Energiewende: Erneuerbare unter Strom

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Ausschnitt aus der Grafik "Der Blick der Konservativen in die Zukunft" (s.u.)

Der Anteil der erneuerbaren Energien im globalen Strommix nimmt rasant zu. Staaten und große Firmen steigen um. Doch eine vollständige Abkehr von fossilen Brennstoffen ist noch nicht zu sehen. Ein Kapitel aus dem Kohleatlas.

Die Struktur der Energieversorgung ändert sich rasant, und zwar weltweit und regional höchst unterschiedlich. Einerseits legt der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung stetig zu. Andererseits werden weiter neue Kohlekraftwerke gebaut. In Europa stehen ihren Betreibern schwere Zeiten bevor. Viele Länder haben Überkapazitäten bei der konventionellen Stromerzeugung aufgebaut, die nun auch noch in Konkurrenz mit den erneuerbaren Energien treten.

Im Jahr 2014 haben Dänemark und Deutschland so wenig Energie benötigt wie zuletzt in den 1970er-Jahren. Sie haben es geschafft, den Energieverbrauch vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln. Notwendige Investi­tionen in einen alternden Kraftwerkspark und schärfere Standards zur Reinhaltung der Luft treiben zudem die Kosten für die Energieversorger in die Höhe. Selbst Neubauten wie das Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg, das von ­Vattenfall 2015 ans Netz genommen wurde, rechnen sich heute betriebswirtschaftlich kaum mehr.

Bergbaukonzerne suchen nach neuen Tätigkeitsfeldern. In den alten bleiben sie weiter aktiv

Der Ausbau der Erneuerbaren hat die meisten Pro­gnosen deutlich übertroffen. Viele Szenarien Anfang der 2000er-Jahre haben für 2020 einen Anteil vorausgesagt, der schon im Jahr 2010 erreicht wurde. Die erneuerbaren Energien kommen aus ihrer Nische heraus. Der Anteil von Windkraft- und Solaranlagen liegt inzwischen bei 79 Prozent der neu installierten Kraftwerksleistung. In Deutschland nehmen sich immer mehr Gemeinden vor, komplett auf Erneuerbare umzustellen. Inzwischen leben rund 20 Millionen Menschen in sogenannten 100-Prozent-Regionen. Dabei spielen Genossenschaften, an denen sich Bürgerinnen und Bürger beteiligen, eine treibende Kraft, um die Energiewende zu dezentralen und umweltfreundlichen Lösungen zu führen. Auf die Erneuerbaren entfallen bereits 25,8 Prozent der Bruttostromerzeugung in Deutschland.

Damit haben Sonne, Wind, Biomasse und Co. zusammen zum ersten Mal die Braunkohle als Energieträger mit dem höchsten Anteil im deutschen Strommix überholt. Dass die Erneuerbaren an sonnen- und windreichen Tagen bis zu 80 Prozent der Nachfrage in Deutschland abdecken, wäre bis vor Kurzem noch undenkbar gewesen. Aber am 11. Mai 2014 zur Mittagszeit war dies zum ersten Mal Realität.
Diese neue Realität erfordert auch eine Anpassung der Stromnetze, da Strom an anderen Orten erzeugt wird als bisher. Um die Schwankungen des Wind- und Sonnenstroms auszugleichen, braucht es mehr Flexibilität etwa von konventionellen Kraftwerken und Verbrauchern sowie künftig auch mehr Speicherlösungen.

Bei der Stromerzeugung haben die Erneuerbaren 2014 zum ersten Mal die Braunkohle überholt

Nicht nur in Europa, sondern auch weltweit sind die erneuerbaren Energien auf dem Vormarsch. Die Hälfte davon stammt aus "alten" erneuerbaren Energien wie alten Wasserkraftwerken oder Holzverbrennung. Doch das Wachstum der "Neuen" wie Fotovoltaik, Windkraft, Geothermie, Wellenkraft und Biogasanlagen nimmt Tempo auf. In den internationalen Rankings stehen regelmäßig große Länder wie Deutschland, China und die USA vorne. Bezogen auf ihre Wirtschaftskraft investieren aber Uruguay, Mauritius und Costa Rica noch deutlich mehr in die Erneuerbaren. Dass große stromfressende IT-Firmen wie Facebook und Google auf erneuerbare Energien umsteigen, dürfte eine Signalwirkung über die Branche hinaus haben. Apple deckt seinen eigenen Strombedarf bereits vollständig aus Erneuerbaren, lobt Greenpeace. Weltweit verbrauchen die Datencenter mehr als 30 Gigawatt (GW) – so viel Strom, wie 30 große Atomkraftwerke produzieren müssten.

Hoffnungsvoll stimmen die Entwicklungen in der Wind- und Solarenergie. Die Massenfertigung, technische Weiterentwicklungen und größere Märkte führen dazu, dass die Produktkosten rapide fallen, in manchen Fällen um die Hälfte in vier Jahren. Immer häufiger werden Projekte schon heute ohne staatliche Subventionen finanziert, weil sie günstiger als fossile Energien sind.

Für die Windkraft war 2014 ein Rekordjahr. Weltweit wurden neue Windräder mit einer Gesamtleistung von 51 GW errichtet, 44 Prozent mehr als noch im Jahr zuvor. Treibende Kraft ist China, wo mit 23 GW fast die Hälfte aller neuen Anlagen ans Netz ging. Auch in Europa wuchs die Windkraft mit zwölf GW deutlich, angetrieben von Deutschland und Großbritannien. Die USA haben nach einem schwachen Vorjahr wieder zugelegt (4,8 GW).

Nicht nur erneuerbar, sondern auch dezentral, ökologisch und demokratisch soll die Energieerzeugung der Zukunft sein

Auch der Markt für Fotovoltaik ist deutlich gewachsen. 2014 wurden weltweit mehr als 40 GW neue Leistung hinzugebaut. Auf China entfällt rund ein Viertel des gesamten Marktes. In den USA kamen sechs GW hinzu; inzwischen produziert die Sonne dort so viel Strom, dass sie den Bedarf von vier Millionen Haushalten abdeckt. Einen deutlichen Trend nach oben gibt es auch in Japan (+9 GW), Europa (+7 GW) sowie Lateinamerika und Südafrika.

In den meisten Industrieländern ist es für viele Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer inzwischen günstiger, den Strom mit Solarzellen auf dem eigenen Dach herzustellen, als aus dem Netz zu kaufen. Die netzunabhängige Solarenergie ist von entscheidender Bedeutung für ländliche Gebiete in Entwicklungsländern, die noch nicht an das zentrale Stromnetz angeschlossen sind. Sie bietet die große Chance, die Menschen dort erstmals mit Energie zu versorgen und damit ihr Leben zu verbessern – was mit zentralen Anlagen und großen Stromnetzen noch auf lange Zeit nicht gelingen würde.

Doch auch bei den erneuerbaren Energien kann es ökologische oder soziale Probleme geben. Großstaudämme und die Anlage großer Plantagen zur Energiegewinnung führen vielerorts zu Menschenrechtsverletzungen und Vertreibungen. Der großflächige Anbau von Biomasse für die Energieerzeugung belastet zudem die Umwelt – Monokulturen und der Chemikalieneinsatz verschlechtern die Klimabilanz stark. Bei der globalen Energiewende geht es daher nicht nur um den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energieträger, sondern um eine dezentrale, ökologische und demokratische Energieversorgung.