8. Januar 2008
Jörn Böhme: Cindy Flash, Sie leben im Kibbuz Kfar Azza direkt an der Grenze zum Gazastreifen. Was waren Ihre Erfahrungen seit Beginn der letzten israelischen Militäroffensive?
Cindy Flash: Wir können die Bombardierung Gazas sehen und wir sind auch selbst mit Qassam-Raketen und Mörsern beschossen worden. Mein Haus befindet sich am äußersten Rand des Kibbuz und ich sitze sozusagen in der ersten Reihe. Die Bilder die man im Fernsehen sieht, das ist der Blick von meinem Haus.
Wurde ihr Kibbuz getroffen?
Ja, wir wurden mehrfach getroffen. Vor einem halben Jahr wurde nicht weit entfernt von meinem Haus ein Mitglied des Kibbuz durch eine Mörsergranate getötet.
Sie sind gegen die Militäroffensive. Sind Sie mit dieser Position ziemlich alleine in Ihrem Kibbuz und im Sapir College in Sderot, wo Sie arbeiten?
In bin an vielen Orten ziemlich alleine mit meiner Position. Ich bin mir sicher, es gibt auch andere Menschen, die so denken wie z.B. mein Nachbar. Aber der allgemeine Konsens sagt, wir tun da etwas Großartiges, wir tun, was wir tun müssen, es gibt keinen anderen Weg und wir müssen das zusammen durchstehen.
Ich glaube, es ist eine Torheit, ein Fehler. Hamas ist nur ein Symptom. Das Problem beginnt 1967 mit der Besatzung. Hamas ist nur eine weitere Manifestation der Reaktion auf die Besatzung. Ohne eine Behandlung des Hauptproblems behandelt man auf plumpe Art nur die Symptome, man gewinnt nichts und zerstört alles.
Was sagen Sie Menschen, die argumentieren, kein Staat auf der Welt kann akzeptieren, dass auf seine Zivilbevölkerung mit Raketen geschossen wird?
Ich glaube, kein Staat sollte so etwas akzeptieren. Aber es gibt verschiedene Lösungen. Ich glaube nicht, dass das militärische Vorgehen eine Lösung ist, weil es sich meiner Ansicht nach nicht um ein militärisches Problem handelt.
Aber das Argument lautet, dass Hamas Israels Existenz nicht akzeptiert und es deswegen keine Verhandlungsgrundlage mit Hamas gibt.
Es stimmt, dass Hamas militanter und islamistischer ist, als die säkulare Fatah. Aber wir waren auch lange Zeit nicht bereit, mit denen zu sprechen. Wir haben in all den Jahren seit Abu Mazen an die Stelle Arafats getreten ist nicht mit ihm verhandelt. Wir sind aus Gaza rausgegangen ohne jede Vereinbarung ohne eine Anerkennung der Legitimität von Abu Mazen oder der Fatah. Man kann sich seinen Partner nicht aussuchen, man muss mit dem verhandeln, der da ist. Wir haben da wirklich eine Gelegenheit versäumt, und es ist keine große Überraschung, dass wir es nun mit der Hamas zu tun haben. Und wenn wir versäumen, mit denen zu sprechen, dann wird es nur immer schlimmer.
Was sollte jetzt geschehen?
Das ist, wie wenn jemand sagt: Vorsicht da ist ein Loch, da ist ein Loch! Und du gehst weiter und fällst in das Loch. Und was nun? Nun, jetzt bist du in das Loch gefallen. Jetzt muss man sich zwischen dem geringeren von zwei Übeln entscheiden. Offensichtlich muss das Kämpfen aufhören und es muss eine Vereinbarung zwischen beiden Seiten geben, egal, wer diese vertritt. Fatah und Hamas müssen entscheiden, wer ihre Vertreter sind.
Sie leben seit neun Jahren in Kfar Azza – haben Sie einmal überlegt die Gegend zu verlassen?
Ja, haben wir – aber ich glaube, wir werden es nicht tun. Wir sind aus vielen Gründen hier. Unser Zuhause, unsere Freunde, unsere Arbeit sind hier. Wir haben darüber nachgedacht. Aber es ist immer noch unser Zuhause.
Cindy Flash arbeitet am Department of Public Administration and Policy des Sapir College in Sderot. Die Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt in diesem Jahr zum fünften Mal die Sapir-Konferenz. Unter dem Titel „Über die Zukunft einer anderen Politik“ wird dort ein Austausch zwischen der akademischen Ebene und der Ebene von Organisationen, die sich für politische und soziale Veränderungen einsetzen, organisiert. Die Konferenz in diesem Jahr ist unter dem Titel „Die Gesellschaft in Israel und die globale Finanzkrise“ für den 28. und 29. Januar geplant. Ob sie tatsächlich stattfinden kann, ist derzeit unklar.
Jörn Böhme leitet das Büro Israel der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv.