Eine wählenswerte Zukunft? Zum Bericht des High-Level Panel on Global Sustainability

Logo zum Bericht "Resiliant People, Resilient Planet - A Future Worth Choosing". Quelle: Offizielle Pressemeldung zur Veröffentlichung.

29. März 2012
Lili Fuhr
Die Erwartungen an den so genannten „zweiten Brundtland-Bericht“, den Bericht des von Ban Ki-moon eingesetzten High-Level Panels on Global Sustainability, waren hoch. Unter dem Titel „Eine Zukunft, die es zu wählen lohnt“ legt das hochrangig besetzte Gremium zwar eine gute Analyse des bisherigen Scheiterns vor. Die vorgeschlagenen politischen Instrumente und dahinterliegende Annahmen allerdings zeigen zahlreiche Widersprüche auf.

Warum funktioniert Nachhaltigkeit nur in der Nische und nicht im Mainstream? Die Analyse des Berichts ist klar: erstens fehlte der politische Wille und zweitens (dieses Argument wird, wie in dem Bericht betont wird, mit “wirklicher Leidenschaft vorgetragen”) wurde das Konzept nachhaltiger Entwicklung bisher nicht in den Mainstream nationaler und internationaler Wirtschaftspolitiken eingebaut. Schuld seien unsere nicht-nachhaltigen Lebensstile und Konsummuster. Bei den Schlussfolgerungen aus dieser Erkenntnis wird der Bericht leider seinem eigenen Anspruch nicht gerecht und lässt sich in vielen Punkten nicht anders als eine lange und bunte “Wünsch-Dir-Was-Liste” beschreiben – bei der viele Wünsche nicht einmal miteinander kompatibel sind.

Widersprüchliche Instrumente

Beispielsweise das Recht auf Nahrung und Entwicklungschancen für die kleinbäuerliche Landwirtschaft auf der einen Seite und der Ruf nach einer zweiten “ever-green” Revolution in der Landwirtschaft. Die erste Grüne Revolution hat durch Erhöhung des Dünge- und Pestizideinsatzes sowie die Verdrängung kleinbäuerlicher Strukturen durch großtechnologische Innovationen und Betriebe Millionen von Menschen in den Hunger getrieben, Existenzen und natürliche Lebensgrundlagen zerstört. Dabei ist es spätestens seit dem Erscheinen des „Weltagrar-Berichts“ (IAASTD) klar, dass wir nicht einfach mehr produzieren müssen − gar durch Einsatz von Gentechnik oder einfach durch eine verstärkten Einsatz von fossilem Dünger, sondern anders, beispielsweise Lebensmittel besser verteilen und Nachernteverluste reduzieren.

Ein anderer Widerspruch findet sich beim Schutz der Umwelt und der Sicherung der Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung auf der einen Seite und dem Ruf nach besserem Schutz für (ausländische) Investoren auf der anderen Seite. So wird es beispielsweise unmöglich gemacht, transnationale Konzerne aufgrund ihrer möglichen Verletzungen von Menschenrechten, Umwelt- oder Sozialstandards vor Ort zur Rechenschaft zu ziehen.

Auch steht das Anerkennen der “Planetary Boundaries” und “Tipping Points” – also der natürlichen Grenzen unseres Planeten und seiner Belastbarkeit – einem Festhalten am Wachstumsmodell ganz grundsätzlich entgegen. Ein mehr an Effizienz löst nicht das Problem endlicher Ressourcen. Diese Erkenntnis oder zumindest ein Hinweis auf die Debatte fehlt im Bericht vollkommen.

Problematische Annahmen

Eine Reihe von problematischen politischen Annahmen durchzieht nicht nur diesen Bericht, sondern findet sich in nahezu allen Berichten, Vorschlägen und Diskussionen von Rio2012 über die Klimaverhandlungen bis zu den G20. Hierzu zählen zum Beispiel Public Private Partnerships als Allheilmittel angesichts knapper öffentlicher Kassen und großer (auch finanzieller) Herausforderungen sowie die bessere Wirksamkeit freiwilliger Selbstverpflichtungen gegenüber verbindlicher Regulierungen, zum Beispiel bei Klimaschutz oder Menschenrechten.

Ein weiteres Paradigma der Green Economy, das sich auch im Bericht des High-Level Panel findet, ist das Setzen auf reine Marktmechanismen und der Einsatz von Finanzmarktprodukten zur Lösung der gegenwärtigen Umweltkrisen. Für weite Teile der brasilianischen Zivilgesellschaft ist dieser Ansatz unter dem Schlagwort “Financialisation of Nature” ihr wichtigster Reibungspunkt mit der Green Economy”. Sie sehen eine große Gefahr darin, dass der Handel und die Spekulation mit neuen CO2-Zertifikaten auf Wald und Boden die Rechte der dort lebenden Bevölkerungsgruppen massiv einschränken und faktisch keinen Beitrag zum Schutz der Umwelt leisten wird – sondern schlimmstenfalls Vertreibung, Verluste und Monokulturen zur Folge hat.

Mainstream frisst Nachhaltigkeit

Angesichts all dieser Schwachstellen und Widersprüche ist es leicht, die positiven Ansätze im Bericht zu übersehen. Natürlich ist es zu begrüßen, wenn wir umweltschädliche Subventionen abbauen, unsere Ressourcen effizienter nutzen und über einen alternativen Wachstumsindikator nachdenken. Aber wenn wir tatsächlich Nachhaltigkeit (und Gerechtigkeit) in den Mainstream der Wirtschaftspolitik bekommen wollen, dann ist es doch schon mehr als erstaunlich, dass sich dieser Bericht in keinster Weise mit der Ausgestaltung unseres Finanz-, Investitions- und Handelsregimes befasst. Letztlich bleibt nach dem Lesen dann doch kaum mehr als Frust sowie ein fahler Geschmack, dass hier der Nachhaltigkeitsdiskurs vom Mainstream aufgefressen wird.

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Lili Fuhr ist Referentin für internationale Umweltpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung und zuständig für die Themen Klima- und Ressourcenpolitik. Sie koordiniert die Arbeit der Stiftung im Kontext von Rio+20 und bloggt regelmäßig auf www.klima-der-gerechtigkeit.de.

Der Beitrag ist im Rundbrief I/2012 des Forum Umwelt und Entwicklung erschienen.

Link: Vollständiger Bericht des High-Level Panel on Global Sustainability

Dossier

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