
Ales Bialiatski wurde 2012 in Abwesenheit der Petra-Kelly-Preis der Heinrich-Böll-Stiftung verliehen. Im Juni 2014 kam der belarussische Menschenrechtler, Vorsitzender der Organisation „Viasna“, nach fast drei Jahren in politischer Gefangenschaft frei. Am 22. Januar 2015 war Ales Bialiatski Gast einer Diskussionsveranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.
Boell.de: Ales, nach Ihrer Freilassung haben Sie praktisch gleich Ihre Arbeit wieder aufgenommen waren viel unterwegs, in Belarus und in ganz Europa.
Ales Bialiatski: Ja, nach meiner Freilassung musste ich mich schnell wieder an das zivile Leben gewöhnen, alles veränderte sich, ich hatte wenig Zeit zum Reflektieren. Ich habe das öffentliche Leben neu analysiert, von dem ich ja im Gefängnis abgeschnitten war – trotz Zeitunglesen und Briefkontakten.
Europäische Beamte und Vertreter der Internationalen Gemeinschaft hatten großes Interesse an dem was ich zu erzählen hatte. In den letzten sechs Monaten bin ich sehr viel gereist, habe gesprochen, erklärt und Fragen zu meiner Freilassung und zum politischen Geschehen in Belarus beantwortet.
Mehrere internationale Menschenrechtsgruppen berichten von Gesprächen in Brüssel über eine Rückkehr zur „Tauwetter“-Periode in den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Belarus, so wie zwischen 2008 und 2010. Was ist Ihr Eindruck?
Brüssel nimmt die neuen Initiativen des belarussischen Außenministers Makei vorsichtig auf. Dieser trifft sich mittlerweile sehr aktiv mit vielen Repräsentanten europäischer Institutionen um das Bild von Belarus in Europa zu verbessern. Seine Bemühungen hängen freilich vor allem mit der alarmierenden Wirtschaftslage des Landes zusammen. Die Regierung benötigt dringend neue Kredite, um allen Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können.
Der zweite Grund sind die Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr. Die belarussische Regierung möchte den Westen nach der Nicht-Anerkennung der letzten Wahlergebnisse besänftigen und eine Aufhebung der EU-Sanktionen gegenüber denjenigen Regierungsvertreter/innen erreichen, die Verantwortung für die damaligen Regelverletzungen und Repressionen gegen die Oppositionellen tragen. Sie verspricht nun in Europa die Lösung dieser Probleme.
Auch der russisch-ukrainische Konflikt spielt eine Rolle. Dass die Verhandlungen in Minsk geführt wurden, wird als besonderes Verdienst der Belarussen dargestellt. Ich glaube allerdings nicht, dass Belarus in diesen Verhandlungen eine signifikante Rolle gespielt hat. Minsk war nur der Ort, mehr nicht. Die russische Führung hat den für sie vorteilhaften Ort gewählt, weil sie Belarus fast für ihr eigenes Territorium hält.
In Brüssel schaut man aber schon genauer hin, was in Belarus passiert und glaubt nicht einfach den Worten der Regierung, von der man substanzielle Schritte der Demokratisierung des Landes erwartet. Als allererstes ist hier die Freilassung der noch verbliebenen sechs politischen Häftling zu nennen, aber auch ein Ende der Verfolgung von Sozialaktivisten und mehr Freiheit für Medien. Und hier hat sich die Situation in den letzten Monaten verschlechtert.
Hier zeigt sich, dass die Image-Verbesserung im Ausland eben nur die Aufgabe des Außenministeriums ist. Andere Behörden des Landes, insbesondere das Innenministerium und die Geheimdienste, arbeiten freilich mit einem anderen Auftrag – nämlich die Wahlen in dem Sinne vorzubereiten, dass bis dahin keine unkontrollierten sozialen Aktivitäten stattfinden können. Es ist klar, wer diese inkompatiblen Aufträge an die verschiedenen Behörden vergibt …
Auch wenn einige EU-Offizielle optimistisch sein mögen – signifikante Veränderungen der EU-Belarus-Beziehungen erwarte ich angesichts immer neuer Meldungen über Repressionen gegenüber Menschenrechtlern und Journalisten nicht.
Wenn sich die Situation in Belarus nicht bessert, wie bewerten Sie Dann die Effektivität der EU-Sanktionen?
Die Sanktionen haben mehr symbolischen Charakter. Sie sind ein politisches Signal: solange die Zivilgesellschaft in Belarus verfolgt wird, sind die Verfolger auf dem Territorium demokratischer Staaten unerwünscht. Das ist quasi eine etwas strengere diplomatische Note an die belarussische Regierung. Ich denke, diese Sanktionen sind ein Mittel, das das Ausmaß der Repressionen in Belarus begrenzt. Einige Dutzend politische Gefangene wurden nach der Einführung der Sanktionen frei gelassen. Deshalb glaube ich, dass solche Sanktionen ein vernünftiges Instrument für Fälle von erheblichen Verletzungen nationaler und internationaler Standards sind.
Die Krise der russischen Wirtschaft trifft im Gefolge auch Belarus. Wie wird das die Lage im Land beeinflussen?
Die Wirtschaftslage verschlechtert sich, da Belarus aufgrund der bewussten geopolitischen Orientierung an Russland stark von der russischen Volkswirtschaft abhängt. Je weniger abhängig wir von unserem unberechenbaren Nachbarn im Osten wären, desto stabiler wäre unsere Wirtschaft. Vor allem – das wissen alle, die die internen Entwicklungen in Russland beobachten – sind dort demokratische Institutionen schwach und alles kann sich jeden Moment komplett wenden. Das kann man seit einiger Zeit beobachten. Demokratische Freiheiten wurden stark eingeschränkt und das Land wandelt sich zu einem klassischen autoritären Staat. Es gibt für Belarus keine Hoffnungen für gutnachbarschaftliche Beziehungen mit einem solchen Land.
Für Russland gehen geopolitische und ökonomische Interessen vor und demokratische Werte und Menschenrechte spielen keine Rolle bei der Bildung politischer Allianzen. Dass die russische Wirtschaftskrise Belarus so hart trifft ist das Ergebnis der kurzsichtigen Politik der belarussischen Regierung. Man braucht nicht weit zu schauen: Polen, Litauen, Lettland. Europa ist ein Raum der historisch, mental und kulturell immer mit Belarus verbunden war, mit der Ausnahme der Jahre der Besetzung durch das russische Imperium und der UdSSR, des „Gefängnis der Nationen“. Die Europäische Union hat bestimmte Regeln, die Verantwortlichkeit und Transparenz der Regierungsführung erfordern. Sie bringt ihren Bürgern mehr Respekt entgegen. Die fehlende Bereitschaft der belarussischen Regierung sich in diese Richtung zu orientieren wird das Land sozial, ökonomisch und politisch schwer treffen.
Die Empirie zeigt, dass eine Verschlechterung der der sozialen und ökonomischen Probleme die Aktivität der Gesellschaft erhöht, da die Menschen sozial weniger abgesichert sind. Es gibt auch schon neue Gesetze, die diese Absicherung weiter reduzieren. Einkommen verringern sich durch Inflation. Die Erfahrung der späten 80er und frühen 90er zeigt, dass eine andauernde ökonomische Krise unabhängig von der Aktivität der Regimeopposition erhebliche soziale Veränderung mit sich bringt. Massenproteste lassen sich nicht stoppen, wenn hunderttausende Menschen für Freiheit, Demokratie und soziale Rechte auf die Straße gehen. Dann wird die ganze Gesellschaft zum Gegner der Regierung.
Was erwarten Sie vom Jahr 2015, dem Jahr der Präsidentschaftswahlen?
Wir können nichts Gutes erwarten. Das pessimistische Szenario ist verbunden mit einer allgemeinen Verarmung, komplexen ökonomischen Problemen und einem Anziehen der Schrauben in der ganzen Gesellschaft. Es gibt alarmierende Signale, dass die Verschlechterung der Wirtschaftslage die Regierung zu noch drakonischeren Einschränkungen der Menschen- und Freiheitsrechte greifen lassen wird. Als Menschenrechtler müssen wir hier sehr wachsam sein und die Dinge benennen. Dasselbe gilt für die unabhängigen Journalisten.
Die Wahlen werden wohl nach dem altbekannten Szenario ablaufen. Das Ergebnis wird wieder so manipuliert werden, dass Aliaksandr Lukashenka mehr als 80% „Unterstützung“ für sich verbuchen wird. Das kann die EU nicht anerkennen und stellt eine Belastung der Beziehungen zur EU dar. Dementsprechend kann Belarus nicht mit Wirtschaftshilfe aus Europa rechnen.
Wenn wir über ein optimistisches Szenario sprechen, dann hängt dies zuvorderst von den Belaruss/innen selbst und ihrer Bereitschaft zur Verteidigung ihrer Rechte ab. Das gilt im Übrigen weltweit: Keiner soll glauben, Russland oder Europa oder jemand anderes wird die eigenen Probleme lösen. Die Probleme müssen wir selbst lösen, das ist meine tiefe Überzeugung.
Das Interview wurde übernommen von der Webseite der belarussischen Menschenrechtsorganisation „Viasna“, wo es am 6. Januar 2015 veröffentlicht wurde. Übersetzung: Robert Sperfeld