Chancen statt Barrieren - Ein neuer Generationenvertrag für eine vielfältige Gesellschaft

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Diskussionsrunde Workshop 8: "Chancen statt Barrieren - Ein neuer Generationenvertrag für eine vielfältige Gesellschaft"

Kurzbericht zu Workshop 8
 

Inputs:
Kazım Erdogan, Vorsitzender „Aufbruch Neukölln“, Berlin
Saraya Gomis, Lehrerin und Pädagogin, Berlin
Moderation: Omid Nouripour MdB, Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
 

Die zentrale Frage des Workshops lautete: Wie sieht eine strukturwirksame Diversity-Politik aus, die Barrieren konsequent beseitigt? Die andere Frage, die darauf folgte war: Wie gelingt es eine solche Politik auf allen Ebenen der Gesellschaft umzusetzen?

Die These, die am Anfang des Workshops zugrunde gelegt wurde, lautete, dass die Chancen auf ein gutes und selbstbestimmtes Leben, auf Bildung und ökonomische Sicherheit in Deutschland noch immer ungleich verteilt sind – und zum großen Teil durch die soziale Herkunft prädestiniert werden. Menschen mit Migrationshintergrund sind vielfach mit offenen oder subtilen Formen der Abwertung und Ausgrenzung konfrontiert.

In der Einführung des Workshops betonte Mekonnen Mesghena, dass heute nach 60 Jahren Einwanderungsgeschichte im Nachkriegsdeutschland die Themen Integration, Teilhabe und soziale Mobilität zu den zentralen Themen der Gesellschaft gehören. Migration ist in Deutschland kein Randthema mehr, sondern ein wichtiger gesellschaftspolitischer Aspekt, der nicht nur Politik, sondern die verschiedenen Ebenen und die sozialen, ökonomischen und kulturellen Dimensionen betrifft.

Während Arbeit die Wahrnehmung von Gesellschaft und Politik auf die Menschen der ersten Einwanderergeneration (der 50er, 60er und 70er Jahre) bestimmte, sind die Fragen und Themen der Nachfolgegenerationen komplexer und vielschichtiger geworden. Teilhabe, Identität und  Zugehörigkeit sowie Diskriminierung und Aufstiegschancen rücken in den Mittelpunkt der migrationspolitischen Auseinandersetzung. Reformen der Staatsbürgerschaft, Debatten um Gleichberechtigung und Rassismus, die Auseinandersetzung um eine humanitäre Flüchtlingspolitik sind nur wenige migrationspolitische Aspekte, mit denen sich heute die deutsche Einwanderungsgesellschaft politisch und im Alltagsleben auseinandersetzt. Viele politische Kompromisse werden nach Mehrheiten und oft opportunistisch gestrickt, deren Haltbarkeit wird schnell von der Dynamik der Realität überholt.

Saraya Gomis, Lehrerin und Pädagogin aus Berlin, stellte die Bildungssituation von Kindern und Schüler/innen mit Migrationshintergrund in den Fokus ihres Vortrages. Soziale Abwertungen, die hauptsächlich in der öffentlichen Debatte ihren Ausdruck finden, führten permanent zur Ausgrenzung von Kindern und Schüler/innen, die der „weißen Norm“ nicht entsprechen. Viele der Kinder und Jugendlichen, die in Deutschland geboren sind, würden in ihrer deutschen Identität in Frage gestellt. Sie sind deutsche Staatsbürger/innen und Deutschland ist ihre Heimat. Viele Jugendliche fühlten sich dennoch hier nicht gewollt. Sie sehen sich mit Zuschreibungen und Konstruktionen konfrontiert, immer noch die/der Türke/in, die/der Schwarze, die/der Araber/in … zu sein, ständig gegen Vorurteile ankämpfen zu müssen. Neben einer inklusiven Bildungspolitik, die die Chancen der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund deutlich verbessert, fordert Saraya Gomis eine Begegnung auf Augenhöhe eine Sprache, die die Kinder und Schüler/innen nicht ausgrenzt.

Kazim Erdogan, Vorsitzender der Berliner Initiative „Aufbruch Neukölln“ legte das Augenmerk in der Generationendebatte auf die Kommunikation. Er stellt das Projekt „Miteinander Reden, Gemeinsam Erleben, Zusammen Bewegen“ vor. Das Projekt findet seit September 2009 monatlich in den Räumen des Vereins Aufbruch Neukölln e.V. statt und wird von Pädagog/innen und Spezialist/innen verschiedener Fachgebiete begleitet. In Gesprächsrunden und Veranstaltungen zu praxisrelevanten Themen werden die Neuköllner/innen verschiedener ethnischer Herkunft und Generationen sensibilisiert und lernen, offen über ihre Situation zu berichten. Das Projekt soll das Zusammenleben und die Kommunikation zwischen deutschen Familien und Migrantenfamilien fördern und stärken. Migrantenfamilien, die im Norden des Bezirkes wohnen, treffen sich mit deutschen Familien aus dem Süden des Bezirkes. Hierbei wird erreicht, dass vorhandene Vorurteile in gemeinsamen Gesprächen und Aktivitäten (z. B. gemeinsames Kochen, Frühstücken und Besuch von Kulturveranstaltungen) abgebaut werden. Gezielt sollen hierbei auch die deutschen Sprachkenntnisse der Teilnehmer/innen mit Migrationshintergrund verbessert werden. Für viele Menschen im Bezirk ist dies die Möglichkeit, mit anderen Nationalitäten zusammen zu kommen und mögliche Ängste vor Fremdheit zu überwinden.

In seiner Abschlussmoderation fasste Omid Nouripour, Mitglied des Bundestages, die Inputs und Diskussion des Workshops mit folgenden Stichpunkten zusammen:

  • Politik und Gesellschaft müssen systematisch Schlüsselbereiche wie Bildung, Ausbildung, Arbeitsmarkt und Öffentlichen Dienst fördern und unterstützen, um die Teilhabe, Sichtbarkeit und Aufstiegschancen von Migrant/innen und anderen sozialen Gruppen voranzubringen
  • Eine teilhabe- und chancenorientierte Politik zielt insbesondere auf die Beseitigung von strukturellen Barrieren und der Schaffung von Chancengerechtigkeit
  • Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels kann eine Untätigkeit für Gesellschaft und Wirtschaft gravierende Auswirkungen haben
  • Eine inklusive Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik sowie eine weitsichtige Familienpolitik führen zu einer strukturwirksamen Diversity-Politik
  • Es ist wichtig „Role models“ zu schaffen und Vorurteile und Rassismen aktiv zu bekämpfen
  • Eine nachhaltige Migrations- und Teilhabepolitik bedarf einen weitsichtigen politischen Gestaltungswillen