wer weiß, vielleicht hatte das türkische Schiff, das sich in internationalen Gewässern befand, schwer bewaffnete israelische Einheiten auf ein Tässchen Mokka eingeladen und sie an Bord dann angegriffen? Zu dem, was die israelische PR-Maschine von sich gibt, nämlich dass die Einheiten das Feuer eröffneten, um sich selbst zu verteidigen und dabei zehn Zivilisten töteten, 30 verletzten, würde das gut passen.

Israels PR-Maschine

Drei Tage nach dem Zwischenfall wird in der israelischen Presse viel Kritik geübt. Einige fordern sogar den Rücktritt des Verteidigungsministers. Schnell wurde klar, dass der Schaden, den man angerichtet hatte, mögliche „positive“ Folgen weit überwog. Die Beziehungen zur Türkei, ein wichtiger Handelspartner Israels und eine kommende Macht in der Region, wurden geschädigt, und es wird viel Arbeit machen, sie wieder zu kitten. Die Belagerung Gazas machte erneut Schlagzeilen, und die Bewegung, die in vielen Teilen der Welt einen Boykott Israels fordert, gewann an Glaubwürdigkeit. Spekuliert wurde sogar darüber, dass Sanktionen gegen den Iran nun schwieriger durchzusetzen sein würden, da die Türkei sich querstellen könnte.

In der gesamten arabischen Welt herrschten Wut und Protest vor. In fast allen arabischen Hauptstädten kam es zu Demonstrationen, vielerorts wurde gefordert, die Arabische Friedensinitiative, die von der Arabischen Liga 2002 in Beirut auf den Weg gebracht worden war, zu beenden. Als erstes arabisches Land zog Kuwait, nach einem entsprechenden Beschluss des Parlaments, seine Unterstützung für die Initiative zurück.

Ägypten mit Schuld an der Lage in Gaza

Für Ägypten war der Angriff auf die Schiffe besonders beschämend, da das Land unmittelbar an der Belagerung Gazas beteiligt ist. Der einzige Grenzübergang von Gaza nach Ägypten, in der Nähe der Stadt Rafah, ist seit nunmehr drei Jahren geschlossen und wird nur gelegentlich für wenige Notfälle geöffnet. Nach dem Angriff, der in internationalen Gewässern erfolgte, erklärte Ägypten, es werde den Übergang bei Rafah bis auf weiteres öffnen. Angesichts der weitreichenden inneren Unruhen in Ägypten, an denen Gewerkschaften, Studenten und Oppositionsparteien beteiligt sind, könnte es für das Regime in Kairo gefährlich sein, den Belagerungszustand in Gaza weiter aufrecht zu erhalten. Noch mehr Zunder käme der ägyptischen Regierung sehr ungelegen.

Der Angriff auf den Hilfskonvoi gibt allerdings der EU die Möglichkeit, eine aktivere Rolle zu spielen, als bisher geschehen. Während des gescheiterten Oslo-Friedensprozesses begnügten sich die Staaten der EU damit, die Palästinensische Verwaltung finanziell am Leben zu erhalten, übten politisch aber so gut wie keinen Einfluss aus. Bis heute hat sich die EU als ausgesprochen unfähig gezeigt, wenn es darum geht, den Nahostkonflikt politisch zu beeinflussen. Nach dem Angriff ist einigen EU-Offiziellen endgültig klar geworden, dass etwas dafür getan werden muss, die Belagerung Gazas aufzuheben, da andernfalls der Nahostkonflikt dadurch in naher Zukunft mit einiger Wahrscheinlichkeit weiter angeheizt wird. Einige der Organisatoren haben bereits erklärt, dass in den nächsten Monaten ein weiterer Hilfskonvoi geplant ist.

EU - viel Geld, wenig Einfluss 

Es ist davon auszugehen, dass sich die gegenwärtige, äußerst rechtslastige Regierung Israels gegen jeden derartigen Versuch zu Wehr setzen wird. Aber Israel befindet sich jetzt in der Defensive, und kaum einer, auch viele israelische Intellektuelle nicht, glauben den Behauptungen der PR-Maschine, die verbreitet, schwerbewaffnete Einheiten, die in Verstoß gegen geltendes Recht Schiffe in internationalen Gewässern angriffen, hätten Zivilisten aus Gründen der Selbstverteidigung getötet. Bleibt abzuwarten, ob die EU diese Chance ergreifen kann, ob es ihr gelingen wird, die politische Bedeutungslosigkeit, zu der sie sich in der Vergangenheit selbst verurteilt hatte, zu überwinden.

Was die Zukunft angeht ist die Belagerung von Gaza, gleich wie unmenschlich ihre Auswirkungen auf die einfachen Menschen dort sind, gleich welches Leiden sie verursacht, nur Teil eines größeren Bildes. Sollte eine Zwei-Staaten-Lösung nicht möglich sein, wird der Konflikt anhalten und schließlich die gesamte Region aus den Fugen geraten lassen. Seit der Konferenz von Madrid, Ende 1991, war das Problem, dass sowohl die EU wie auch die meisten arabischen Staaten allein die USA am Zug gesehen haben. Das hatte, speziell unter der Regierung Bush, verheerende Folgen. Palästinensisches Land wurde weiterhin für illegale Siedlungen beschlagnahmt, und im Dezember 2008 wurde Krieg gegen Gaza geführt, auf den ein noch strikteres Embargo folgte, als das, das zuvor bereits in Kraft war. Die Regierung Bush war alles andere als der „ehrliche Makler“ als den sie sich oft bezeichnete.

Enttäuscht von Obama

Nach Obamas Amtsantritt wuchsen die Hoffnungen. Als es ihm aber nicht gelang, den Bau weiterer Siedlungen zu verhindern, schwanden diese wieder. Die indirekten, so genannten „Annäherungsgespräche“, die derzeit stattfinden, haben allein die Funktion, das politische Vakuum, das seit 16 Monaten besteht, zu füllen. Nur wenige glauben, dass aus diesen Gesprächen ein tragfähiger politischer Prozess hervorgehen wird. Viel hängt von der Rolle der USA ab, aber möglicherweise auch von der EU – sollte sie endlich den politischen Willen dazu finden.

Für die Palästinensische Verwaltung ist Obama die letzte Hoffnung. Nach 19 Jahren Verhandlungen wird es keine weiteren 19 Jahre geben. Ihre Legitimität schwindet, wie auch die Glaubwürdigkeit der Verhandlungen. Man hört bereits die Forderung, die Palästinensische Verwaltung abzuschaffen, da sie für die meisten Palästinenser ohne glaubwürdige Verhandlungen und ohne die Aussicht auf eine Zwei-Staaten-Lösung, nur eine Fassade für die Besatzung durch Israel sei.
 
Kann die EU in Nahost eine Rolle spielen?

Der Angriff auf den Hilfskonvoi hat auf tragische und dramatische Art gezeigt, wie sehr eine tragfähige Lösung des Konflikts Not tut. Sicher tragen die USA eine besondere moralische und politische Verantwortung für das bisherige Versagen, aber auch die EU und die arabischen Staaten sind nicht schuldlos. Araber und Israelis beschuldigen sich gegenseitig, keine Chance auszulassen, eine Chance auszulassen. Darf man wagen und hoffen, dasselbe werde nicht einmal auch von den großen EU-Staaten gesagt werden?

     
George Giacaman ist Mitbegründer und Generaldirektor des Palestinian Institute for the Study of Democracy (Muwatin) in Ramallah und Professor an der Birzeit University. Er ist Kolumnist für internationale und arabische Medien.

Aus dem Englischen übersetzt von Bernd Herrmann.

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