Zum Umgang mit autokratischen Staaten

Wiese, Wald, Feld, König - Wikingerschach

Die autokratische Herrschaft basiert auf drei Säulen, die die staatliche Ordnung stabilisieren: Legitimation, Repression und Kooptation.  Der herausgehobenen Bedeutung von weicher Repression für die Behinderung zivilgesellschaftlicher Initiativen muss sich die deutsche und europäische Außenpolitik bewusst sein, wenn sie sich dem Ziel der weltweiten Stärkung von Demokratie verschreibt.
 

I. Die Vielfalt autokratischer Regime

Wir kennen heute eine Vielzahl an unterschiedlichen autokratischen Regimen. Die Unterschiede innerhalb der Nicht-Demokratien mögen dabei oftmals größer sein als die zwischen Demokratie und Autokratie. Wir haben auf der einen Seite enorm repressive Regime in Nordkorea, in Äquatorialguinea oder das im Bürgerkrieg versinkende Syrien. Wir beobachten auf der anderen Seite Regime wie Singapur oder das jüngere Vietnam, die sich weniger durch Repression als durch ihre wirtschaftliche Erfolgsgeschichte zu legitimieren suchen. Und auch nach 1989 haben kommunistische Regime überlebt, die in unterschiedlichem Maße ihrer ursprünglichen ideologischen Orthodoxie folgen – oder sie wie im chinesischen Falle beinahe in ihr Gegenteil verkehrt haben. Zudem beobachten wir die Radikalisierung von religiös geprägten Regimen, die Politisierung entlang ethnischer Konfliktlinien und verstärkende nationalistische Tendenzen. Auch in machtstruktureller Hinsicht stehen sich unterschiedlichste autokratische Regime gegenüber: Wir kennen die kleptokratisch, den Staat für eigene Zwecke ausraubenden Typus der Autokratie sowie die traditionell orientierte Monarchie. Zudem, die personalistisch auf eine Führungsperson zugeschnittenen und zumeist mit informellen patrimonialen Netzwerken ausgefütterten Regime, die sich wiederum von Autokratien mit fest institutionalisierten Strukturen unterscheiden. Letztere verfügen meist über starke Parteien, die das autokratische Regime aufgrund eines geregelten Konfliktaustrags zu stützen vermögen.

Vor einem solch diversen Hintergrund haben wir in unserem Forschungsprojekt zwei Ziele verfolgt. Auf der einen Seite haben wir an einem analytischen Rahmen gearbeitet, der es erlaubt, die unterschiedlichen Regime systematisch miteinander vergleichbar zu machen. Hierfür identifizieren wir die strukturellen Gemeinsamkeiten von autokratischen Regimen. Auf der anderen Seite haben wir darauf aufbauend gefragt, was denn autokratische Regime stabilisiert? Warum haben manche autokratische Regime Krisen überlebt, während andere zusammengebrochen sind?

II. Gemeinsame Muster
Wir argumentieren, dass alle Autokratieformen auf drei Säulen basieren, die die staatliche Ordnung stabilisieren: Legitimation, Repression und Kooptation. Während die Ausübung von Repression beinahe zu einem Definitionsmerkmal autokratischer Herrschaft gehört, sollte dennoch differenziert werden, welcher Art sie ist. Wir unterscheiden grob zwischen der Verletzung von persönlichen Integritätsrechten („harte Repression“) und der Beschneidung von politischen Teilhaberechten („weiche Repression“). Erstere umfasst politische Inhaftierung, Folter oder das Verschwinden lassen und die Ermordung von Oppositionellen. Weiche Repression hingegen umfasst die Beschneidung von Freiheitsrechten wie das Recht auf Religionsausübung sowie die Bewegungs-, Versammlungs-, und Pressefreiheit. Die weiche Repression schränkt also vor allem die politische Partizipation von zivilgesellschaftlichen Akteuren ein; ein Phänomen, das jüngst von Thomas Carothers als „closing space“ bezeichnet wurde. Kooptation als zweite Säule der autokratischen Herrschaft stellt hingegen sicher, dass strategisch wichtige wirtschaftliche und militärische Eliten an das politische Regime gebunden werden – mit Hilfe von Konzessionen und Ämtern in formalen Organisationen wie Parteien und Parlamenten oder durch patrimoniale Netzwerke, über die die Eliten „gekauft“ werden.

In der jüngsten Forschung werden vor allem diese beiden Faktoren betont. Es sind Zuckerbrot und Peitsche, Anreiz und Bestrafung. In unserem Projekt schärfen wir dagegen den Blick für die dritte, in Vergessenheit geratene Säule: die Legitimation. Wir gehen so davon aus, dass sich auch Autokratien legitimieren müssen, um langfristig stabil zu sein. Wir argumentieren, dass Autokratien sich unter Rückgriff auf politische Ideologien, politisierten Religionen oder diffusen Nationalismen ebenso legitimieren können wie über ihren wirtschaftlichen Erfolg, die Herstellung öffentlicher Güter oder die Propagierung von „la wand order“.

III. Empirische Erkenntnisse

Unser Drei-Säulen-Modell erfasst die wichtigsten Stabilisierungsfunktionen von autokratischen Regimen. Legitimation versucht politische Unterstützung innerhalb der Bevölkerung zu generieren, Repression die politische Forderungen an das System zu kontrollieren und Kooptation die Kohäsion unter den Eliten zu sichern. Anhand dieser drei Funktionen haben wir die autokratischen Regime „vermessen“. Unser Datensatz umfasst dabei alle Autokratien weltweit seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Wir können empirisch zeigen, dass die weiche Repression den mit Abstand größten Anteil an der Erklärung der Langlebigkeit von Autokratien hat. Sie erhöht die Überlebenswahrscheinlichkeit am stärksten und in statistisch signifikanter Weise. Würde man hypothetisch zwei identische Autokratien miteinander vergleichen, die sich lediglich in der Ausübung von weicher Repression um einen Skalenpunkt (gemessen auf einer Skala von 1 bis 10) unterschieden, wäre die Überlebenswahrscheinlichkeit des repressiveren Regimes um 40% höher. Dies ist ein bemerkenswert hoher Effekt.

Eine hohe Legitimation qua wirtschaftlicher Performanz und sozialen Errungenschaften hat zwar ebenfalls einen stabilisierenden Effekt, der jedoch sowohl schwächer als auch nicht statistisch signifikant ist. Dies gilt ebenso für die Kooptationssäule. Die Anbindung von strategisch wichtigen Eliten aus Militär und Wirtschaft an die autokratische Führungsriege ist nicht so bedeutend für die Stabilisierung nicht-demokratischer Herrschaft wie das Einengen von politischen Möglichkeitsräumen für die Zivilgesellschaft.

Ein Befund gilt es hier noch hervorzuheben. Wir können zeigen, dass weiche Repression das wichtigste Instrument zum Machterhalt ist, harte Repression jedoch oftmals ihr Gegenteil bewirkt. Zur Erinnerung: harte Repression war definiert über die Verletzung persönlicher Integritätsrechte (politisch motivierte Inhaftierung, Folter, Ermordung, „Verschwinden lassen“). Diese Form der Repression von Oppositionellen hat eher einen destabilisierenden Effekt auf das autokratische Regime. Sie ist also eher als ein Zeichen von Schwäche denn von Stärke des Regimes zu interpretieren.

IV. Zum Umgang mit Autokratien

Was bedeutet eine solche Analyse für den Umgang mit Autokratien? Autoritäre Großmächte wie die VR China und Russland, regional stark vernetzte Länder wie der Iran, Ägypten oder Nigeria und rohstoffreiche Nationen wie die Saudi-Arabien, Kasachstan oder Venezuela stellen die deutsche und europäische Außenpolitik vor große Herausforderungen. Die historische, machtpolitische, regionale und geopolitische Komplexität von konkreten Einzelfällen erschwert jede Art von generalisierenden Ratschlägen. Außenpolitik ist stets ein Spiel auf zwei Ebenen – auf der einen Seite der genuin außenpolitischen Arena in der Interaktion mit dem internationalen Gegenüber sowie auf der anderen Seite in der Berücksichtigung innenpolitischer Beschränkungen. Hierin unterscheiden sich Autokratien nicht von Demokratien.

Auf der innenpolitischen Seite konnten wir jedoch zeigen, dass sich Autokratien vor allem über weiche Repression stabilisieren. Die Einschränkung von zivilgesellschaftlichen Akteuren ist der Schlüssel für die Aufrechterhaltung autokratischer Regime. Es sind nicht die oftmals auch medial verbreiteten hart-repressiven Maßnahmen, sondern die kleinen Nadelstiche gegen die politische Partizipation. Autokratien zielen darauf ab, kollektive Aktionen schon im Keim zu ersticken. Unmut darf zwar von der Bevölkerung geäußert werden, jedoch dürfen sich diese Unzufriedenen nicht zusammenschließen. Politische Teilhabe wird erst an dieser Schwelle beschnitten. Oppositionelle Nuklei und demokratische Enklaven dürfen sich aus Sicht der autokratischen Machthaber nicht zusammenschließen. Deutsche und europäische Außenpolitik muss sich der herausgehobenen Bedeutung von weicher Repression für die Behinderung zivilgesellschaftlicher Initiativen bewusst sein, wenn sie sich dem Ziel der weltweiten Stärkung von Demokratie verschreibt. Weiche Repression ist notwendig für nicht-demokratische Herrschaft und hier entschiedener und vor allem konsistenter gegen Verletzungen der politischen Teilhaberechte vorzugehen, wäre erforderlich. Die umfassende Analyse aller Autokratien seit 1945 legt zumindest nahe, dass ein solcher Mut belohnt werden würde.

 

Dieser Beitrag ist im Vorfeld zur 16. Außenpolitischen Jahrestagung der Heinrich-Böll-Stiftung vom 18. und 19. Juni 2015 entstanden. Informationen zu der Konferenz und weitere Artikel zum Thema, finden Sie in unserem Konferenzdossier.