Der Wissenschaftler Michael Maschke, Autor von „Die Teilhabegesellschaft. Modell eines neuen Wohlfahrtsstaates“, über das Modell der Teilhabegesellschaft, gleiche Chancen, Finanzierungsmodelle, Risiken, Kontrolle und Konsumverhalten.
Der deutsche Sozialstaat ist in der Krise und es mangelt an Ideen, wie dem sozialen Verfall zu begegnen ist. Jetzt warten die drei Volkswirte und Soziologen Claus Offe, Gerd Grözinger und Michael Maschke mit einer provokanten Idee auf, wie allen jungen Menschen ein gleicher Start ins (Berufs-)Leben gegeben werden kann: Zu ihrem 18. Geburtstag bekommen sie 60.000 Euro auf ein Konto gutgeschrieben, von diesem Tag an können sie über die Zinsen verfügen. Das gesamte Geld erhalten sie aber erst, wenn sie 21 sind und auch nur, wenn sie das Abitur oder eine Ausbildung gemacht haben, studieren oder eine Firma gründen wollen.
Herr Maschke, prima Idee. Kann ich jetzt aufhören, für das Studium meiner Tochter zu sparen?
Leider nein, von einer Idee bis zu ihrer politischen Verwirklichung ist es ein weiter Weg. Unser Vorschlag liegt quer, das wissen wir. Uns ging es – neben den gleichen Startchancen für junge Menschen – vor allem um einen gedanklichen Anstoß, der aus den verkrusteten Diskussionen um Sozialstaat, Bildungsmisere und Unterschicht herausführt. Es braucht neue Impulse, die Politik ist mit ihren Strategien am Ende. Es müssen neue Anreize her.
Und die haben Sie mit Ihrem Modell gefunden?
Wir setzen da an, wo andere nicht einmal mehr hinschauen: am Anfang. Wir wollen das Kind erst gar nicht in den Brunnen fallen lassen, sondern auf den Weg schicken. Mit einem wirklich nicht geringen Startkapital und mit Eigeninitiative. Unser Ansatz ist Prävention, Innovation und Investition in Humankapital.
Ihre Idee setzt voraus, dass die Beschenkten den Sinn, den Sie ihnen mit dem Geld geben wollen, ebenfalls sehen und anerkennen. Glauben Sie an das Gute im Menschen?
Nein, gar nicht. Aber ich glaube an ein Eigeninteresse. Jeder Mensch ist so viel Egoist, dass er einen Anreiz nicht einfach links liegen lässt. Wenn man einem Jugendlichen, der mit seiner Clique abhängt, einen IPod verspricht, wenn er in absehbarer Zeit bessere Schulnoten nach Hause bringt, wird er lernen. Stellt man ihm einen gebrauchten Audi TT in Aussicht, wird er noch mehr tun.
Aber was, wenn jemand mit seinem Startkapital statt eine Ausbildung zu finanzieren, eine Firma zu gründen oder eine Eigentumswohnung zu kaufen, lieber auf den Malediven das Geld verprasst?
Dieses Risiko müssen wir eingehen, es wird immer Fehlinvestitionen geben. Wenn jemand seine von dem Geld gegründete Firma in den Sand setzt, ist das im Grunde auch eine Fehlinvestition. Das kann man nicht verhindern und das wollen wir auch nicht. Unser Modell ist liberal und sozial zugleich. Liberal, weil wir auf Eigeninitiative und freie Entscheidung setzen, mit dem Geld machen zu können, was man will. Und sozial, weil auf diese Weise junge Menschen eine Chance bekommen, die sie sonst nie erhalten hätten.
Was ist mit Kontrolle?
Die ist allein dadurch gegeben, dass die Geldausgabe an bestimmte Investitionsbedingungen geknüpft ist. Außerdem wird die Summe nicht auf einen Schlag, sondern in vier Raten zu je 15.000 Euro ausgezahlt. Darüber hinaus muss es Beratung geben.
Greift die Beratung im Falle einer absehbaren Fehlinvestition korrigierend ein?
Das muss man sich wie bei einer Schwangerschaftsberatung vorstellen: Pflicht zur Beratung, aber entscheiden muss letztlich jeder selbst, was er tut. Wenn jemand meint, er müsse nach seinem Firmenstart erst einmal zwei Monate Urlaub machen, dann kann das eine richtige Entscheidung sein. Vielleicht braucht derjenige die Auszeit, um dann richtig durchzustarten.
Wo soll das Geld herkommen?
Die Bundesrepublik ist derzeit so reich wie noch nie. Unsere Idee lässt sich durch Reformen in der Vermögens- und Erbschafts- und Schenkungssteuer bezahlen. Dafür fallen Dinge wie Bafög, Kindergeld ab 19 und Hartz IV für diejenigen weg, die die Chance nutzen.
Sie haben nach einem amerikanischen Modell die Idee geboren, aber umsetzen müssen sie andere.
Angenommen, unser Modell bleibt in der Diskussion und nimmt realistische Züge an, wird in den kommenden Jahren ein enormer Druck auf Schulen, Universitäten, Institutionen und die Politik entstehen. Die müssen sich weitreichend reformieren, der Bildungskanon muss umgeschrieben und erweitert werden. Allein die ökonomische Ausbildung muss einen größeren Stellenwert einnehmen.
Wie lange wird es dauern, bis die ersten 60.000 Euro gezahlt werden?
Das weiß ich nicht, aber eine Vorlaufzeit von etwa fünf bis zehn Jahre wäre auf jeden Fall für den institutionellen Umbau notwenig.
Simone Schmollack (Heinrich-Böll-Stiftung) führte am 31. Oktober 2006 das Interview mit Michael Maschke.
Michael Maschke (35), Volkswirt und Sozialwissenschaftler, lehrt am Institut für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin.
Zur Studie, die im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung angefertigt wurde, ist kürzlich im Campus Verlag das Buch „Die Teilhabegesellschaft. Modell eines neuen Wohlfahrtsstaates“ erschienen.
- Dossier: Teilhabegesellschaft