Die Präsidentschaftswahl in der Slowakei: Wenn die konservative Karte nicht zieht

Regierungsgebäude von oben

Es ist der 25. März 2014, vier Tage vor der zweiten Runde der slowakischen Präsidentschaftswahl. Das Land ist überzogen von schwarz-weißen Plakatwänden, die ein Zitat der positiven Antwort des bürgerlichen Kandidaten Andrej Kiska auf eine von der Tageszeitung SME gestellten Frage abbilden: „Befürworten Sie eingetragene Partnerschaften für Homosexuelle?“ Die Plakatwände sind Teil einer Negativkampagne gegen Kiska. Der Gegenkandidat, Premierminister Robert Fico, Vorsitzender der Partei Richtung Sozialdemokratie (Smer-SD), ist schon lange gegen eingetragene Partnerschaften, was er in Fernsehdebatten wiederholt betont hat.

An diesem Tag trafen sich beide Kandidaten mit Vertretern der Allianz für die Familie, die eine Petition organisiert, um ein Referendum zum Schutz der Ehe und Familie abzuhalten. Beide Männer reagierten ähnlich, indem sie den Vertretern der Allianz versicherten, dass sie nicht das Recht der Bürger ignorieren würden, ihre Meinungen in einem Referendum zu äußern, sie aber gleichzeitig daran erinnerten, dass ein Referendum nur Fragen beinhalten dürfe, die mit der Verfassung in Einklang stünden. Daher wären sie daran interessiert, etwas über die spezifischen Inhalte des vorgeschlagenen Referendums zu erfahren.

Die Allianz für die Familie, eine Vereinigung einiger Dutzend zivilgesellschaftlicher Organisationen und Bewegungen, gründete sich Ende 2013 als Reaktion auf „gegenwärtige Bedrohungen der Familie in Europa und der Welt”, die sie an der Tatsache festmachen, dass „auf der Ebene des Europäischen Parlaments und anderen Institutionen wie auch in einzelnen EU-Ländern […] und Ländern der Welt Gesetze, Empfehlungen und andere legislative Dokumente durchgesetzt werden, die der Einzigartigkeit von Ehe und Familie zuwiderlaufen“. Nach Ansicht der Allianz für die Familie ist die Slowakei ebenfalls eines solchen Risikos ausgesetzt. Zum Beispiel sieht sie eine Gefahr in dem – wenn auch erfolglosen – Versuch einiger Abgeordneter, 2012 ein Gesetz über eingetragene Partnerschaften zu verabschieden; in der Gründung des Ausschusses für die Rechte von Lesben, Schwulen, bisexuellen, Transgender- und intersexuellen Menschen im Regierungsrat für Menschenrechte, ethnische Minderheiten und Geschlechtergleichstellung im Jahre 2012; in der Tatsache, dass die von der Regierung vorbereitete Nationale Strategie zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte die Rechte von LSBTI-Personen einschließen sollte (2013); und in der vorgeschlagenen Ratifizierung des sogenannten Übereinkommens von Istanbul, das „gefährliche Gender-Terminologie“ enthält.

Die Allianz für die Familie will ein Referendum, weil ihr die jüngste politische Vereinbarung zwischen der sich in der Opposition befindlichen Christlich Demokratischen Bewegung (KDH) und der regierenden Smer-SD offensichtlich nicht ausreicht, die Verfassung durch das Einfügen folgender zwei Sätze zu ändern: „Die Ehe ist ein einzigartiger Bund zwischen einem Mann und einer Frau. Die Slowakische Republik schützt die Ehe umfassend und fördert ihr Wohlergehen“. Der Allianz für die Familie zufolge kann dieser Schritt nicht hinreichend der „Kultur des Todes“ entgegentreten, die die Tradition christlicher Kultur und Moral schwächt. Dafür seien auch Veränderungen im Schulwesen und in anderen Bereichen nötig.

Zwei neue Sätze in der Verfassung als ein „historischer Wendepunkt“?

Auf der anderen Seite präsentieren beide politische Parteien, die diese christlich-demokratisch initiierte Vereinbarung vor der Wahl „gebacken“ haben, diese als einen historischen Wendepunkt. Die KDH musste die Smer-SD noch nicht einmal dazu drängen zuzustimmen. Die Partei, die sich zu sozialdemokratischen Werten bekennt, fand es leicht, die Idee der Stärkung des verfassungsmäßigen Schutzes für die traditionelle eheliche Familie anzunehmen. Kurzfristig schlug sie eine weitere Verfassungsänderung vor, die auf den Bereich der Justiz zielte, die lange von der Smer-SD-Regierung vernachlässigt worden war.

Tatsächlich kam dem Präsidentschaftskandidaten Fico die Gelegenheit die KDH zu unterstützen, ziemlich gelegen, weil er damit bei den konservativen Wählern „punkten“ wollte. Noch vor der ersten Runde bemühte er sich, ihre Unterstützung mit seiner „Video-Beichte“ zu gewinnen, in der er sich ihnen überraschend in Bezug auf seine katholische Erziehung in seiner Kindheit anvertraute. Es war den Medien überlassen darauf hinzuweisen, dass Fico seinen Atheismus betont hatte, als er der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KSČ) beitrat und dies selbst später noch tat. Die Rückkehr des „verlorenen Sohnes“, der in der Öffentlichkeit den ironischen Spitznamen „Genosse Katholik“ erhielt, wurde vor den Wahlen von etlichen Kirchenvertretern begrüßt, z.B. von Ján Chryzostom Kardinal Korec, der seine Unterstützung für Fico zum Ausdruck brachte.

Die KDH, von dem sehr schlechten Abschneiden ihres Präsidentschaftskandidaten Pavel Hrušovský überrascht, wird aber nicht leer ausgehen. Die Verfassungsänderung könnte dazu dienen die Wunde zu verbinden und gleichzeitig – woraufhin etliche Kommentatoren hingewiesen haben – als Schlüssel fungieren, der die Tür zu einer künftigen Regierungszusammenarbeit zwischen der rechtskonservativen KDH und der linkskonservativen Smer-SD öffnen könnte.

In dieser Hinsicht war vor der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl alles auf dem besten Weg: Bei der ersten Lesung im Nationalrat stimmten 103 der 126 anwesenden Abgeordneten, also über zwei Drittel aller 150 Abgeordneten, für die vorgeschlagene Verfassungsänderung. Fünf Abgeordnete waren dagegen; Missbilligung wurde hauptsächlich durch Abwesenheit oder Stimmenthaltung zum Ausdruck gebracht.

Die Abgeordneten hatten offensichtlich die Tatsache berücksichtigt, die durch eine kürzlich durchgeführte und von der KDH in Auftrag gegebene Meinungsumfrage bestätigt wurde, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung dem Hinzufügen dieser zwei Sätze zur Verfassung zustimmt (82 Prozent, davon 51 Prozent vorbehaltlos).

Zwei Sätze in der Verfassung versus eine Diversität von Familienformen

Auf den ersten Blick scheint eine solch massive Unterstützung überraschend. Schließlich hat die slowakische Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten eine zunehmende Diversität von Formen familiären Zusammenlebens erlebt, womit sie in keinerlei Weise vom gesamteuropäischen Trend abweicht. Trotz eines Rückgangs von Schwangerschaftsabbrüchen gibt es in der Slowakei einen Abwärtstrend der Geburten- und Eheschließungsraten; auch hier steigt die Anzahl der Kinder, die in nichtehelichen Familienformen geboren und aufgezogen werden.

Die Tatsache, dass die meisten Befragten ihre Zustimmung zur Verfassungsänderung gaben, die den Schutz der Ehe als einer Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau betont, zeigt offenbar, dass sie ihr keine große Bedeutung beimessen und nicht erwarten, dass sie diskriminierende Konsequenzen für andere Familientypen haben wird.

Zugleich ist es allerdings offensichtlich, dass sie – hätten die Bürger eine Wahl – spezifische gesetzliche Änderungen, die die sozialen Bedingungen von Familien verbessern, gegenüber einer Verfassungsänderung bevorzugen würden, da solche Veränderungen über die Grenzen des profamiliären Populismus hinausreichen würden.

Ein Teil der Kritik an den vorgeschlagenen Verfassungsänderungen erfolgte genau in diesem Sinne. Wie z.B. der Abgeordnete Martin Poliačik (Freiheit und Solidarität – SaS) verdeutlichte, sind Familien von einem Mangel an finanziellen Ressourcen bedroht, was auf unterschiedliche Weise gelöst werden kann: „Die Aufhebung des Verbots, Elterngeld bei einem auf kurze Zeit befristeten Arbeitsvertrag zu beziehen, eine Erhöhung der Leistungen bei Mutterschaft von 55 Prozent auf 65 Prozent der Tagesbemessungsgrundlage, eine Verlängerung der Elternzeit von 28 auf 34 Wochen – das ist Pro-Familienpolitik – nicht zwei sinnlose Sätze in der Verfassung… Die Verfassungsdefinition wird weder Kindesmisshandlung verhindern noch Eltern davor bewahren, dem Alkoholismus zu verfallen und ihre Familien zu zerstören.“ Nach Poliačik „benötigt die Ehe keinen verfassungsmäßigen Schutz; geholfen werden muss unverheirateten Paaren und gleichgeschlechtlichen Paaren“.

Was wollen die Unterstützer der Verfassungsänderung?

In dieser Hinsicht sprechen die Unterstützer der Verfassungsänderung allerdings eine klare Sprache. Nach dem Abgeordneten Martin Fronc von der KDH ist es nicht möglich, die traditionelle Familie auf die gleiche Stufe zu stellen wie gleichgeschlechtliche Paare, denn, so Fronc, „wenn wir das täten, würde die Menschheit aussterben“. Die ehemalige Familienministerin Viera Tomanová von der Smer-SD verteidigte auch die auf einem Mann und einer Frau basierenden traditionellen Familien: „Jedes Kind sollte ein ordentliches Modell von einer normalen Familie erleben; wir suchen überall nach Paaren bestehend aus einem Mann und einer Frau“.

Aus den erwähnten Aussagen der Verteidiger der Verfassungsänderung wird deutlich – und es könnten noch sehr viele mehr aufgezählt werden – dass sie ihr einen präventiven Charakter zuschreiben; ihr Ziel ist es zu verhindern, dass die Stellung gleichgeschlechtlicher Paare in der Slowakei gestärkt wird. Dies war es, worauf 28 Organisationen und 77 Persönlichkeiten Anfang März mit einem Brief an die Abgeordneten reagierten, um an sie zu appellieren, die vorgeschlagene Verfassungsänderung abzulehnen. Wie Martin Macko, ein Vertreter der Initiative Inakosť (Andersartigkeit), ausführte, „erhöht die vorgeschlagene rechtliche Änderung in keiner Weise den existierenden verfassungsmäßigen Schutz von Ehe, Familie, Elternschaft und Kindern, die auch durch internationale Abkommen und Menschenrechtskonventionen geschützt sind. Das einzige wirkliche Ziel dieser Änderung ist, den Zugang gleichgeschlechtlicher Paare zur Institution der Ehe und wahrscheinlich auch zu jeglicher anderer rechtlichen Anerkennung ihrer Beziehungen zu begrenzen“. Daher appellierten die Unterzeichner des Briefes an die „Abgeordneten des Nationalrates sicherzustellen, dass Gesetzgebung und Politiker die Diversität der Familienformen anerkennen und alle erforderlichen gesetzlichen und administrativen Maßnahmen verabschieden, die gewährleisten, dass keine Familie diskriminiert wird aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität von Personen“.

Die Tatsache, dass dieser Appell kein Gehör fand, ist nicht sonderlich überraschend. Schließlich hat sich Robert Fico vor vier Jahren ziemlich klar geäußert: „Wenn ich eine nach der Bedeutung der Angelegenheiten geordnete Liste mit 74.000 Punkten zu erstellen hätte, würde es ein Gesetz über eingetragene Partnerschaften nicht auf die Liste schaffen“. Vertreter der Smer-SD lehnen den Einwand ab, dass eine solche Haltung nicht eine sozialdemokratische Orientierung widerspiegeln würde, indem sie argumentieren, dass die Sozialdemokratie in der Slowakei ihre eigenen Besonderheiten habe. Auch aus diesem Grund hat die Smer-SD nicht eine erneute Anstrengung unterstützt, um eine Gesetzgebung über eingetragene Partnerschaften im Jahre 2012 zu verabschieden (obwohl die Partei der Demokratischen Linken, aus der die Smer-SD folgte, für dieses Gesetz 2002 vergebens eingetreten war).

Tabuisierung des Themas sexuelle Minderheiten

Allerdings stört die Tatsache, dass die Verfassungsänderung die Chancen auf die Inkraftsetzung eines Gesetzes zu eingetragenen Partnerschaften verringert, den größten Teil der slowakischen Öffentlichkeit nicht. Eine 2012 durchgeführte Umfrage zeigte, dass weniger als die Hälfte (47 Prozent) der Bürger solch eine Maßnahme unterstützt, während 38 Prozent sie ablehnen und 15 Prozent dazu keine klare Meinung haben.

Nach Eurobarometer-Umfragen von 2009 und 2012 betrachtet knapp ein Drittel der Bevölkerung in der Slowakei Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung als häufig, im Vergleich zu nahezu der Hälfte der EU-27-Einwohner. Nur ein Fünftel der slowakischen Öffentlichkeit vertritt die Ansicht, dass Lesben und Schwule „offen ihre sexuelle Orientierung verkünden und für ihre Rechte kämpfen sollten“, wohingegen der Rest der Befragten meint, dass „sie ruhig sein und keine ihrer Rechte einfordern“ oder eine neutrale Position einnehmen sollten.

Die Tabuisierung von minoritären sexuellen Orientierungen ist auch erkennbar an der geringen Sichtbarkeit von Personen mit minoritären sexuellen Orientierungen in der Öffentlichkeit. Nach einer Eurobarometer-Umfrage von 2012 haben nur 15 Prozent der Befragten in der Slowakei Personen mit minoritären sexuellen Orientierungen unter ihren Freunden oder Bekannten, während der EU-27-Durchschnitt 41 Prozent beträgt.

Was die Präsidentschaftswahl über die Slowakei aussagt

In der Nacht vom 29. zum 30. März machte die slowakische Gesellschaft eine Aussage über sich: Sie wählte Andrej Kiska zum neuen Präsidenten. Die Tatsache, dass in ebendieser Nacht die Menschen ihre Uhren vorstellten, ist symbolisch.

Die Präsidentschaftswahl bescherte Premierminister Robert Fico eine unerwartet vernichtende Niederlage. Der Appell an konservative Wähler, die der „Genosse Katholik“ erreichen wollte, erwies sich als unzureichend wirksam.

Somit hat die Slowakei dank der Präsidentschaftswahl im Frühling 2014 zwei widersprüchliche Geschenke erhalten.

Einerseits wird die Verfassungsänderung wahrscheinlich nach den Wahlen mit dem Ziel vollendet werden, die Slowakei unter den Ländern zu halten, in denen Gesetze zwar die Diskriminierung von Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen beim Zugang zu Dienstleistungen und Beschäftigung verbieten, aber wo diese Personen – im Gegensatz zu den meisten Ländern der EU 28 – nicht die gesetzliche Option haben, eingetragene Partnerschaften oder eine Ehe zu schließen.

Andererseits wird die Slowakei einen neuen Präsidenten haben, der nie ein Mitglied der Kommunistischen Partei war, und auch eine Person ist, von der man künftig größeren Respekt für die Bedürfnisse von Menschen verschiedener sexueller Orientierungen nach Würde und Menschenrechten erwarten kann. In diesem Kontext sei darauf hingewiesen, dass es in der ersten Wahlrunde einige Kandidaten gab, die die Möglichkeit unterstützten oder zumindest nicht eindeutig ablehnten, ein Gesetz über eingetragene Partnerschaften in Kraft zu setzen. Dies ist eine bedeutende neue Entwicklung in der Slowakei.

Es ist somit offensichtlich, dass der Kampf für die Umsetzung der Vision von der Slowakei als eine Heimat für alle – einschließlich sexueller Minderheiten – noch nicht vorbei ist und nach der Präsidentschaftswahl in eine neue, hoffnungsvollere Phase eintreten könnte.

Nachtrag:
Am 4. Juni 2014 stimmten die Abgeordneten der sozialdemokratischen Partei SMER und der Christdemokraten KDH im slowakischen Parlament nun für den Verfassungszusatz, der die Ehe als "einzigartige Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau" definiert. Die regierende SMER gab damit den Forderungen der Oppositionspartei KDH nach, im Austausch für deren Zugeständnisse bei einer Justizreform. Von den 128 Parlamentsmitgliedern stimmten 102 für die Verfassungsänderung, 18 lehnten diese ab, 3 enthielten sich und 5 haben nicht mitgestimmt.