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Die schwierige „Verantwortung zu schützen“

Soll stärker werden: Internationaler Strafgerichtshof in Den Haag. Foto: ekenitr Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

15. März 2011
Joscha Schmierer

Ein beträchtlicher Teil der libyschen Bevölkerung hat offensichtlich Gründe genug, sich von der Herrschaft Gaddafis und seiner Sippschaft befreien zu wollen. Da ist die Unterdrückung, da ist die Korruption. Die Verfügung über den Reichtum aus den Öleinnahmen bleibt ganz in der Hand des Regimes. Er wird in Prestigeprojekten im In- und Ausland angelegt und für persönlichen Luxus, für Waffen und für die Unterhaltung einer Truppe, die ganz auf Gaddafi eingeschworen ist und seiner persönlichen Herrschaft dient, verschwendet.

Die wachsende, und immer jünger werdende Stadtbevölkerung ist nicht mehr zu beherrschen wie eine Stammesgesellschaft, auch wenn Stammeszugehörigkeit immer noch eine wichtige Rolle spielt. Der Aufstand gegen Gaddafi und sein Regime ist Sache der Libyer, die nicht länger Untertanen einer anachronistischen persönlichen Herrschaft sein wollen, bei der klar ist, dass die Söhne noch schlimmer sein werden als der Vater. 

Was aber gehen dieser Aufstand und Gaddafis Anstrengungen, ihn mit allen Mitteln zu unterdrücken, über die Sympathie mit den Aufständischen hinaus die internationale Gemeinschaft an? Alles, denn Gaddafi rüttelt an den Prinzipien der internationalen Ordnung.

Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung

Gaddafi ist nicht nur ein Despot mit zweifelhafter Legitimation, sondern er hat sich zum Kriegsverbrecher gemacht mit den Bombenangriffen auf Städte der Aufständischen und ihre Bevölkerung. Wenn man diesen Kriegsverbrechen nicht Einhalt gebietet, werden sie mit Gaddafis Versuch, Bengasi und andere Städte des Ostens wieder unter Kontrolle zu bekommen, ihren Höhepunkt erreichen. Die Kriegsverbrechen werden sich in einem blutrünstigen Rachefeldzug gegen die „Verräter“ immer mehr zu Verbrechen gegen die Menschheit ausweiten. Eine solche Entwicklung zu verhindern, haben sich die UN mit der responsibility to protect in dem Grundsatzdokument der Vollversammlung vom September 2005 selbst in die Pflicht genommen. Auch wenn sich jetzt alle Aufmerksamkeit auf Japan richtet, darf sich der Sicherheitsrat nicht dort seiner Verantwortung entziehen, wo er im Unterschied zu Japan etwas bewirken kann. Aber wo die Verantwortung groß ist, fällt die Entscheidung nicht leicht.

Wenn Muammar Gaddafi nur der blutrünstige Räuberhauptmann wäre, der er ist, bliebe seine Festnahme eine rein polizeiliche Aufgabe. Er käme vor ein dafür zuständiges Strafgericht und würde unter dem Gewicht der Beweise für seine Verbrechen verurteilt. Doch ist Gaddafi auch das Oberhaupt eines Mitgliedstaates der UN. Das macht die Verfolgung seiner Verbrechen und seine Festsetzung sehr viel schwieriger. Die responsibility to protect nimmt die Staaten zwar in die Pflicht, ihre Bürger vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschheit zu schützen, und verpflichtet die Staatengemeinschaft, falls ein Staat nicht willens oder fähig ist, diese Aufgabe zu erfüllen, sie an seiner Stelle zu übernehmen, notfalls unter Anwendung von angemessener Gewalt. Über Rahmen und Charakter eventueller Maßnahmen soll der Sicherheitsrat von Fall zu Fall und in Zusammenarbeit mit relevanten regionalen Organisationen entscheiden. Was heißt von Fall zu Fall im Fall von Libyen?

Die Staatsform als Festung von Despoten

Die Mitgliedschaft in der UN verpflichtet alle Staaten zur Einhaltung der Menschenrechte und zum Schutz ihrer Bürger. Die Staatsform wird aber unter Berufung auf die Souveränität und das Gebot der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten zu einem Panzer für noch so blutige Despoten, wenn sie als legitim gelten und solange sie von der Staatenwelt in ihrer Regierungsgewalt anerkannt bleiben. Dieser Panzer kann selbst in so eindeutigen Fällen wie dem von Gaddafi, der einen ursprünglich gewaltlosen Aufstand in den Städten, in denen der Aufstand gesiegt hatte, ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zusammenbomben will, als ziemlich sicher gelten.

Die Staatengemeinschaft und ihre Institutionen, in erster Linie der Sicherheitsrat, neigen dazu die Souveränität der Staatsform selbst dann noch hochzuhalten, wenn sie zu einem Schutzmantel für kriminelle Despoten verkommen ist. Diese Bedenken haben insofern eine gewisse Berechtigung, als auch die durch die UN bestens legitimierte Intervention gegen ein verbrecherisches Regime die Staatsform, derer sich das Regime bemächtigt hat, selbst erschüttern und dauerhaft schädigen kann. Auch gibt es keine Garantie dafür, dass eine militärische Intervention nicht zusätzlich zu Lasten der Zivilbevölkerung geht. Selbst bei besten Absichten kann das Ergebnis eines äußeren Eingriffes sein, dass mit der Diktatur zugleich die Ansätze von Staatlichkeit beseitigt werden. Ein Beispiel dafür ist der Irak. Da waren auch die Absichten nicht die besten, der Diktator aber wurde erfolgreich gestürzt. Doch unter den Trümmern der Diktatur wurden auch die verkümmerten und pervertierten Formen staatlicher Stabilität begraben.

Eine stärkere Rolle für den IStGH

Es müsste gelingen, Regime und Staatsform, Diktator und Staat deutlicher von einander zu scheiden als bisher. Vielleicht wäre eine stärkere Rolle der internationalen Strafjustiz dabei hilfreich. Ein Diktator muss zum Feind erklärt und bekämpft werden können, ohne ihm die Möglichkeit zu lassen, sich hinter der Souveränität des von ihm beherrschten Staates zu verstecken. Der Weg könnte über den Internationalen Strafgerichtshof in den Sicherheitsrat führen: Ein Staatsoberhaupt gegen das der Chefankläger des Internationalen Gerichtshofes ein Verfahren einleitet, müsste durch den Sicherheitsrat seines Amtes enthoben werden können. Bisher ist es umgekehrt. Der IStGH wird überhaupt erst auf Weisung des Sicherheitsrates tätig.

Natürlich würden sich auch auf dem Weg einer unabhängigen, rechtsförmigen Wahrheitsfindung Hindernisse auftürmen. Bekanntlich sind China, Russland und die USA sowie andere wichtige Mitgliedsstaaten der UN dem Abkommen über den Internationalen Strafgerichtshof nicht beigetreten. Es liegt nicht im Interesse der Mächte eine unabhängige internationale Strafgerichtsbarkeit zu stärken. Da in vielen Mitgliedstaaten das herrschende Regime sich für den Staat selbst hält und jede Intervention gegen sich als einen Anschlag auf den Staat versteht und ausgibt, sind sie wenig geneigt, internationalen Institutionen ein Urteil über das Regime und seines Chefs einzuräumen. Die Delegitimierung eines Diktators durch die internationale Strafjustiz entzöge dem Regime den Rechtsboden und erschwerte es dem Sicherheitsrat, tatenlos zuzusehen, wie ein Despot Volk und Staat zugrunde richtet.

Doch selbst wenn all diese Hindernisse genommen wären, bliebe immer noch die Frage, wer die Konsequenzen aus den internationalen Verfahren und Entscheidungen zieht und zu handeln bereit ist. Auf die Anklage gegen den sudanesischen Diktator vor dem Internationalen Strafgerichtshof und dem Haftbefehl, den der IStGH gegen ihn erließ, ist bisher noch keine Festnahme gefolgt, obwohl Bashir seither einige Auslandsbesuche durchgeführt hat.

Sehr spät, wahrscheinlich zu spät, hat die Arabische Liga sich an den Sicherheitsrat gewandt mit der Aufforderung über Libyen ein Flugverbot zu verhängen. Zugleich fordert sie, die Souveränität und territoriale Integrität Libyens müsse gewahrt bleiben. Außenminister Westerwelle hat auf diesen Widerspruch im Beschluss der Arabischen Liga hingewiesen, der ein bisschen dem Motto zu folgen scheint, wascht ihm den Pelz, aber macht ihn nicht nass. Mit seiner Kritik versuchte er die Aufforderung zu entwerten. Das ist falsch. In diesem Widerspruch zeigt sich die Hoffnung, den Diktator treffen zu können, ohne den Staat vollends kaputt zu machen. Natürlich wäre die Durchsetzung eines Flugverbots über Libyen ein Eingriff in die Souveränität, aber er müsste nicht auf eine dauerhafte Schädigung der Staatsform hinauslaufen, wenn er trotz guter militärischer Gründe eine auch nur vorübergehende teilweise oder vollständige Besetzung des Landes vermeidet.

Die Einrichtung der Flugverbotszone müsste mit der Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand und der Aufnahme von Verhandlungen über die Zukunft des Landes verbunden werden, auf die einzugehen, so sieht es aus, wohl keine der beiden Seiten des Bürgerkrieges gegenwärtig bereit ist. Hier können die bereits beschlossenen Sanktionen weiteren Druck erzeugen. Die responsibility to protect soll Kriegsverbrechen unterbinden, nicht aber für Chancengleichheit bei der Fortsetzung des Krieges sorgen.

Joscha Schmierer

Jeden Monat kommentiert Joscha Schmierer aktuelle außenpolitische Themen. Der Autor, freier Publizist, war von 1999 – 2007 Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amts.

 

Dossier

Die Bürgerrevolution in der arabischen Welt

Die Massenproteste in Tunis und Kairo haben die alten Regime in Tunesien und Ägypten hinweggefegt. Die Demokratiebewegung in Tunesien und Ägypten hat eine politische Wende herbei geführt, die das Tor zu einer demokratischen Entwicklung in der Region weit aufgestoßen hat. Aus dem Funken ist ein Lauffeuer geworden, in Algerien, Marokko, Jemen, Bahrain, Jordanien und Libyen gehen Bürgerinnen und Bürger auf die Straße und fordern die Machthaber heraus. Die Heinrich-Böll-Stiftung begleitet die aktuellen Entwicklungen mit Analysen, Kommentaren und Interviews:
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