Am 10. Dezember 2012 ging die Bolsa Verde do Rio de Janeiro, kurz BVRio, offiziell an den Start. Die Befürworter sehen in der BVRio den Weg, Brasilianische Großgrungbesitzer und Konzerne dazu zu bewegen, Umweltgesetzgebungen einzuhalten. Für Kritiker/innen, ist die Handelsplattform für Umweltleistungen BVRio der Anfang vom Ende rechtsverbindlicher Umweltgesetzgebung. Sie leitet eine Ära ein, in der in Demokratien auch auf dem Papier nicht mehr alle gleich sind vor dem Gesetz, denn die BVRio ermöglicht es Landbesitzern, sich von der gesetzlichen Verpflichtung, einen bestimmten Anteil ihres Landes in naturnahem Zustand zu erhalten, freizukaufen. Mindestschutzanforderungen werden so zu Obergrenzen für Naturschutz: Landbesitzer, die mehr als die gesetzlich vorgeschriebene Mindestfläche geschützt haben, können diese nun als Schutzzertifikat verkaufen. Damit erhält der Käufer des Zertifikates das Recht, weniger als die gesetzlich vorgeschriebene Mindestfläche zu schützen.
Auch der Handel mit Abwasserzertifikaten wird von der BVRio erwogen: Statt Abwasser zu reduzieren, sollen Fabriken die Möglicheit erhalten, Wasser weiterhin mit Giften über der gesetzlichen Obergrenze zu verschmutzen, solange eine andere Fabrik an einem anderen Ort die gesetzliche Obergrenze unterschreitet und für die Differenz zum gesetzlich erlaubten Grenzwert dann Abwasserzertifikate zum Verkauf anbietet. Geplant sind laut BVRio auch der Handel mit Abfallzertifikaten und Emissionszertifikaten von Klimagasen, ähnlich dem Handel mit Emissionszertifikaten im Kioto Protokoll, dem internationalen Klimaabkommen.
Was als effizientes Instrument verkauft wird, um die Einhaltung von Umweltgesetzgebung zu verbessern, entpuppt sich als gefährlicher Rückschritt: Bisher legten Umweltgesetze fest, dass ein Landbesitzer eine bestimmte Fläche seines Landes in naturnahem Zustand erhalten, oder dass ein Unternehmen bestimmte Abwasserobergrenzen einhalten muß. Doch statt, wie bisher üblich, die Einhaltung dieser Grenzen der Verschmutzung oder Zerstörung von jeder Fabrik oder jedem Landbesitzer zu verlangen, erlaubt zum Beispiel die kürzlich überarbeitete Waldgesetzgebung in Brasilien die Auslagerung der Schutzverpflichtung auf Land anderer.
Schon wurde von ersten spekluativen Landkäufen in abgelegenen Amazonasregionen berichtet, deren primäres Ziel nicht die Nutzung des Landes, sondern der Verkauf von Waldschutzzertifikaten ist. Die Waldschutzzertifikate aus den abgelegenen Regionen erlauben dann Landbesitzern in den Zentren der Waldzerstörung im Amazonas, weiterhin mehr Wald zu zerstören als das Gesetz erlaubt. Was bisher illegal war - das Fehlen von Schutzflächen auf dem eigenen Land - wird durch den Erwerb von Waldschutzzertifikaten legitimiert, selbst wenn diese aus Gegenden stammen, in denen gar keine Entwaldung geplant war.
Links:
Heinrich-Böll-Stiftung (publication): An Analysis of the Brazilian Development Model -Inside a Champion. (Deutsch & Englisch)
Jutta Kill arbeitet für FERN.