Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

Internationaler Kongress zur kreativen Stadtentwicklung

Re-Build This City!

27. August 2008
Von Jan Engelmann und Sabine Drewes

Von Jan Engelmann und Sabine Drewes

Jaap Schoufour, Leiter des Bureau Broedplaatsen Amsterdam, grübelte noch bei seiner Ankunft in Frankfurt über diesen Imperativ. Schwarze Wolken türmten sich über den Büro-Towers von Frankfurt auf. Als schließlich die Blitze über die beeindruckende Skyline zuckten, ging ihm ein Licht auf: Die Heinrich-Böll-Stiftung musste das dramatische Unwetter bestellt haben, um die Stadt nach eigenem Gusto wieder aufbauen zu können.

Zu diesem Zeitpunkt diskutierten die 200 Teilnehmer der zweitägigen Veranstaltung RE-BUILD THIS CITY!, die am 30./31. Mai in Frankfurt am Main stattfand, gerade die Frage, ob die „Global City Frankfurt“ denn auch eine kreative Stadt sei. Die Stimmung war eher skeptisch, obwohl ein kurz zuvor veröffentlichtes Städte-Ranking des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts der Stadt die Top-Position unter den Kreativen attestierte. Frankfurt habe als Banken-Standort zwar eine sichere, vordefinierte Zukunft, biete aber zu wenig unverplante Räume zur Aneignung durch Künstler, so die Panelisten einhellig. Die Subkultur tummle sich eher in Offenbach, meinte Bernd Kracke, Präsident der dortigen Hochschule für Gestaltung.

„Dieses Biotop muss man zulassen“,

riet er. In die Mainmetropole komme niemand freiwillig, legte Martin Wider nach, Geschäftsführer der Werbeagentur Publicis, der – wie er freimütig zugab – dem Ruf des Geldes gefolgt sei. Es blieb dem deutsch-türkischen Gaming-Unternehmer Avni Yerli vorbehalten, eine Lanze für Frankfurt als Kreativ-Standort zu brechen: Er habe sein zuvor im bayerischen Coburg ansässiges Unternehmen ganz bewusst und nach reiflicher Prüfung nach Frankfurt umgesiedelt. Der international gut angebundene Flughafen, das bundesweit größte Cluster in der Gaming-Industrie und nicht zuletzt die multikulturelle Zusammensetzung der Wohnbevölkerung böten eben unschlagbare Vorteile.

Dass Frankfurt als gastgebende Stadt vordringlich behandelt werden würde, war abzusehen. Es ging auf diesem Kongress jedoch in erster Linie um die mögliche Übertragbarkeit des Konzepts der kreativen Stadt, wie es Richard Florida in die Welt gesetzt hat. Denn dies besitzt ungebrochene Attraktivität, nicht umsonst erscheinen im Monatsabstand neue Rankings, die Lebensqualität und Standortfaktoren nach den berühmten drei Ts (Technologie, Talente, Toleranz) sortieren. Die kreative Stadt verspricht nichts Geringeres als die Versöhnung von Wirtschaftswachstum und sozialer Inklusion, von kulturellem Eigensinn und Wohlstand. Und genau dort liegen auch die Reibungspunkte, denen bei RE-BUILD THIS CITY! intensiv nachgegangen wurde.

Der Kongress startete mit einer fulminanten Kritik an Richard Florida. Der britische Geograf Jamie Peck betonte, Floridas Konzept sei geradezu darauf angelegt, gegen Zweifel immun zu machen. Schließlich könne niemand ernsthaft gegen Kreativität sein, weil sie einen ähnlichen Wohlklang wie „Apfelkuchen“ verströme. Hinter Floridas Ideen verberge sich ein explizit amerikanisches Politikkonzept, das auf viel Markt, wenig Staat, interurbane Konkurrenz und „Vorfahrt für die Mittelklasse“ in den Innenstädten setze. Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, strich in seiner Erwiderung eher die produktiven Anteile für die Stadtentwicklung heraus. Ganz offensichtlich verändere ja die Transformation zur Wissensökonomie die wirtschaftliche Basis der Städte und sei mit der Chance einer Renaissance des Urbanen verbunden. Man dürfe daher nicht Mittelklasse und Marginalisierte gegeneinander ausspielen, sondern müsse das Stadtbürgertum gegen Armut und Ausgrenzung mobilisieren.

Positionen zeitgemäßer Urbanität

Diese Kontroverse wurde im nachfolgenden Panel zu „Positionen zeitgemäßer Urbanität“ fortgesetzt: Der Wirtschaftsgeograf Hans Joachim Kujath differenzierte unterschiedliche Milieus der Städte in der Wissensgesellschaft. So zerfalle die Stadt in unterschiedliche Räume für die Finanzwirtschaft, die Medien- und Werbe-Communities sowie die Hochtechnologiearbeiter. Stadtpolitik komme die Aufgabe zu, zwischen diesen fragmentierten Bereichen zu vermitteln und einen eigenen Entwicklungspfad zu beschreiten. Der Stadtsoziologe Walter Prigge vom Bauhaus Dessau interpretierte diese Konstellation weitaus polarisierter: Mit dem Deutungskonzept der kreativen Stadt werde die Hegemonie der Mittelschichten in den Innenstädten neu verhandelt. Die genuin grüne Antwort darauf müsse in Anlehnung an den alten (Frankfurter) Slogan „Kultur für alle“ Kultur von allen heißen. Der grüne Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit stellte die ketzerische Frage, ob Kreativität so einfach „aus der Stadt destillierbar“ sei. Unterschiedliche Lebensweisen im urbanen Raum führten naturgemäß zu Auseinandersetzungen, was sich etwa anhand der Debatten um autofreie Innenstädte, Kinderbetreuungseinrichtungen und Integrationsangebote zeige.

Das Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaftswachstum und sozialer Inklusion gewann praktische Konturen bei den beiden Städten, die sich am Samstagvormittag durch jeweils zwei Vorträge präsentierten. Besonders eindrucksvoll am Beispiel Toronto: Randy McLean, Vertreter der dortigen Wirtschaftsförderung, zeigte auf, dass die kanadische Metropole perspektivisch auf einen Arbeitskräftemangel zusteuere. Kanada brauche im internationalen Wettbewerb aber mindestens drei internationale Städte. Daher setze Toronto auf kreative Köpfe, investiere in Kultur und profiliere sich mit Diversity-Politik. Heather McLean von Toronto Planning Action berichtete dagegen, wie Künstler sich gegen ihre Instrumentalisierung bei der Aufwertung bestimmter Stadtteile wehrten und dass dort im Prozess der Gentrifizierung eine wachsende Intoleranz zu beobachten sei. So seien Obdachlosenunterkünfte aufgefordert worden, ihre Bewohner während einer „Langen Nacht der Galerien“ nicht auf die Straße zu lassen. Beide Positionen waren für sich genommen glaubwürdig und politisch nachvollziehbar – einer der vielen Hinweise auf der Konferenz, dass sich die Widersprüche der kreativen Stadt nicht ohne Weiteres auflösen lassen.

Auch Amsterdam präsentierte sich als Ort der doppelten Realität. Die niederländische Metropole ging sehr früh daran, aus dem industriellen Strukturwandel die richtigen Schlüsse zu ziehen. Als subkulturelle Gruppen nach dem Ende der Toleranz-Politik 1999 Ersatz für die ehemals besetzten Werften verlangten, setzte die Stadtverwaltung eine Agentur ein, um Flächen im großen Stil zu akquirieren. Wie Jaap Schoufour stolz berichtete, habe man zwischen 2000 und 2007 rund 34 Millionen Euro aufgewandt, um im Verbund mit lokalen Behörden, Immoblienfirmen und Projektentwicklern „maßgeschneiderte“ Räume für Künstler und Kreativbetriebe zu schaffen. Diese Planungseuphorie mochte Eva de Klerk, Projektmanagerin der weitgehend selbstverwalteten NSDM-Werft, jedoch nicht teilen. Amsterdam habe sich in den letzten Jahren zu sehr an kommerzialisierter Kunst und großen Events orientiert, darüber aber die kleinteiligen Strukturen, die zumeist den Humus der Kulturwirtschaft bilden, stark vernachlässigt.

Was bringt die Kreativitätsdebatte für deutsche Städte und Regionen?

Rainer Danielzyk, Direktor des ILS Nordrhein-Westfalen, berichtete im ersten Workshop aus einer schrumpfenden Region im Strukturwandel, Rainer Kern, freier Kulturmanager, aus einer wachsenden Region, die den Strukturwandel erfolgreich gemeistert hat. Danielzyk machte in der Kreativwirtschaft erhebliche Potenziale besonders für das Ruhrgebiet aus; so sei dieser Wirtschaftszweig einer der Schwerpunkte der Kulturhauptstadt Europas 2010. Als Pfund der Ruhr-Region bezeichnete er ausgedehnte Freiflächen und spannende bauliche Relikte des Industriezeitalters, die man entsprechend nutzen müsse. Danielzyk mahnte grundsätzlich an, dass durch die Kreativitätsorientierung der Politik die soziale Differenzierung der Städte weiter vorangetrieben werde. Im Ruhrgebiet mit entspannten Wohnungsmärkten sei die Gefahr allerdings kalkulierbar.

Kern präsentierte die Region Rhein-Neckar als gutes Beispiel kulturgeleiteten Strukturwandels und hob besonders Mannheim mit seinem kulturpolitischen Leuchtturm Popakademie hervor. Die Diskussion mit Beiträgen von Teilnehmer/innen aus zahlreichen Städten (Hamburg, Köln, Heidelberg, Augsburg) machte deutlich, dass das Bedürfnis nach praxisorientiertem Austausch über städtische Kreativitätsstrategien ungebrochen groß ist.

Mit der Frage, inwieweit auch ungeplante Prozesse und autonome Praxen von Raum-pionieren in den Reflexionsprozess von Kommunen Eingang finden müssen, befasste sich auch der zweite Workshop „Overrated & Underpayed: Die Wirtschaft der Bohème“. Tags zuvor hatte Bürgermeisterin Jutta Ebeling dies für eine responsive Stadtpolitik gefordert: „Keine Kultur ohne Subkultur.“ Die Diskutanten waren sich jedoch schnell einig, dass ein „kulturelles Fluidum“ nicht künstlich hergestellt werden kann, sondern ortsspezifische Qualitäten immer geschichtlich gewachsen sein müssen, um von Bohemiens und Kreativen wirklich angenommen zu werden. Die Politologin Monika Mokre verdeutlichte am Beispiel des Wiener Quartiers 21, dass gerade das gezielte Clustering von kulturwirtschaftlichen Aktivitäten mit Akzeptanz-Problemen rechnen muss. Stadtforscher Bastian Lange plädierte dafür, bestimmte Entwicklungen einfach zuzulassen und „Eroberungsräume“ zu ermöglichen.

Anerkennung von Improvisation

Eine hohe Transformationsbereitschaft, verbunden mit einer „Politik der Anerkennung von Improvisation“, sei möglicherweise der beste Weg, um Culturepreneurs als Unruhestifter und Differenzmacher anzuziehen. Im Abschlusspanel, das eine starke Frauen-Phalanx vornehmlich aus der Berliner Kulturszene versammelte, wurden Erfolgsgeschichten erzählt, aber auch gefährliche Tendenzen innerhalb der Kreativitätsdebatte aufgezeigt. So wies Dorothee Wenner, Leiterin des Talent Campus der Berlinale, darauf hin, dass der Wohnungsmarkt der Hauptstadt, der lange Zeit den wesentlichen Grund für den Zuzug von Kreativen darstellte, allmählich in Richtung von Premium-Angeboten für internationale Star-Künstler abdrifte. Zudem beobachte sie bei vielen nur temporär ansässigen Kulturschaffenden, dass diese nicht genügend am Erhalt von Strukturen interessiert seien. Diese unpolitische Haltung korrespondiere mit der Neigung von Kulturbürokratien, unvermindert „Festivalisierung“ in der Logik des Tourismusmarketings zu betreiben. Amelie Deuflhard, Leiterin der Kulturfabrik Kampnagel in Hamburg, sah demgegenüber wichtige Lernfortschritte auf Seiten der Verwaltungen. Immerhin werde man von Kulturseite immer verstärkter in die politische Debatte z.B. um Zwischennutzungskonzepte einbezogen.

Unfreiwillig wurde ausgerechnet der Konferenzort ATELIERFRANKFURT zum Symptom der Zwischennutzungsproblematik. Zeitgleich zu RE-BUILD THIS CITY! erhielt eine Immobiliengesellschaft den Zuschlag für ebenjenes Grundstück, um einen neuen Büro-Tower für die internationale Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers zu errichten. Die Zukunft für das ATELIERFRANKFURT ist jedoch vorerst gesichert – im Juni erhielt man einen neuen 5-Jahres-Vertrag zu leicht verbesserten Konditionen. Ein Unternehmenssprecher gab zu Protokoll, dass es zur Herstellung von Urbanität richtig sei, im Frankfurter Bahnhofsviertel „unterschiedliche Menschen zusammenzubringen“. Ein Happy End also, wie es sich Jaap Schoufour in seinen Abbruch-Albträumen nicht hätte ausmalen können.