Mit teils drastischen technologischen Eingriffen in das Ökosystem will eine Allianz aus Wissenschaftler/innen und Politiker/innen die Erderwärmung stoppen. Die Klimarettungs-Szenarien des so gennanten "Geo-Engineering" umreißt der Autor Georg Kössler in unserer aktuellen Publikation "Geo-Engineering: Gibt es wirklich einen Plan(eten) B?". Der Klimaaktivist war bis Anfang 2012 Referent für internationale Klima- und Energiepolitik der Heinrich-Böll-Stiftung und setzt sich mit dem Thema Klimaschutz unter anderem auf unserem Blog Klima der Gerechtigkeit sowie auf seinem eigenen Blog auseinander. Er ist Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Energie von Bündnis '90 / Die Grünen und war zuvor u.a. Politischer Geschäftsführer des Bundesverbandes der Grünen Jugend.
boell.de: Herr Kössler, umreißen Sie uns doch bitte noch einmal kurz, was der "Geo-Engineering"-Begriff genau meint und woher er stammt.
Georg Kössler: Für mich umfasst Geo-Engineering eine Veränderung der Erdsysteme, z.B. der Meereszirkulation oder der Sonneneinstrahlung, die sehr groß ist und die bewusst durchgeführt wird, um dem Klimawandel zu begegnen. Es gibt dabei zwei große Kategorien: Man kann entweder versuchen, die Wärme der Sonne irgendwie zu reflektieren damit der Planet sich nicht so schnell erhitzt. Oder man entzieht der Atmosphäre das für globale Erwärmung sorgende Klimagas CO2. Bei letzterer Kategorie beginnen schon die Grauzonen, denn streng genommen nimmt ein von mir gepflanzter Baum ja auch CO2 auf. Selbst die Vereinten Nationen sind hier noch sehr unscharf, aber für eine grundlegende Debatte reicht meine Definition aus.
Der Begriff selbst geistert schon lange durch die Diskurse, aber so richtig Fahrt aufgenommen hat das Thema erst nach der gescheiterten Weltklimakonferenz in Kopenhagen. Heute sind wir allerdings schon weiter: Mit Begriffen wie "Climate Engineering" oder "Climate Remediation" soll das jetzt weniger bedrohlich und wissenschaftlicher klingen. Dabei ist es doch eigentlich auch eine ethische Frage, ob wir nach dem Systemunfall Klimawandel nun in diesem Maßstab noch einmal an den Erdsystem herumschrauben.
Sind denn Klimaschutz-Maßnahmen wie das Verbot von FCKW zum Schutz der Ozonschicht oder der Bau von Windparks auch Formen des Geo-Engineering? Wo ist die Trennlinie zu "klassischen" Versuchen, das Klima zu schützen?
Es gibt keine einheitliche Definition und wir könnten Stunden diskutieren, was jetzt Geo-Engineering ist und was nicht. Aufforstung ist es für mich beispielweise nicht, aber wenn jemand das natürliche Algenwachstum im Meer unnatürlich verstärken will, dann ist das ganz klar eine Form von Geo-Engineering. Wer Geo-Engineering als Option auf dem Tisch behalten will, findet immer einen rhetorischen Kniff, deshalb muss man die Debatte andersherum führen. Die Veränderungen unserer Wirtschafts- und Verhaltensmuster sind definitiv kein Geo-Engineering. Das Verbot von gefährlichen FCKW-Gasen war kein Geo-Engineering. Wir müssen Energie sauberer produzieren, wir müssen weniger verbrauchen und sollten dennoch glücklich sein. Ein Windrad ist ebenfalls kein Geo-Engineering, weil es nicht die Erde windiger macht – auch wenn selbst diese Idee bereits gab.
Ich denke, Geo-Engineering-Technologien haben immer auch was damit zu tun, den Status Quo zu erhalten. Offiziell sollen zwar die Gletscher gerettet werden, aber es geht auch immer darum, dass wir weiter Auto fahren dürfen.
Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen und was reizt Sie an der Auseinandersetzung damit?
Ein befreundeter kanadischer Aktivist hat mich vor zwei Jahren auf diese Fachdebatte hingewiesen. Als dann das Bundesforschungsministerium oder die US-Regierung Studien erstellen ließen und die deutsche Zivilgesellschaft immer noch wie die Maus vor der Schlange saß, habe ich Barbara Unmüßig gesagt: Wir müssen jetzt mal Grundlagenwissen schaffen und die Debatte aus dem technokratischen Fachzirkeln herausholen.
Das Thema ist für mich in gewisser Weise auch das extremste in der Klimadebatte im Hinblick auf die Frage: Kann Technik uns retten oder müssen wir unser Verhalten ändern? Dabei geht es aber nicht um eine Verzichtsdebatte, sondern darum, wie wir in einer Post-Fukushima-Welt mit der technischen Unsicherheiten umgehen wollen.
Gibt es denn aus Ihrer Sicht auch sinnvolle Versuche, das Klima durch "Hau-Ruck-Maßnahmen" nachhaltig zu verändern?
Nein. Hau-Ruck ist immer Murks. Wir müssen im Umgang mit dem fragilen Klimasystem so fehlertolerant wie möglich und dennoch schnell handeln. Ich will gar nicht erst an den Punkt kommen, wo wir Geo-Engineering brauchen. Doch wenn wir solche Zaubertechnologien in der Hinterhand haben, wer erklärt dann den Menschen, dass sie dennoch Energie sparen sollen?
Die Gefahr besteht doch genau in dieser Hau-Ruck-Haltung. Mensch stelle sich folgendes vor: Plötzlich wird uns mitgeteilt, dass wir ziemlich sicher auf 5°C Erwärmung zusteuern. Plötzlich ist die Rede von tausenden Toten im globalen Süden und dann kommt jemand daher und präsentiert seine Idee zur globalen Abkühlung. Wer könnte in so einem Schock-Moment widersprechen? Wäre es dann moralisch nicht sogar falsch, Geo-Engineering nicht zu machen? Dieses Dilemma muss vermieden werden. Plan A sollte daher sein, niemals in solch eine Situation zu kommen. Und Plan B sollte der Versuch sein, ohne riskante Großtechnologien noch aus der Situation herauszukommen. Wir haben doch die Technologien zur Gewinnung von Energie aus Sonne und Wind! Diese müssen schneller und breiter ausgebaut werden – das ist viel weniger riskant für den Planeten.
Viele Szenarien klingen stark nach Science-Fiction. Aber deutlich wird auch, dass es bereits konkrete Versuche gibt, Geo-Engineering in die Tat umzusetzen. Könnten Sie uns ein paar davon nennen, gerade im Hinblick auf Deutschland?
Das Kieler Alfred-Wegener-Institut hat vor einiger Zeit mit ihrem Schiff "Polarstern" im Südatlantik einige Experimente zur Düngung des Meeres gemacht. Das war ganz klar praktische Geo-Engineering-Forschung mit unvorhersehbaren Folgen für das lokale Ökosystem. Es gab einen großen Aufschrei international, der hier weitestgehend ungehört blieb. In England wurde experimentiert, wie mit Hilfe eines Ballons Flüssigkeiten in die Atmosphäre gesprüht werden können. Erst Anwohner/innenproteste brachten das Experiment zum Ende. Auch gibt es bereits Maschinen, welche CO2 direkt aus der Luft filtern. Jedoch sind die derzeit noch sehr teuer und daher nicht wirtschaftlich. Das Erschreckende an Geo-Engineering ist ja eigentlich, dass das Werkzeug für diese heiklen Operationen schon bereit liegt. Es traut sich derzeit nur noch keine Ärztin/kein Arzt den Eingriff zu.
Angesichts der Finanzkrise sind ja gerade in vielen reicheren westlichen Ländern die Ausgaben für das Militär gekürzt worden. Gehen Sie davon aus, dass die Finanzkrise auch den in der Regel doch sehr teuren Geo-Engineering-Szenarien einen Riegel vorschieben wird?
Es gibt Sachen, für die ist immer Geld da. Der Etat des Verteidigungsministeriums, ebenso wie der des US-Militärs ist weiter gestiegen. Doch darüber spricht niemand. Über Klimaschutz reden alle, aber die Gelder fließen nur in sehr spärlich. Es wird spannend sein zu sehen, wie das bei Geo-Engineering sein wird. Auf jeden Fall haben Finanzkrise, öffentliches Interesse und Ausgaben für Forschung und Einsatz nur wenig miteinander zu tun. Darüber hinaus gibt es genug an Geo-Engineering interessierte Milliardäre, beispielweise Bill Gates oder Richard Branson, welche bereits heute Millionen für diese grenzwertige Forschung ausgeben.
Wie wurde Geo-Engineering im Rahmen des Umweltgipfels Rio+20 diskutiert? War es Teil der Abschlusserklärung?
Geo-Engineering wird nicht explizit genannt, aber das existierende Moratorium aus der UN-Biodiversitätskonvention (CBD) gegen Ozeandüngung - welches die "Polarstern" unterlief - wurde auch im Abschlussdokument noch einmal aufgegriffen. Was daran neu sein soll? Die USA sind in Rio dabei gewesen. Zusammen mit Australien sind sie eher Geo-Eningeering-freundlich, während Länder wie Schweden oder Ecuador sich sehr kritisch äußerten. Beim nächsten CBD in Indien im Oktober soll versucht werden, das Moratorium auf weitere Technologien auszuweiten.
In Rio hat sich die UN aber nach Jahren der Ignoranz noch einmal vor Augen geführt, dass neue Technologien nicht nur Chancen sondern auch Risiken beinhalten. Konkretes gab es allerdings - wie so oft - auch hier nicht.
Das Interview führte Hanno Stecher.
Schriften zur Ökologie, Band 25
Geo-Engineering: Gibt es wirklich einen Plan(eten) B?
Die Abscheidung und Lagerung des CO², die Impfung der Meere mit Eisen, unzählige Spiegel im All, die Sprühung von Sulfaten in die Atmosphäre – der Klima-Wandel soll durch Geo-Engineering gestoppt werden. Doch sind diese Ideen wirklich umsetzbar? Welche Risiken bergen sie? Und: Sind sie ethisch zu verantworten?