Bisher waren die Orthodoxen, die Ultraorthodoxen und die arabischen Israelis von der Wehrpflicht in der israelischen Armee ausgenommen. Noch während des Unabhängigkeitskriegs 1948 hatte die sich gerade bildende Regierung einen bestimmten Prozentsatz der Ultraorthodoxen ("Haredim") durch einen Erlass vom Wehrdienst befreit. Sie sollten sich ausschließlich dem Studium der Thora widmen können. Damals handelte es sich um 400 Männer im wehrpflichtigen Alter. Heute sind es Tausende, den religiösen Parteien in der Knesset war es seit den 1970er Jahren gelungen, immer weitere Ausnahmeregelungen für Ultraorthodoxe durchzusetzen.
Doch nicht nur deshalb steht die Regierung Netanyahu vor einem fast unlösbaren Dilemma. Im Februar diesen Jahres hat der Oberste Gerichtshof das sogenannte Tal Law, das den Umgang mit den Frommen regelte, als verfassungswidrig erklärt. Eine Kommission unter der Leitung des Knesset-Abgeordneten Yohanan Plesner (Kadima) sollte Lösungsvorschläge erarbeiten, die auf der einen Seite die Sonderrolle der Haredim weiter berücksichtigten und auf der anderen Seite sowohl den Auflagen des Gerichts wie der Stimmung der säkularen Israelis gerecht werden sollten. Netanyahu will es sich weder mit den orthodoxen Parteien verderben (auf die er unter Umständen in einer nächsten Koalition angewiesen sein könnte), noch mit den Kritikern der Wehrdienstbefreiung, zumal Kadima mit der Aufkündigung der Koalition gedroht hat.
An der Umsetzungsmöglichkeit der bisherig vorgeschlagenen Lösungen (Heraufsetzung des Einzugsalters, Quotenregelung je nach Gemeindezugehörigkeit) kamen sofort gewichtige Zweifel auf. Zugleich begann eine intensive Debatte über den Charakter und die Zukunft der Armee, die bisher als Kern israelischer Identität galt und als „melting pot“ der unterschiedlichen (jüdischen) Bevölkerungsgruppen. Die bisherigen Erfahrungen mit den Orthodoxen, die bereits im Militär dienen, lassen vermuten, dass der Charakter der Armee sich grundlegend verändern könnte, würde der Einfluss der Religiösen zunehmen. Es zeigte sich, dass es unerwartete Schwierigkeiten der Integration der Frommen in den Alltag und in die bestehende Ordnung des Militärs geben wird.
Insgesamt kritischer sehen die Stimmen aus den wiedererstandenen Sozialprotesten die Rolle der Armee in der israelischen Demokratie. Eine weitere Frage ist die Präsenz von Frauen im Militär. Gegenwärtig geht nur 1/3 der orthodoxen Frauen zum Militär (bei dem Rest der jüdischen Bevölkerung sind es 94%). Um ihnen entgegen zukommen, wurde bereits Ende der 1940er Jahre der nationale Zivildienst („shirut leumi“) eingeführt. Entscheidender allerdings ist nicht nur diese geschlechterspezifische Zurückhaltung, sondern die Reaktionen der Haredim auf die Soldatinnen. Sie fordern eine strikte Geschlechtertrennung und haben vor einiger Zeit einen Skandal entfacht, als sie sich weigerten, bei offiziellen Feiern gemeinsam mit Frauen zu singen.
Anders verläuft die Debatte der Wehrpflicht bei der arabischen Minderheit. Hier steht der jüdische Charakter des Staates Israel zur Debatte und damit die Loyalitätsfrage, sowie die der staatsbürgerlichen Gleichstellung der palästinensischen Bevölkerung. Den nationalen Zivildienst auf die palästinensischen Bürgerinnen und Bürger auszuweiten, soll dieses Dilemma lösen helfen. Dies stößt auf palästinensischer Seite auf deutliche Vorbehalte.
Wie geht es nun weiter? Netanyahu gab zu verstehen, dass er die Ergebnisse der Plesner-Kommission nicht zur Abstimmung stellen wird. Ein Alternativvorschlag wurde aus den Reihen des Likud von Vizepremierminister Moshe Ya’alon erarbeitet. Ein zentraler Streitpunkt bleibt weiterhin das Alter, ab dem die Männer eingezogen werden sollen. Es differiert zwischen dem 22. und 26. Lebensjahr.
Die für Sonntag, den 15. Juli vorgesehene Abstimmung wurde vertagt, hinter den Kulissen wird fieberhaft an einer Lösung gearbeitet, die die Koalition nicht sprengt. Sicher ist zurzeit nur, dass die Regierung vor der Sommerpause, die am 25. Juli beginnt, einen Kompromiss gefunden haben muss. Am 1. August läuft die Frist, die der Oberste Gerichtshof gesetzt hat, aus.
--