USA: Der Angriff auf Immigrant*innen ist ein Lackmustest für die Demokratie

Analyse

Die USA stehen derzeit an einem Scheideweg: In einer Nation, die einst beim Thema Flüchtlingsschutz weltweit führend war, häufen sich nun Rechtsverletzungen, Gesetze werden ausgehöhlt und eine harte Einwanderungspolitik bedroht sowohl gefährdete Bevölkerungsgruppen als auch demokratische Grundsätze.

Ein Abschnitt des Grenzzaunes zwischen den USA und Mexico.
Teaser Bild Untertitel
Die Mauer an der US-Grenze zu Mexiko ist ein Schlüsselelement der rechten Narrative über Einwanderung.

Nur wenige Länder verkörpern die Widersprüche von Vertreibung und Migration so anschaulich wie die Vereinigten Staaten. Jahrzehntelang nahmen die USA weit mehr Umsiedlungsflüchtlinge auf als jede andere Nation der Welt – Verfolgte, die nach ihrer Flucht in einem anderen Land in der Schwebe lebten, bis sie in den USA dauerhafte Sicherheit fanden. Das Land gewährte vorübergehenden Schutz für Millionen von Menschen, die durch plötzliche Krisen oder Instabilität aus ihren Heimatländern vertrieben wurden. Bis zum letzten Herbst zum Beispiel hatten etwa 200.000 Menschen aus Haiti und fast 350.000 Geflüchtete aus Venezuela aufgrund der anhaltenden dortigen Konflikte und Instabilität vorübergehenden Schutzstatus in den USA.

Zugleich erfahren aber Tausende, die an den US-Grenzen ankommen, das Trauma eines ausgedehnten Abschiebehaftsystems und eines undurchschaubaren, maroden Einwanderungsverfahrens, und zwar unabhängig davon, welche Partei gerade das Weiße Haus kontrolliert. Aufgrund von Bearbeitungsfehlern oder systematischen politischen Maßnahmen wurde vielen das Recht auf Asyl schlichtweg verweigert, was eine direkte Verletzung des Völkerrechts darstellt. Den sogenannten Dreamers – jungen Menschen, die als Kinder in die USA gebracht wurden und keine andere Heimat kennen – wurde wiederholt die Einbürgerung verwehrt. Es gibt unzählige Widersprüche.

Die USA befinden sich an einem Wendepunkt, auch in ihrem Selbstverständnis als Einwanderungsland.

Der Juni ist in den USA Immigrant Heritage Month. Dieses Jahr wird der 25. Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen begangen. Doch in den letzten Wochen kam es zu beispiellos weitreichenden und gnadenlosen Massenabschiebungen. Dagegen regte sich eine Welle des zivilen Widerstands zur Unterstützung von Einwanderergemeinschaften. Die USA befinden sich an einem Wendepunkt, nicht nur in ihrer Flüchtlings- und Einwanderungspolitik und -praxis, sondern auch in ihrem Selbstverständnis als Einwanderungsland. Seit Jahren sind schutzbedürftige Einwanderer*innen der Sündenbock der politischen Rechten. So ebnete sie den Weg für eine Regierung, die drakonisch durchgreift, nicht nur gegen Geflüchtete und Einwanderer*innen, sondern auch deren Familien (mit gemischtem Status) und Menschen, die in ihrer Nachbarschaft leben und sich für sie einsetzen.

Die stetige Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit ist nicht mehr zu übersehen

Aber auch etwas Größeres ist in Gefahr. Angriffe auf Geflüchtete und Einwanderer*innen äußern sich nicht mehr nur in Form weiterer rechtlicher Hürden oder offensichtlicher Schutzverweigerung. Die Politik der Trump-Regierung untergräbt die Rechtsstaatlichkeit in ihren Fundamenten und schafft so einen Lackmustest dafür, was ein demokratisches System angesichts solch unerbittlicher Angriffe aushalten kann. Diese Entwicklungen sind eine Warnung – und andere Demokratien müssen sie zur Kenntnis nehmen.

Jedes Jahr gibt es mehr Vertriebene weltweit. Zum Ende des Jahres 2024 waren es über 123 Millionen. Zugleich wurde es rapide schwieriger, in den Vereinigten Staaten Schutz zu finden. Die erste Trump-Regierung schaffte das Programm für Umsiedlungsflüchtlinge ab und verwehrte gegen Ende ihrer Amtszeit praktisch jeden Zugang zu Asyl an den US-Grenzen. Die Verleumdung von Menschen, die vor Verfolgung fliehen, wurde salonfähig. Die Biden-Administration stellte das Programm für Umsiedlungsflüchtlinge wieder her, versuchte neue Programme einzurichten, um einigen Menschen die Einreise in die USA zu ermöglichen, und nahm viele der ungeheuerlichsten flüchtlings- und einwanderungspolitischen Maßnahmen der Trump-Regierung zurück oder versuchte sie zu korrigieren

Diese Maßnahmen litten jedoch unter der Untätigkeit des Kongresses. Und da die Themen Migration und Asyl zunehmend an Brisanz gewannen, zögerten selbst die Demokraten, bei einigen von Trumps eklatantesten illegalen Maßnahmen gegen das Asylrecht das Ruder herumzureißen. Ein Beispiel: Biden brauchte Jahre, um Trumps berüchtigte „Title 42“-Politik zu beenden, bei der unter dem Vorwand der öffentlichen Gesundheit und Seuchenprävention Menschen nach Mexiko zurückgewiesen werden konnten, ohne jegliche Prüfung, ob ein Asylfall vorliegen könnte. Als dies schließlich rückgängig gemacht wurde, erließ die Biden-Regierung stattdessen weitere Maßnahmen, die den Zugang zu Asyl stark einschränkten.

Die Unfähigkeit der USA, bei der Wahrung internationaler Schutzmaßnahmen eine Führungsrolle zu übernehmen, und die Ohnmacht des Kongresses, sinnvolle Reformen zu verabschieden, führten letztlich dazu, dass eine unwahre und angstbehaftete Rhetorik über Einwanderung den öffentlichen Diskurs beherrschen konnte. Auch wenn auf kommunaler und bundesstaatlicher Ebene noch zahlreiche Gemeinschaften weiterhin Neuankömmlinge willkommen heißen, ist es immer schwieriger geworden, den rechten einwanderungsfeindlichen Narrativen beizukommen.

Die Verweigerung der verfassungsmäßigen Rechte von Einwanderer*innen gefährdet die Rechte aller 

Erdreistet durch die öffentliche Stimmung hat die Trump-Regierung in zahlreichen Einwanderungsfällen rücksichtslos gegen US-Recht verstoßen. Wenn die US-Regierung Menschen ohne die Möglichkeit zur Berufung in ein brutales salvadorianisches Gefängnis abschiebt und sich dann offen den Gerichten widersetzt, die die Rückführung der unrechtmäßig Abgeschobenen fordern, schafft dies einen gefährlichen Präzedenzfall. Wenn der US-Präsident nur wenige Tage später die Idee äußert, es könnten ja auch US-Bürger*innen im Ausland inhaftiert werden, ist die stetige Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit nicht mehr zu übersehen.

Die Frage nun nicht mehr, wann der Rechtsstaat versagen wird, sondern wie weit.

In dieser neuen Ära werden Menschen absichtlich und systematisch von der Straße aufgegriffen. Ob internationale Studierende oder alteingesessene Mitglieder der Gemeinde, Menschen werden im öffentlichen Raum, bei verpflichtenden gerichtlichen Vorladungen, am Arbeitsplatz oder in Schulen zur Zielscheibe eines Systems, das Terror und Angst stiften will. Sofern der Kongress nicht tätig wird, sind die Gerichte die letzte Instanz, die sich noch gegen dieses Vorgehen wehren können. Angesichts der fadenscheinigen rechtlichen Argumentation der Trump-Regierung – oder ihrer völligen Missachtung unliebsamer Urteile – ist die Frage nun nicht mehr, wann der Rechtsstaat versagen wird, sondern wie weit.

Der Schaden für die Sicherheit und das Wohlergehen der Einwanderergemeinschaften in diesem Land ist bereits immens. Viele Expert*innen warnen jedoch, dass die Verweigerung der verfassungsmäßigen Rechte von Einwanderer*innen durch die Trump-Regierung die Rechte aller gefährdet. Die Regierung reagiert auf die zunehmenden Proteste mit aggressiver Eskalation, darunter auch der nahezu beispiellose Einsatz des Militärs im Inneren des Landes. Ob die US-Demokratie diese Prüfung besteht, hängt nun davon ab, ob die bereits erwähnten Gerichte und die Zivilgesellschaft als letzte Bastion gegen illegale Übergriffe halten können. 

Andere Länder, insbesondere die liberalen Demokratien in Europa, sind zumindest für den Moment noch ein Bollwerk gegen die weltweit zunehmenden autoritären Tendenzen. Sie sollten dieses warnende Beispiel aufmerksam verfolgen. Die Vermeidung und die Eindämmung globaler Vertreibung sind keine einfachen Aufgaben. Aber Migration und Sicherheit haben sich nie gegenseitig ausgeschlossen. Das Beispiel der USA zeigt, dass migrations- und flüchtlingsfeindliche Rhetorik und Politik nicht nur den Schutzbedürftigsten unter uns schaden, sondern auch den Weg für einen gefährlichen demokratischen Rückschritt ebnen. 


Dieser Text erschien zuerst zum Weltflüchtlingstag am 20.Juni 2025 auf der Seite des Büros Washington, DC der Heinrich-Böll Stiftung.
 

Zum Warenkorb hinzugefügt: