Der Fall Bashir: Missachtung der Justiz

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Omar al-Bashir (Archivbild 2009)

Die Entscheidung der südafrikanischen Regierung, den des Völkermords beschuldigten nordsudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir aus dem Land zu lassen, wirft viele Fragen auf. Viel Unterstützung wird dieser antidemokratische Schritt im Land nicht finden.

Ich bin kein großer Anhänger des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Vor einigen Jahren, kurz nachdem Vusi Pikoli als Leiter der südafrikanischen Generalstaatsanwaltschaft abgesetzt worden war, nahm ich an einer Konferenz in Den Haag teil, bei der mehrere Bedienstete des IStGH anwesend waren. Einige dieser Beamten machten bei privaten Gesprächen keinen besonderen Eindruck auf mich. Ich reagiere in dieser Hinsicht zugegebenermaßen äußerst empfindlich, aber mir fiel bei etlichen unter ihnen eine Art kulturelle Arroganz auf, die an Rassismus grenzte.

Dennoch muss es prinzipiell möglich sein, einen Mechanismus zu schaffen, der die Strafverfolgung politischer Anführer brutaler autoritärer Staaten ermöglicht, wenn diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Massenfolter, Vergewaltigung oder ethnische Säuberungen anordnen oder zulassen. Dies ist keine einfache Aufgabe, denn es wird weitestgehend unmöglich sein, die Staatschefs der Länder mit der größten wirtschaftlichen und militärischen Macht dazu zu bringen, diese Anstrengungen zu unterstützen (ich denke dabei u. a an die USA, China und Russland).

Gleichwohl hat die südafrikanische Regierung beschlossen, das Rom-Statut zu ratifizieren, das dem IStGH vorausging. Südafrika ging sogar noch einen Schritt weiter und wurde das erste Land Afrikas, das per Parlamentsbeschluss die Bestimmungen des Vertrages in Südafrika verbindlich machte. Dies geschah im Jahr 2002, acht Jahre nachdem Südafrika eine Demokratie geworden war.

Es gibt viele triftige Gründe, den Internationalen Strafgerichtshof zu kritisieren, basierend auf der Tatsache, dass politisches Kalkül dazu führen kann, dass Politiker, die sich Verbrechen an der Menschlichkeit schuldig gemacht haben, nicht strafrechtlich belangt werden. Auf pragmatischer Ebene könnte man auch argumentieren, dass es nicht zuträglich wäre, ein Staatsoberhaupt zu verfolgen und zu verhaften, weil dies zur Gefährdung der relativen Stabilität in dem von ihm regierten Land führen könnte. Selbst dann, wenn ein Anführer des Massenmordes an der Bevölkerung beschuldigt wird - wie es bei Präsident Omar al-Bashir der Fall ist, mit über 200.000 getöteten Menschen und mehr als zwei Millionen Vertriebenen -, könnten zwielichtige, skrupellose, realpolitische Abwägungen gegen eine Verhaftung des Präsidenten sprechen.

Das Rom-Statut

Die Zustimmung einzelner Staaten zu internationalen Abkommen erfolgt allerdings aus freien Stücken. Als Südafrika das Rom-Statut (auf dem der IStGH gründet) unterzeichnete und ratifizierte, war dies auf freiwilliger Basis geschehen.

Südafrika hätte sich ebenso gut dafür entscheiden können, das Rom-Statut nicht zu unterzeichnen. Es hätte beschließen können, vom Vertrag zurückzutreten, wenn es der Ansicht gewesen wäre, dass der IStGH es unrechtsmäßig auf politisch, wirtschaftlich und militärisch schwache Staatsführer des afrikanischen Kontinents abgesehen hätte. Dies war bei Südafrika aber nicht der Fall. Es blieb vielmehr Unterzeichner des Vertrags und nahm das Gesetz, das diesem Abkommen in Südafrika Geltung verlieh, in seine Rechtsprechung auf.

Jeder halbwegs kompetente Rechtsanwalt hätte wissen müssen, dass Immunitäten und Vorrechte, die aufgrund des Diplomatic Immunities and Privileges-Gesetzesartikels von 2008 gewährt werden, mit großer Wahrscheinlichkeit dahingehend ausgelegt würden, dass sie in erster Linie für das Personal der Vereinten Nationen gelten und weniger für die Präsidenten fremder Länder, die unter Anklage des IStGH stehen und an einem Gipfeltreffen der Afrikanischen Union in Südafrika teilnehmen. Wenngleich dieser Gesetzesbereich noch ungefestigt ist, schien es dennoch plausibel, dass ein Gericht den Versuch al-Bashir unter diesem Gesetz Immunität zu gewähren gegenüber Südafrikas rechtsstaatlichen Obliegenheiten und den gesetzlichen Obliegenheiten des internationalen Rechts in Form des Rom-Statuts als nicht rechtsgültig betrachten würde.

Da ich kein Experte für internationales Recht bin, finde ich die unterschiedlichen abweichenden Bestimmungen des Rom-Statuts, dessen Zusammenspiel mit der südafrikanischen Verfassung und Auswirkungen wiederum auf die Gesetzschreibung des Völkerrechts, eher verwirrend. Aber bereits eine kurze Suche im Internet ergab, dass es sich hierbei um eine juristische Grauzone handelt, und dass es zumindest plausibel ist, dass kein südafrikanisches Gericht die rechtliche Immunität, die dieses Gesetz angeblich gewähren soll, als rechtswirksam betrachten würde.

Von daher kann von vorn herein das grüne Licht für al-Bashirs Südafrika-Besuch bestenfalls als unklug und schlimmstenfalls als der Beginn einer veritablen diplomatischen Krise gesehen werden. Zudem war es arrogant und leichtsinnig, Südafrikas Stellung auf dem afrikanischen Kontinent und innerhalb der internationalen Gemeinschaft zu gefährden, indem man al-Bashir nicht vorgewarnt hat, dass ein Südafrika-Besuch rechtliche Konsequenzen für ihn haben könnte.

Als eine NRO bezüglich dieser Angelegenheit vor Gericht zog, und der High Court eine Anordnung erließ, die es al-Bashir untersagte, das Land zu verlassen, bis die Angelegenheit in vollem Umfang geprüft worden war, hatte die südafrikanische Regierung eine ausgewachsene diplomatische Krise am Hals – dank ihrer Arroganz und Inkompetenz und gänzlich selbstverschuldet. Dann fuhr unsere Regierung fort, die an sich schon üble Situation noch schlimmer zu machen, indem sie al-Bashir die Ausreise erleichterte, was in eindeutigem Widerspruch zu dem Gerichtsbeschluss stand.

Das Vertrauen in die Gerichte untergraben

Missachtet eine Regierung Gerichtsbeschlüsse, untergräbt sie damit auch die Legitimität der Gerichte - nicht nur bei hochbrisanten politischen Angelegenheiten, sondern auch bei alltäglichen Sachverhalten, die den Durchschnittsbürger betreffen. Es ist eine Katastrophe für die Öffentlichkeit - selbst wenn einige der Bürger das zunächst nicht so sehen wollen und in bestimmten Fällen möglicherweise sogar die Missachtung eines Gerichtsbeschlusses und die damit einhergehende Gesetzeswidrigkeit befürworten.

Wie der ehemalige Oberste Verfassungsrichter Sandile Ngcobo in einer öffentlichen Rede ausführte, muss die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung erhalten, damit sie ihre Rolle ordnungsgemäß erfüllen kann. Das Vertrauen der Öffentlichkeit sei wichtig, legte Ngcobo nahe, weil es für die wirksame Ausübung der richterlichen Aufgaben unerlässlich ist. Es sei notwendig, dass jeder Bürger die Legitimität der einzelnen Entscheidungen des Gerichts anerkennt, auch dann, wenn er/sie mit dem Ergebnis einer solchen Entscheidung nicht einverstanden ist.

Wenn eine demokratisch gewählte Regierung die gerichtlichen Anordnungen missachtet, untergräbt sie damit das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Gerichte und schwächt das Rechtssystem per se. Wenn Privatleute zu dem Schluss kommen, dass nicht zählt, was ein spezifischer Rechtsgrundsatz vorschreibt, sondern was die Mächtigen und Kapitalstarken vorgeben, resultiert daraus logischerweise eine Gesetzlosigkeit in ihrer extremsten Ausprägung.

Um es mit den Worten des ehemaligen Obersten Verfassungsrichter Ishmael Mahommed zu sagen:

„Die Gerichte verfügen, anders als das Parlament oder die Exekutive, nicht über die finanziellen Mittel, die Armee oder den Polizeiapparat, um ihre Beschlüsse durchzusetzen. Das Verfassungsgericht hat keinen einzigen Soldaten. Sie wären vollkommen unfähig, die Verfassung zu schützen, wenn die staatlichen Behörden, die die gewaltigen physischen und finanziellen Ressourcen des Landes kontrollieren, sich weigerten, diese Ressourcen im Auftrag der Gerichte einzusetzen. Die Gerichte würden zu Papiertigern, mit der Fähigkeit wild zu brüllen und zu knurren, aber ohne entsprechende Zähne zum Beißen und ohne ausführende Kraft."

Es ist unabdinglich für den Rechtsstaat, dass die Menschen und Regierungen ein derartiges Vertrauen in die Justiz entwickeln, dass sie sie gewohnheitsmäßig anerkennen und sich an die gerichtlichen Entscheidungen halten. Diese Akzeptanz ist in Fällen von umstrittenen und unpopulären Entscheidungen ganz besonders von Nöten. Täglich treffen Gerichte Entscheidungen, die Menschen beeinträchtigen und die Gemüter erregen. Selbstverständlich liegt diesen Beschlüssen das Wohl der Allgemeinheit zugrunde.

Ein anti-demokratischer Schritt

Auch wenn das Allgemeinwohl für diejenigen, die dabei verlieren, nicht immer klar ersichtlich ist. Die Rechtsstaatlichkeit hängt dennoch von der friedvollen Zustimmung zu diesen Entscheidungen und der Einhaltung der Gerichtsbeschlüsse ab, selbst wenn sie schlecht aufgenommen werden. Hier scheint das Politologen bestens vertraute Argument zu greifen, dass es für ein Verfassungsgericht schwierig würde als Institution zu überleben, wenn seine Entscheidungen für gewöhnlich ignoriert oder sich diejenigen an der Macht oder mit Beziehungen zu den Mächtigen einfach darüber hinwegsetzen könnten.

Das Resultat wäre ein System, in dem nur diejenigen rechtlichen Schutz genießen, die über die richtigen Kontakte oder die finanziellen Mittel verfügen. Alle anderen wären den Personen mit Verbindungen, Geld und Macht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Was die südafrikanische Regierung durch die Missachtung einer gerichtlichen Anordnung, die verhindern sollte, dass al-Bashir ausreist, losgetreten hat, ist die Öffnung der Eventualität bestimmter Umstände, in denen eine mächtige Person es für angebracht hält, dass wer man ist, wie viel Geld man hat, und wen man kennt darüber entscheidet, ob einem Achtung zuteil wird oder nicht.

Dieser Zustand ist mit einer konstitutionellen Demokratie, in der die Menschenwürde aller geschützt sein soll, nicht vereinbar. Dies hat vor allem für arme Mitglieder der Gesellschaft und für Menschen ohne Zugang zu wichtigen politisch vernetzten Einzelpersonen verheerende Auswirkungen. Es ist ein anti-demokratischer Schritt, der – bei wiederholtem Vorkommen - die Demokratie Südafrikas zerstören wird.

 

Zum Weiterlesen:

  • Einen Kommentar zum "Fall Bashir" unserer Referatsleiterin Afrika, Kirsten Maas-Albert, finden Sie hier: Skandal mit Folgen