Der Neue im BMZ - Zur Selbstmarginalisierung der Entwicklungspolitik

Das Europahaus
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Das Europahaus in Berlin-Kreuzberg, Berliner Dienstsitz des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

„Deutschlands Zukunft“ – so heißt das Vertragswerk – findet ohne größeren politischen Gestaltungswillen für Internationales statt. Das gilt nicht nur für den mehrfach zitierten Abschied Deutschlands als Vorreiter im Klimaschutz. Globalisierung ist im Koalitionsvertrag zwar eine wichtige Referenzvokabel, sie wird - wenn überhaupt – weniger als politische als vielmehr ausschließlich ökonomische Aufgabe verstanden. Innovative Zielstellungen für den Umgang mit den neuen politischen Klubs wie den BRICS-Ländern finden sich nicht.

Verpasste Chance

Dafür gibt es umso mehr Altbekanntes, z.B. zur Stärkung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit im globalen Handel und bei den Investitionen, darunter natürlich ein Pro gerade auch für bilaterale Freihandelsabkommen. Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen den USA und Europa wird als Abkommen für mehr wirtschaftliches Wachstum und mehr Jobs gepriesen. Der Schutz für Verbraucher/innen, mehr soziale und ökologische Standards, Klimaschutz oder eine ressourcenschonende Produktionsweise beiderseits des Atlantiks voranzubringen, davon ist keine Rede.

Im Koalitionsvertrag gibt es keinen roten Faden und kein kohärentes Konzept, wie Deutschland seiner globalen Verantwortung gerecht werden möchte. Beinahe hilflos kommen die Aussagen zu Konfliktregionen mit hohem Gewalt- und Krisenpotential wie dem Nahen und Mittleren Osten, Zentralafrika oder Südasien, inklusive Afghanistan, daher. Afrika und Lateinamerika werden in einem Kapitel in gerade einmal 23 Zeilen „zusammengefasst“. Aussagen in diesem Absatz, wie „wir wollen uns auf die Länder konzentrieren, die unsere Werte teilen“, sind fatal. Was passiert denn mit den Menschen in Ländern, die nicht „unsere Werte“ teilen (welche?) und dennoch nach Menschenrechten und Demokratie streben angesichts von Hunger und Unterernährung?

Flickschusterei und die widersprüchlichen außen-, wirtschafts- und entwicklungspolitischen Interessen, wie sie sich auch in Ressortzuschnitten artikulieren, bleiben uns erhalten. Es ist keinerlei politischer Wille im Koalitionsvertrag zu erkennen, sich z. B. über gemeinsame Länderstrategien der Ressorts in kohärenter und vernetzter Weise mit den Herausforderungen der Armutsbekämpfung, der Ernährungssicherheit, des Ressourcen- und Klimaschutzes oder der Krisenprävention zu widmen, von einer Reorganisation der Ministerienlandschaft, wie sie viele Akteure, u.a. auch das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) im Sinne eines Ministeriums für globale Entwicklung gefordert haben, ganz zu schweigen.

Zwar soll die ressortübergreifende Zusammenarbeit – laut Koalitionsvertrag – gestärkt werden. Zum „Wie“ findet sich jedoch nichts Konkretes. Im Koalitionsvertrag steht zum Beispiel der Satz, dass die versprochenen Klimaschutzmittel der Bundesregierung zwischen den Ressorts, vor allem dem BMU und dem BMZ „in fairer Weise“ verteilt werden sollen. Aha! Aber nach welchen programmatischen Zielstellungen? Jeder für sich nach eigenem Gutdünken und eigenen Kriterien? Oder mit gemeinsamen länderbasierten Konzepten? Auch das Auswärtige Amt meldet sich bereits zu Wort und hätte gerne mehr operative Verfügungsmasse zur globalen Gestaltung beim Klimaschutz und bei den 2015 auf UN-Ebene neu zu verabschiedenden Nachhaltigen Entwicklungszielen.

Proporzministerium BMZ

Entwicklungspolitik als einzelnes Politikfeld und in einem eigenen Ministerium wie dem BMZ institutionell verortet, gilt angesichts der globalen Machtumbrüche und der interdependenten Herausforderungen mehr und mehr als überholt. Das BMZ hat zudem unter dem FDP-Minister Niebel und seinem Fokus auf bilaterale und stark außenwirtschaftlich orientierte Entwicklungszusammenarbeit an Gestaltungsmacht in internationalen Governance-Prozessen verloren – sei es in der Weltbank, im globalen Klimaschutz oder in der globalen Armutsbekämpfung

Die Selbstmarginalsierung deutscher EZ findet ihren Ausdruck auch darin, dass es ein Politikfeld geworden ist, in dem sich kaum noch ein Politiker oder eine Politikerin – egal welcher Parteicouleur – im Parlament engagieren möchte. Das ist zwar nicht ganz neu, hat aber eine neue Qualität. Dass das BMZ an einen CSU-Mann, nämlich Gerd Müller, ging, ist auch nicht neu. Die CSU hatte in den 1980er Jahren und Anfang der 1990er bereits dreimal einen BMZ-Minister gestellt – sie hießen Warnke, Klein und Spranger und gehörten, wie Müller jetzt, nicht zur ersten Garde der CSU, passten aber gut in den Regionalproporz der CSU – damals Franken, heute ein Allgäuer.

Neue Töne?

Die Perspektiven auf Gerd Müller sind bislang unterschiedlich. Für die einen ist er ein „Lobbyist der Agrarindustrie“ (Uwe Kekeritz, entwicklungspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag). Die anderen hoffen, dass der ehemalige Parlamentarische Staatsekretär (seit 2005) im Landwirtschaftsministerium einen Schwerpunkt auf Landwirtschaft und Ernährungssicherung setzt (z.B. die Deutsche Welthungerhilfe).

Müllers erste öffentliche und programmatische Aussagen, so in einem Interview der Süddeutschen Zeitung am 27.12.2013, sind zwiespältig. Einerseits sind es – nach Niebel – erfreuliche Töne aus dem BMZ, wenn der Minister davon spricht, „dass der Markt und die Macht Grenzen benötigen - soziale und ökologische“, sowie höhere soziale und ökologische Standards bei der WTO fordert. Für die Verhandlungen in der WTO ist er aber nicht zuständig. Andererseits trägt er Mitverantwortung für die zwischen BMZ und BMVEL ausgehandelte Agrarexportoffensive. Im Agrarbereich stehen die Exporte deutschen Geflügels und deutscher Schweine an erster Stelle – zum Schaden lokaler und kleinbäuerlicher Produktion in Entwicklungsländern.

Wenn Müller – wie im Interview angekündigt – die lokale landwirtschaftliche Produktion durch bessere Beratung oder Zugang zu Landrechten aufwerten will, muss er den Widerspruch zwischen den deutschen agroindustriellen Ex- und Importinteressen auflösen, vor allem die massiven Futtermittelimporte für unsere Mastställe aus dem globalen Süden zurückfahren. Es ist erfreulich, dass im Koalitionsvertrag das Menschenrecht auf Nahrung oder die Freiwilligen Leitlinien zur verantwortungsvollen Landnutzung der FAO erwähnt werden. Das bietet gute Ansatzpunkte, den neuen Minister beim Wort zu nehmen und ihm bei seinem tatsächlichen Handeln auf die Finger zu schauen.

Gefordert sind Signale der Glaubwürdigkeit

Auch der Bezug zu Menschenrechten nimmt im entwicklungspolitischen Teil des Koalitionsvertrags eine nicht unwichtige Rolle ein. Auch hier kann Gerd Müller neue Akzente der Glaubwürdigkeit setzen. In Dirk Niebels Amtszeit wurde zum ersten Mal in der Geschichte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ein verbindliches Konzept zur Umsetzung von Menschenrechten in der deutschen Entwicklungspolitik vorgelegt (2011). Darin steht, dass ein Mechanismus geprüft werden soll, der es erlaubt, Beschwerde einzureichen, wenn Menschenrechte durch deutsche Entwicklungszusammenarbeit verletzt werden. Bislang gibt es diesen Mechanismus aber nicht.

Dem Vernehmen nach wollen bislang weder die GIZ noch die KfW einen solchen Beschwerdemechanismus; stattdessen wollen sie weiterhin an ihren - nicht öffentlichen - internen Mediationsverfahren festhalten, falls es zu Beschwerden oder Konflikten mit den Betroffenen der deutschen EZ kommt. Sie scheuen offensichtlich die Öffentlichkeit eines solchen als unabhängig konzipierten Mechanismus, der aber viel für die Rechte zivilgesellschaftlicher Akteure bringen könnte.

Der neue Minister könnte hier also einen Meilenstein setzen, wenn er dem menschenrechtlichen Beschwerdemechanismus endlich zum Durchbruch verhülfe. Es wäre ein Novum in der deutschen EZ und vor allem ein allererster Schritt, extraterritoriale Staatenpflichten für Menschenrechte umzusetzen, die dann nicht nur für die deutsche EZ, sondern auch für deutsche Firmen, die im Ausland investieren, angewendet werden könnten.

Zu alledem steht zwar nichts im Koalitionsvertrag. Aber dort steht auch vieles andere nicht oder bleibt so unkonkret wie z.B. die Frage, die Rüstungsexporte Deutschlands vor allem in Kriegs- und Krisengebiete wirksam zu unterbinden. Um die „Zukunft Deutschland zu gestalten“, und zwar in globaler Verantwortung für soziale und ökologische Gerechtigkeit und Demokratie, braucht es mehr denn je eine interventionsfähige und wache parlamentarische und außerparlamentarische Opposition!

Hinweis: Dieser Artikel erschien zunächst im Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 9. Januar 2014