Die Freiheit im Kopf: Ein Rückblick auf 50 Jahre Unabhängigkeit in Afrika
Schriftenreihe Demokratie, Band 23
Die Freiheit im Kopf
Das Jahr 1960 war für viele Afrikanerinnen und Afrikaner ein Jahr der Hoffnungen. 17 Länder erlangten die Unabhängigkeit von den kolonialen Mächten. Die kolonialen Desaster Frankreichs in Indochina und Algerien und die Unabhängigkeit Indiens vom britischen Empire waren entscheidende Weichenstellungen für die Dekolonisierung Afrikas. So wurde die Metapher des britischen Außenministers Harold Macmillan vom Wind of Change zur offiziellen Doktrin britischer Politik in Afrika. Die letzte Illusion der beiden großen Kolonialmächte war das Experimentieren mit verschiedenen Formen der Einbindung der Kolonien ins Mutterland – von der Union Française zur Communauté Française und dem Commonwealth of Nations.
Die Afrikaner waren vorbereitet: Nach Jahrzehnten der Unterdrückung und Ausbeutung setzten die Führer der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen nun an, der Geschichte einen eigenen Stempel aufzudrücken. Doch sie nahmen ihren Platz in den von den Kolonialmächten geformten Strukturen ein, standen vor übermächtigen Herausforderungen und waren schon in den Kalten Krieg involviert, den sie freilich auch zu nutzen wussten. Im Jahr 1960 wurden nationale Symbole geboren und über die eigenen – ohnehin kolonial gezogenen – Grenzen hinausgedacht. Die Einheit Afrikas, Frieden, Wohlstand und Größe für alle Afrikaner, das waren proklamierte, aber schwer erreichbare Ziele.
Heute, 50 Jahre später, stellt sich die Frage, was aus den Hoffnungen der Menschen und den Visionen ihrer Führer geworden ist. Wurden aus den kolonial geschaffenen Staatengebilden Nationen? Welche traumatischen Ereignisse wirkten nach, welche kamen in den vergangenen 50 Jahren hinzu? Hätte der Reichtum des Kontinents zum Wohle seiner Bevölkerung gereicht? Wie steht es wirklich um das Verhältnis zwischen Europa und Afrika, um Ausgrenzung und Rassismus und welche Zukunftsperspektiven stellen sich in einer globalisierten Welt?
Eine solche Rückschau kann kaum mit allen Differenzierungen erfolgen und all die vielschichtigen Veränderungen und Prozesse eines halben Jahrhunderts auf dem afrikanischen Kontinent erfassen. Die Realität Afrikas, die voller Kontraste und Brüche ist und reich an kulturellem Ausdrucksvermögen und Ideen, ist uns viel zu wenig bekannt. «Blitzlichter» wollen wir daher auf die Länder werfen, die 1960 unabhängig wurden: mit ganz persönlichen und vielfach kritischen Beiträgen. Darunter Ousmane Diarra, von dem wir den Titel des Buches entleihen: «Die Tatsache, dass ich schreibe, hat viel mit Unabhängigkeit zu tun. Ich schreibe, weil ich im Kopf frei bin.»
Eine Reihe der oben erwähnten Fragen werden in den Hintergrundartikeln von renommierten Autoren Afrikas wie Europas behandelt, und zuletzt sollen uns Auszüge aus Reden, Schriften und Kurzporträts in die Aufbruchstimmung von 1960 zurückversetzen. Besonderer Dank gilt Peter Ripken, der dieses Projekt von der konzeptionellen Vorbereitung, der Auswahl der Autoren bis zur Bearbeitung und auch Übersetzung einzelner Beiträge sowie dem Verfassen erklärender Textbausteine sorgsam begleitet hat. All dies webt sich wie ein bunter Flickenteppich zusammen. Ein Rückblick eben, keine Bilanzierung. Denn letztlich steht ja auch Europa weiterhin im Prozess der Dekolonisierung.
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Inhaltsverzeichnis
7 Vorwort
9 Carlos Lopes Dichter und Lenker
17 François Nkéme "Afrika in Miniatur"
19 Ahmed Sékou Touré Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen
25 Théo Ananissoh 1960+3 oder: Unabhängigkeit ohne die Fähigkeit, sie zu hüten
27 Kwame Nkrumah Eine kontinentale Regierung für Afrika
33 Ilan Halevi Ist die panafrikanische Idee tot?
40 Michèle Rakotoson Die Kraft des Neins
42 Reinhart Kößler Nationalstaat - Bürde und Ideal
51 Théo Ananissoh Unsere abhängigen Körper
53 Fiston Mwanza Mujila Atemberaubende Fehlentwicklungen der sozialen Systeme
55 Patrice Lumumba Rede zum Tag der Unabhängigkeit
61 Ubax Cristina Ali Farah Die Enkelinnen der Unabhängigkeit
63 Christoph Marx Die Grenzen in Afrika als Last und Herausforderung
70 Florent Couao-Zotti Hauptsache, man bleibt obenauf
72 Alfred Dogbé Elektronische Spielzeuge statt Traktoren
74 Theo Rauch Sind die afrikanischen Bauern nicht in der Lage, die Bevölkerung Afrikas zu ernähren?
81 Henning Melber Der neue Wettlauf um Afrikas Ressourcen. Für wen belebt Konkurrenz das Geschäft?
89 Julius Nyerere Ujamaa - Grundlage des afrikanischen Sozialismus
98 Alfred Sawadogo Versagen und Verschwendung
100 Venance Konan Das Verschwinden meines Vaters
102 Nétonon Noël Ndjékéry Laufen lernen
104 Mai Palmberg Afrikanische Kunst als Schlüssel zum Verständnis Afrikas
113 Annette Schemmel Indépendance oder Interdependenz
120 Jean-Pierre Mara Fürs Erste unabhängig
122 Wilfried N'Sondé Von der Wiedererlangung der Würde
124 Jean Divassa Nyama Heldengedenken
126 Nafissatou Dia Diouf Generationenwechsel
128 Léopold Sédar Senghor Für einen afrikanische Weg zum Sozialismus
133 Ousmana Diarra Der Gipfel des Glücks
134 Sanou Mbaye Afrikas zweigleisige Ökonomie
137 Toyin Adewale-Gabriel Ein Land mit Kurzzeitgedächtnis
139 Axel Harneit-Sievers Eine vitale Fehlkonstruktion - Nigerias selbstbewusster Umgang mit dem kolonialen Erbe
147 M'Barek Ould Beyrouk Dürre und Staatswerdung
149 Wilfried N'Sondé 500 Jahre Eurafrika - Eine heikle Beziehung
155 Autorinnen und Autoren