Flucht des Hohen Repräsentanten aus Bosnien-Herzegowina?

Miroslav Lajčák ist kurzfristig von seinem Amt als Hoher Repräsentant in Bosnien-Herzegowina zurückgetreten. Wird die Internationale Gemeinschaft ihre Bosnien-Herzegowina-Politik nun neu definieren, eine Lösung für die Zukunft finden? Oder läuft alles auf einen schleichenden Rückzug hinaus - der große Gefahren mit sich bringen kann? ➤ Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen zu Europe und Nordamerika.

Der Rücktritt Miroslav Lajčáks vom Amt des Hohen Repräsentanten in Bosnien-Herzegowina wirft als erster Rücktritt dieser Art die grundsätzliche Frage nach dem internationalen Engagement in Bosnien-Herzegowina und dem undefinierten Verhältnis der Internationalen Gemeinschaft gegenüber dem Land auf.

Miroslav Lajčák, ein junger Karrierediplomat mit Balkan-Erfahrung und hervorragenden Kenntnissen der lokalen Sprache, kam vor eineinhalb Jahren nach Bosnien-Herzegowina und übernahm das Amt des Hohen Repräsentanten von Christian Schwarz-Schilling. Rückblickend muss er, zusammen mit Carl Bildt und Schwarz-Schilling, als einer der weniger erfolgreichen Vertreter der Internationale Gemeinschaft in diesem Land gelten.

Die Geschichte der Hohen Repräsentanten in Bosnien-Herzegowina

Ein positives Gegenbeispiel ist Carlos Westendorp, in dessen Wirkungszeitraum die Bürgerinnen und Bürger von Bosnien-Herzegowina einheitliche Reisepässe, Kennzeichen für Kraftfahrzeuge, Wappen und Staatsflagge, sowie eine einheitliche bosnisch-herzegowinische Währung - die Konvertible Mark - erhielten. Der vermutlich erfolgreichste Hohe Repräsentant, Wolfgang Petritsch, hatte stufenweise mit der Übertragung der souveränen Zuständigkeiten von den Entitäten (den ethnischen Teilrepubliken) auf die gesamtstaatliche Ebene begonnen. Besonders in Erinnerung bleiben wird er durch das Gesetz, demzufolge alle Völker auf dem Territorium des Staates für Bosnien-Herzegowina konstitutiv sind - und das Dank seines Einsatzes verabschiedet wurde.

Sein Nachfolger, Paddy Ashdown, fuhr mit der Aufhebung der Zuständigkeiten der Entitäten zugunsten des Gesamtstaates fort, und so erhielt Bosnien-Herzegowina seinerzeit einheitliche Streitkräfte, eine einheitliche Zollbehörde, einen einheitlichen Nachrichtendienst. Zu Ashdowns Zeiten war Bosnien-Herzegowina nur einen Schritt von einer einheitlichen Polizei entfernt. Was aber alle Hohen Repräsentanten gemeinsam haben - was ohnehin die Internationale Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina auszeichnet - ist das Fehlen einer konsequenten Strategie und zwar von Anbeginn ihres Engagements an. Die von dem Friedensabkommen von Dayton herrührende Konstruktion Bosnien-Herzegowina ist einfach nicht in der Lage, dringend notwendige Reformen für den Prozess der EU-Integration anzuschieben. Was bleibt, ist eine immer stärker werdende Politik der Ethnien, die bereits seit 17 Jahre auf der politischen Bühne zu sehen ist.

Miroslav Lajčák - auffällig unauffällig

In seinen etwas mehr als 18 Monaten in Bosnien-Herzegowina griff Miroslav Lajčák nur zweimal nennenswert ein: Einmal, als er 93 Personen, die im Verdacht stehen, bei der Durchführung oder Unterstützung des Genozids in Srebrenica beteiligt gewesen zu sein, die Personalausweise entzog. Ein zweites Mal wurde er aktiv im Oktober 2007, als es darum ging, das Quorum für die Arbeit des Ministerrates und beider Häuser im Parlament Bosnien-Herzegowinas zu ändern, d.h. die Zahl der Stimmberechtigten, die sich an einer Abstimmung beteiligen müssen, damit diese gültig ist. Diese Entscheidung hatte die Stärkung der staatlichen Institutionen und deren effizientere Arbeit zum Ziel. Da die Dinge in Bosnien-Herzegowina jedoch immer anders liegen, führte diese Entscheidung das Land in die größte politische Krise nach Kriegsende und blockierte monatelang alle politischen Aktivitäten, einschließlich der so dringend notwendigen Reformen. Der Premierminister der Republika Srpska, Milorad Dodik, nutzte den Versuch, die staatlichen Institutionen zu stärken, dafür mit der Abspaltung zu drohen. Dodik griff auf perfide Weise auf die nationalistische Rhetorik früherer Zeiten zurück, was den Bürgerinnen und Bürgern nicht ohne Grund das Blut in den Adern gefrieren ließ, wurde ihnen doch bewusst die Erinnerung an die blutigen Kriegstage ins Gedächtnis gerufen.

Lajčák nutzte seine Befugnisse nicht um zu verhindern, dass Milorad Dodik die Verfassung  von Bosnien-Herzegowina untergrub. Bis auf wenige Ausnahmen befasste Miroslav Lajčák sich hauptsächlich mit der Tagespolitik - und das nicht unbedingt erfolgreich. Meist reagierte er bloß auf das, was Mitglieder des Staatspräsidiums von Bosnien-Herzegowina wie Haris Silajdžić und insbesondere der Premierminister der Republika Srpska, Milorad Dodik, taten. Seine Reaktionen folgten dabei meist dem Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche: Letztere benutzte er widerwillig, wirkungslos und wenig glaubwürdig, während die positiven Signale teilweise die Grenzen des guten Geschmacks überschritten. So im März 2008: Damals erklärte Lajčák, der Premierminister der Republika Srpska, Milorad Dodik, habe nach der Ausrufung der Unabhängigkeit des Kosovo erfolgreich den Frieden und die Stabilität erhalten - und sei deswegen der beste Politiker des Landes. Solche Ermutigungen stärkten Dodik, förderten seine nationalistischen und sezessionistischen Absichten und läuteten eine weitere Runde in dem alten Spiel ein: Milorad Dodik gegen die Internationale Gemeinschaft. Dass unter solchen Umständen niemand mehr über Reformen spricht, kann nicht verwundern.

Viel Zuckerbrot, wenig Peitsche

Erfolgreich ist ein Hoher Repräsentanten in Bosnien-Herzegowina dann, wenn es ihm oder ihr gelingt, persönliche Fähigkeiten und Visionen zu verbinden mit Unterstützung aus Brüssel und aus seinem oder ihrem jeweiligen Herkunftsland. Weiter hängt der Erfolg zu einem Großteil davon ab, wie gut die Zusammenarbeit mit den örtlichen Politikerinnen und Politikern gelingt.

Der Rücktritt von Miroslav Lajčák zeigt, dass das Verhältnis zwischen Internationaler Gemeinschaft und Bosnien-Herzegowina unklar ist. Miroslav Lajčák fällte seine Entscheidung über Nacht, im Alleingang und ohne ernsthafte Beratung mit dem Rat zur Implementierung des Friedens von dem er ernannt worden war. Auch aus Brüssel schienen keine ernsthaften Einwände zu kommen - was zeigt, wie nachlässig die Internationale Gemeinschaft mit Bosnien-Herzegowina umgeht.

Miroslav Lajčák selbst wies in den vergangenen Monaten darauf hin, dass die Internationale Gemeinschaft ihr Verhältnis zu Bosnien-Herzegowina neu definieren müsse. Er kündigte einen Wandel in der Politik Brüssels an und betonte, es sei notwendig, die bosnisch-herzegowinische Frage auf Ebene der Außenminister der EU-Staaten und der USA zu lösen. Bis heute blieben dies leere Versprechungen. Der Ernst der Lage in Bosnien-Herzegowina hat die Internationale Gemeinschaft jedoch nicht dazu bewegen können, das Treffen des Rats zur Implementierung des Friedens (geplant für Ende März 2009) vorzuziehen. Am 27. Januar 2009 fand eine Sitzung der Botschafter der Mitgliederstaaten des Rates statt, deren einziger Tagesordnungspunkt der Rücktritt von Lajčák war. Sie dauerte etwa 20 Minuten. All das und die Tatsache, dass die Sitzung ohne konkrete Beschlüsse endete, bestätigt die Kontinuität der Diskontinuität des internationalen Politik im Hinblick auf Bosnien-Herzegowina.

Die Internationale Gemeinschaft handelt - nicht

Schon zwei Tage nach seinem Rücktritt wurde Lajčák zum Außenminister der Slowakei ernannt. Er wird demnach für einige Wochen drei Funktionen inne haben: Hoher Repräsentant, EU-Sonderbeauftragter und Außenminister eines EU-Staats. Gegenüber dem Rat zur Implementierung des Friedens hat Miroslav Lajčák sich dafür eingesetzt, dass weiterhin eine Person die Funktion des Hohen Repräsentanten und des EU-Sonderbeauftragten ausfüllt. Es sei ziemlich sicher, dass diese Person aus der EU kommen werde, sagte Lajčák, es sei aber noch zu früh, einen Namen zu nennen. Spekulationen gibt es viele, zum Beispiel die, dass die Doppelfunktion getrennt, dass ein US-Amerikaner Hoher Repräsentant wird, da der  EU-Sonderbeauftragter sowieso Europäer ist.

Das Durcheinander um die Rolle der Internationale Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina ereignet sich ausgerechnet in einer Zeit der inneren Konfusion im Lande. Das Treffen der Parteichefs der SDA (Partei der Demokratischen Aktion), SNSD (Partei der unabhängigen Sozialdemokraten) und der HDZ BuH (Kroatische Demokratische Gemeinde) im kleinen Dorf Prud im November 2008 resultierte im so genannten „Pruder Abkommen“. Es bezieht sich auf die Reform der Verfassung, eine Volkszählung und Staatseigentum. Obwohl dieses Abkommen ohne konkreten Inhalt ist, nannte es die Internationale Gemeinschaft einen „Erfolg der lokalen politischen Eliten“.

Bosnien-Herzegowina: Nationaler Wirrwarr, Internationale Planlosigkeit

Wie so oft in Bosnien-Herzegowina, fallen Abkommen entweder dem Vergessen anheim - oder sie werden auf hauptsächlich „ethnische“ Art und Weise interpretiert. Das Treffen der Parteichefs der SDA, Sulejman Tihić, SNSD, Milorad Dodik, und HDZ Bosnien-Herzegowina, Dragan Čović, vom 26. Januar 2009 in Banja Luka ist ein Beispiel dafür. In der Erklärung dazu liest man: „Bosnien-Herzegowina ist ein souveräner Staat und wird aus vier territorialen Einheiten bestehen.“ Milorad Dodik wies auf die Unantastbarkeit der Republika Srpska hin, die zusätzlich 0,4 Prozent Territorium erhalten solle. Dragan Čović sieht darin Möglichkeiten für eine kroatische Entität. Tihićs Interpretation sieht eine Lösung, nach der die neue territoriale Teilung auf historischen und wirtschaftlichen Prinzipien beruhen wird. Und: Die Republika Srpska bleibe innerhalb der bestehenden Grenzen. Nur einige Stunden nach dem Treffen in Banja Luka hatte er allerdings behaupte, die Grenzen der Republika Srpska ständen zur Disposition. Ein Satz verursachte so Chaos und Angst im Land. Es folgten Dementis …Von den Vertreterinnen und Vertretern der Internationale Gemeinschaft jedoch kam Lob für das Treffen in Banja Luka.
All das zeigt, dass sowohl die vor Ort gemachte Politik wie auch die der Internationalen Gemeinschaft oberflächlich ist. Offensichtlich wird auf internationaler Ebene in erster Linie nach einer raschen Lösung gesucht - gleichweg welcher Art - um einen Rückzug aus Bosnien-Herzegowina vorbereiten zu können.

Schlüsselfrage für die Zukunft

Eine Schlüsselfrage nach dem Weggang von Miroslav Lajčák lautet: Wird die Internationale Gemeinschaft ihre Politik Bosnien-Herzegowina gegenüber neu definieren, sie konsistenter machen und sie auf einen gemeinsamen Nenner bringen - einen zudem, an den man sich dann auch hält?

Folgende Szenarien sind vorstellbar: Die Internationale Gemeinschaft improvisiert wie bisher und greift nur dann ernsthaft ein, wenn die Erhaltung des Staates gefährdet ist. Oder: Die Internationale Gemeinschaft wird versuchen, Bosnien-Herzegowina zum Mitglied von EU und NATO zu machen. Oder – und das wäre bedrohlich: Es kommt zu einer nur noch symbolischen Präsenz in Bosnien-Herzegowina, die mit der Zeit dazu führt, dass man sich mit den Realitäten vor Ort arrangiert.

In letzter Konsequenz könnte dieses dritte Szenario dazu führen, dass Territorien umverteilt werden und es zu einer weiteren Schwächung der Gesamtstaatlichkeit kommt - oder, im schlimmsten Falle, zu einem Zerfall des Staates und zu erneuten bewaffneten Konflikten.