Grüne Ordnungspolitik: Leitplanken für eine öko-soziale Marktwirtschaft

Kapitalismus ohne Demokratie tendiert zum Raubbau an Mensch und Natur. Aber ist diese Tendenz tatsächlich dominant? Oder entwickelt sich unter unseren Augen eine Konvergenz von Werten und Wertschöpfung, eine neue Spielart des Kapitalismus, für den Moral und Moneten kein unversöhnbarer Gegensatz mehr sind?

„Der Markt ist ökologisch blind und sozial rücksichtslos“ – so lautet ein Standard der Kapitalismuskritik. Es ist weit verbreitete Überzeugung, dass humane und ökologische Werte im Konflikt mit der privatwirtschaftlich organisierten Wertschöpfung stehen. Die Globalisierung gilt als Verstärker der destruktiven Seite des Kapitalismus – einer weltweiten Dumpingkonkurrenz auf Kosten von Mensch und Natur. Zweifellos gibt es viel Anschauungsmaterial für diese These, insbesondere in Ländern, in denen private Bereicherung und staatliche Kleptokratie nicht durch rechtsstaatliche Institutionen und demokratische Kontrolle gezügelt sind. Kapitalismus ohne Demokratie tendiert zum Raubbau an Mensch und Natur. Aber ist diese Tendenz tatsächlich dominant? Oder entwickelt sich unter unseren Augen eine Konvergenz von Werten und Wertschöpfung, eine neue Spielart des Kapitalismus, für den Moral und Moneten kein unversöhnbarer Gegensatz mehr sind?

Vielfältige Indizien weisen in diese Richtung. Einige Schlaglichter: Unter den Stichworten „Sustainable Business“ (nachhaltige Unternehmensführung) und „Sustainable Investment“ (nachhaltiges Investieren) registriert die Internet-Suchmaschine „Google“ einige Millionen Seiten. Darunter fallen zahllose Unternehmen, Verbände wie das „World Business Council for Sustainable Development“ oder der „Bundesdeutsche Arbeitskreis für umweltbewußtes Management“ (BAUM), Forschungsinstitute, eine Flut von Konferenzen und Publikationen, Investmentfonds, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen. „Mit gutem Gewissen Geld verdienen“ ist das Leitmotiv für eine neue Generation von Anlegern. Allein in Europa sind Hunderte Milliarden Euro in Fonds investiert, die ihre Anlagepolitik an sozialen und ökologischen Maßstäben ausrichten. Fair gehandelte Produkte erobern einen wachsenden Marktanteil. Global aufgestellte Unternehmen wie PUMA oder der Otto-Versand kämmen ihre Lieferkette und Produktpalette nach ökologischen und sozialen Kriterien durch. Die Bewegung für den Rückzug von Anlagekapital aus der Kohleindustrie (Desinvestment) erfasst immer mehr finanzstarke Institutionen, von amerikanischen Universitäten bis zum norwegischen Staatsfonds. In der EU und den USA fließt der überwiegende Anteil der Investitionen im Stromsektor inzwischen in erneuerbare Energien.

Was steckt hinter dieser Entwicklung? Sicher ist auch an einer neuen Generation von Managern die „grüne Welle“ der letzten 30 Jahre nicht spurlos vorüber gegangen. Der springende Punkt aber ist, dass moderne Unternehmen (zumindest in Europa und Amerika) ihr Geschäftsmodell gefährden, wenn sie ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt wirtschaften. Es ist das Interesse an nachhaltiger, langfristiger Wertsteigerung, das zum Umdenken führt.

Kapitalismus im Wandel

Zum einen geht es um Betriebswirtschaft im engeren Sinn: Ein effizientes Umweltmanagement reduziert den Rohstoffverbrauch, senkt den Wasser- und Energiebedarf, vermeidet Abfälle, senkt also Kosten. Dieser Faktor wird um so wichtiger, je höher die branchenspezifischen Kosten für Energie und Rohstoffe liegen. Wer bei der Öko-Effizienz vorn liegt, liegt im Wettbewerb vorn. Das Beispiel der Automobilindustrie zeigt anschaulich, wie die Entwicklung schadstoffarmer Fahrzeuge einen Marktvorsprung verschafft. Ein zweites Motiv ist die Vermeidung ökologischer Störfälle, die Produktionseinbußen und Schadenersatzzahlungen nach sich ziehen.

Ein dritter Faktor ist das „moralische Kapital“ der Unternehmen, ihre öffentliche Reputation: Markenunternehmen sind anfällig für Skandale, und sie sind umgeben von „Wächterorganisationen“, die öffentlich Alarm schlagen, wenn Betriebe gegen zivilisatorische Standards verstoßen. Ein Gutteil der international agierenden Nichtregierungsorganisationen widmet sich mittlerweile der kritischen Beobachtung von Unternehmen. Ist der Ruf eines Konzerns ruiniert, schlägt das auf Marktanteile und Gewinne durch. Negativschlagzeilen führen zu Umsatzeinbußen. Die bewusste Kaufentscheidung von Verbraucher/innen ist ein mächtiger Hebel, um Unternehmen zu mehr gesellschaftlicher Verantwortung zu nötigen. Auf Seiten der Konsument/innen setzt das voraus, dass sie sich nicht nur am Preis, sondern an der Qualität sowie am ökologischen und sozialen Fußabdruck von Produkten und Unternehmen orientieren. Diese neue Klasse von ethisch sensiblen Kunden ist v.a. unter den gut ausgebildeten Mittelschichten zu finden, die bereit sind, ihren Konsumstil kritisch zu hinterfragen. Die breite Kritik an der industriellen Massentierhaltung ist ein prominentes Beispiel für eine neue Verbraucherethik.

Schließlich spielt das moralische Kapital von Unternehmen auch eine wachsende Rolle bei der Gewinnung hochqualifizierter Mitarbeiter/innen. Je stärker rein mechanische Tätigkeiten von komplexen Entwicklungs- und Serviceaufgaben abgelöst werden, desto wichtiger wird das „Humankapital“ für die Wertschöpfung von Unternehmen. Talente zu gewinnen  und sie an das Unternehmen zu binden wird zum entscheidenden Produktionsfaktor in der postfordistischen Ökonomie. Mit dem demographischen Wandel wird sich dieser Trend noch verstärken: Je knapper das Angebot an Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt, desto mehr müssen die Unternehmen ihren MitarbeiterInnen bieten, und um so mehr müssen sie die Talentreserven ausschöpfen, die bei den Frauen und den Migranten liegen. Deshalb sind Frauenförderung, familienorientierte Arbeitszeiten, Weiterbildungsprogramme, Beteiligung der Belegschaft am Unternehmensgewinn, Diversity Management und ein positives Image für moderne Unternehmen kein Luxus, sondern ökonomische Notwendigkeit.

Die gute Nachricht lautet also: Ökologie und Ökonomie sind vereinbar, und die soziale Marktwirtschaft ist kein Auslaufmodell. Können wir uns also beruhigt zurücklehnen und abwarten, bis der neue, nachhaltige Kapitalismus die Oberhand über die alte Raubbau-Ökonomie gewonnen hat? Mitnichten. Schon die bisherigen Fortschritte wurden in der Regel im Konflikt mit der Wirtschaft erreicht. Politik und Zivilgesellschaft sind unverzichtbare Treiber für die ökologische und soziale Neuorientierung der Wirtschaft. So wäre Deutschland ohne das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien nicht zum Vorreiter einer globalen Energiewende geworden.

Marktwirtschaft braucht Politik

Bei Licht betrachtet, sind Märkte für umweltfreundliche Technologien ebenso wie für soziale Dienstleistungen im hohen Maß abhängig von politischen Rahmenbedingungen: Steuern, Abgaben, gesetzliche Vorgaben, Grenzwerte etc. Ohne Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz und öffentliche Grundfinanzierung kein ausreichendes Angebot an Betreuungseinrichtungen; ohne gesetzliche Krankenversicherung kein Zugang ärmerer Bevölkerungskreise zu angemessener medizinischer Versorgung; ohne politisch gesetzte Grenzwerte kein Markt für schadstoffarme Fahrzeuge und Elektroautos. Eine verbindliche Deckelung plus Verteuerung von CO2-Emissionen wird den Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien in großem Stil beschleunigen. Beides erfordert regulative Eingriffe in die Ökonomie.

Märkte sind großartige gesellschaftliche Erfindungen. Sie bündeln die Eigeninitiative und Präferenzen, das Wissen und die Bedürfnisse von Abermillionen Menschen. In einer hoch komplexen, arbeitsteiligen Wirtschaft sind sie jedem anderen Steuerungssystem überlegen. Zugleich sind sie höchst voraussetzungsvolle Einrichtungen. Um den gesellschaftlichen Nutzen der Marktwirtschaft zu sichern, müssen eine ganze Reihe zentraler Bedingungen gewährleistet sein: Rechtssicherheit, Transparenz, Wettbewerb, Chancengleichheit, unternehmerische Haftung, Arbeitnehmerrechte, eine kritische Öffentlichkeit, Kostenwahrheit der Preise. Diese Voraussetzungen für ihr Funktionieren bringen Märkte nicht aus sich selbst hervor. Sie erfordern staatliches Handeln. Wenn Unternehmen nicht für die sozialen und ökologischen Folgekosten ihres Geschäftsmodells aufkommen müssen, nehmen sie die Allgemeinheit in Haftung. Dann werden Gewinne privatisiert und Kosten sozialisiert. Das Ergebnis ist Marktversagen. Der Klimawandel ist dafür ein krasses Beispiel: er ist Ergebnis der jahrhundertelangen kostenlosen Deponierung von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Auch die Überfischung der Meere oder das Auslaugen von Böden durch die industrielle Landwirtschaft gehören in diese Reihe. Sie unterstreichen, dass der Schutz öffentlicher Güter eine politische Regulierung dieser Gemeinschaftsgüter verlangt. Parallel gilt das auch für den Schutz der menschlichen Arbeitskraft vor Übernutzung durch das Kapital.

Grüne Ordnungspolitik zielt auf einen regulativen Rahmen für die Marktwirtschaft, der die natürlichen und sozialen Ressourcen vor Übernutzung schützt. Aus ökologischer Perspektive geht es darum, die Tragfähigkeit der Umweltsysteme, von denen die menschliche Zivilisation abhängt, in Leitplanken für Unternehmen und Verbraucher/innen zu übersetzen. In diesem Rahmen soll dann möglichst große Freiheit für Produzenten und Konsumenten herrschen. Das ist der Sinn jener Formulierung im grünen Grundsatzprogramm, die da heißt: „So viel Staat wie nötig, so viel Markt wie möglich“. Die Politik soll Ziele vorgeben, Grenzen ziehen und Anreize geben, aber möglichst wenig im Detail vorschreiben. Wie wir das Ziel einer klimaneutralen, nachhaltigen Wirtschaftsweise erreichen, sollte dem Wettbewerb um die besten Lösungen überlassen bleiben.

Auf dem Weg in eine nachhaltige Wirtschaftsweise brauchen wir alle drei: eine kritische Öffentlichkeit, regulative Politik und innovative Unternehmen. Der Brückenschlag zwischen Marktwirtschaft und Ökologie ist möglich, und wer auf diesem Weg vorangeht, wird die besseren Karten haben.

 

Dies ist der erste Debattenbeitrag zur Konferenz "Baustelle grüne Wirtschaftspolitik: Welche Ordnung muss sein?", die am 26. und 27. Juni in Berlin stattfindet. Alle Beiträge finden Sie in unserem Dossier zur Konferenz.