Immer nur das Militär? Der zivilen Krisenprävention mehr Einfluss verschaffen

ISAF Headquarters Public Affairs Office from Kabul, Afghanistan
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Deutsche Soldaten nach Patrouille mit der ANA zurück im PRT Feyzabad

Podiumsdiskussion am 10.03.2015 in der Heinrich-Böll-Stiftung im Rahmen der Reihe
 „Krisenprävention im Kontext deutscher Außen- und Friedenspolitik“

Mehr Promotion für Prävention – so oder so ähnlich könnte das Fazit der Folgeveranstaltung am 10. März 2015 zur Fragestellung Immer nur das Militär? - Der zivilen Krisenprävention mehr Einfluss verschaffen lauten. Für ein Thema, das nicht unbedingt zu einer öffentlichen Veranstaltung einlädt, kamen erstaunlich viele Menschen an einem Dienstagabend in die Zentrale der Heinrich-Böll-Stiftung. Gregor Enste, Referent für Außen- und Sicherheitspolitik, hatte mit Heidi Meinzolt (Internationale Frauenliga für Freiheit und Frieden), Thomas Nehls (freier Journalist) und Winfried Nachtwei (Ex-MdB Bündnis 90/Die Grünen, Publizist) eloquente Diskutanten eingeladen, die sich zum Teil kontrovers mit dem Thema auseinandersetzten.

Paradigmenwechsel – Rechtsstaat statt Rüstung importieren

Die Welt und ihre Unordnung rücken als Folge von Globalisierung und Digitalisierung immer näher und immer mehr zusammen. An sich ist dies keine neue Erkenntnis. Jede/r in Afrika oder Asien kann sich mit jeder/m in Europa oder Amerika heutzutage vernetzen, Handel treiben und Informationen und Gedanken austauschen. Aber eben auch hasserfüllte Ideologien verbreiten, Waffen exportieren und gewalttätige Konflikte schüren. Und genau aus diesem Grund erachtet es die Heinrich-Böll-Stiftung als sinnvoll, über diese Frage in einer eigenen Veranstaltungsreihe zu debattieren. Gerade am aktuellen Konflikt in der Ukraine zeigt sich, dass politische Vermittlung und Mediation zentrale Instrumente der Gewaltprävention und Konfliktbeilegung sein können – und das nicht nur auf der Ebene der Spitzenpolitiker (zum Beispiel Merkel, Hollande, Poroschenko), sondern auch auf der zivilgesellschaftlichen.
Die Heinrich-Böll-Stiftung vertritt die Ansicht, dass Deutschland mit seinem Ruf, ein fairer und neutraler Vermittler in der internationalen Mediation zu sein, zukünftig noch eine größere Rolle zukommen kann. Das Auswärtige Amt hat mehr als ein Jahr lang die deutsche Außenpolitik in einem sogenannten Review 2014 Prozess auf den Prüfstand gestellt. Die Ergebnisse wurden kürzlich vorgestellt. Ein greifbares Ergebnis ist die Schaffung einer neuen Abteilung für Krisenprävention und Konfliktnachsorge.
Einen Tag später stellte Amnesty International Deutschland seinen Jahresbericht vor, der eine dramatische Zunahme von weltweiten Konflikten aufzeigt. Die Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland Selmin Çalışkan antwortet in der taz vom 25.02.2015 auf die Frage, was die sehr griffige Forderung an viele Länder „Rechtsstaat statt Rüstung zu importieren“ bedeutet: „Deutschland hat große Kompetenzen im Bereich der zivilen Krisenprävention. Aber wir setzen sie kaum ein. Stattdessen exportieren wir Waffen in alle Welt. Da braucht es einen Paradigmenwechsel.“ Wie sinnvoll das ist bzw. wie es funktioniert, könnte ein Thema der Veranstaltungsreihe sein.

Allerorts herrscht Einigkeit - Krisenprävention ist wichtig

Weitgehend herrscht Einigkeit darüber, dass Krisenprävention wichtig ist. Aber wie kommen wir dahin, dass sich auch Strukturen ändern? Die Krux besteht darin, dass Konfliktprävention per se ein Nichtereignis generiert. Es passiert nichts, über das man berichten könnte, wie zum Beispiel ein Krieg, der die mediale Aufmerksamkeit erhält. Hier wird klar die mediale Berichterstattung beeinflusst, meint die Frauenaktivistin Heidi Meinzolt. Daher müssen auch Filme gezeigt werden, die über ein positives Ereignis, über einen Erfolg berichten und nicht nur Zerstörung und Leid thematisieren. Wir müssen wegkommen von TINA (There is no alternative) hin zu TATA (There are thousand alternatives) und mehr Veranstaltungen entwickeln sowie Bücher und Artikel veröffentlichen, die Erfolge vermitteln und aufzeigen.
Aus der persönlichen Erfahrung heraus schätzt der Journalist Thomas Nehls seine Berichterstattungs-Quote in etwa so ein: 90 % erlebte Konflikte stehen 10 % Präventionsthemen gegenüber. Es ist eine Tatsache, dass Prävention in Schlagzeilen und aktuellen Berichterstattungen so gut wie gar nicht vorkommt. Daher entsteht die Frage, wer letztendlich die Themen bestimmt, über die berichtet und geredet wird.

Hat Prävention ein Darstellungsproblem?

Ein Konflikt, Krieg oder eine Krise sind für jeden Journalisten ein Eldorado, weil Streit und Kontroversen naturgegeben viel interessanter und zugespitzter sind, als wenn sich zwei Präventionsexperten gegenüber sitzen. Prävention hat ein Darstellungsproblem - man kann sie nicht zeigen. Ist das die Erklärung? Fehlen womöglich Bilder zur Illustration? Nein, sagt Thomas Nehls, Bilder kann man immer zeigen, zu jedem Thema, das ist nicht der Punkt.  Vielmehr fehlt es von den Politikern, Informationsgebern und Multiplikatoren an Input, denn Journalisten reagieren mit ihrer Berichterstattung auf Themen, die die Politik setzt. Und wenn etwas nicht passiert, kann darüber auch nicht berichtet werden.
Ein Beispiel ist die OSZE, deren Bedeutung in der Präventionsarbeit derzeit kleingeredet wird, während offensive Thesen von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg für die Medien interessanter sind und somit eher in die Berichterstattung kommen.

Wichtig ist außerdem die Frage, welche Institution als die letzte Instanz für die Krisenbewältigung angesehen wird. Sind es die Vereinten Nationen? Und woran liegt es, dass so viele Krisen eben nicht verhindert werden können? Mangelt es hier vielleicht am politischen Willen und seiner Umsetzung?

Die politischen Akteure stehen vor dem Problem, dass längerfristig angelegte Erfordernisse immer wieder zu Gunsten tagesaktueller Ereignisse in den Hintergrund treten. Es ist daher wichtig, taktisch klug einen Zeitpunkt zu wählen, an dem Krisenprävention auf die politische Agenda gesetzt und bei den richtigen Personen platziert werden kann, meint Winfried Nachtwei. Zudem sei die langfristige Arbeit am Thema ebenso wichtig, wie das kurzfristige Reagieren auf aktuelle Krisen.
Für Thomas Nehls gibt es mehrere Dimensionen von Prävention. Als Beispiel für „Prävention in Uniform“ führt er den EU-Einsatz im Kongo im Jahr 2006 an, der die Durchführung von Wahlen absicherte.

Prävention durch die Genderbrille

Haben Krisenprävention auf der einen und Militärintervention, wenn es zu spät zu sein scheint, auf der anderen Seite auch mit bestimmten Vorstellungen und Stereotypen über Rollen von Männlichkeit und Weiblichkeit zu tun? Kommen da andere Bilder auf? Diese Fragen wirft Heidi Meinzolt auf und beantwortet sie auch gleich positiv. Es gibt ihrer Meinung nach genügend Untersuchungen, die bestätigen, dass eine gendergerechtere auch eine friedlichere Welt wäre. Das habe aber nichts mit der langläufigen Annahme zu tun, dass Frauen die friedlicheren Menschen sind. In gerechteren Gesellschaften ist stattdessen die Gewaltschwelle erheblich niedriger. Ein wesentlicher Unterschied bestehe darin, dass Frauen eher in Beziehungen anstatt in Position denken. Daher ist bei allen Fragestellungen immer der genderübergreifende Ansatz mit zu betrachten.
Mit Blick auf die Reaktion der Europabeauftragten des US-Außenministeriums Victoria Nuland auf die politischen Konfliktlösungsbemühungen Europas im Fall Ukraine („Fuck the EU“) ist sich Thomas Nehls sicher, „Frau allein macht´s auch nicht“. Es müssen sich vielmehr Strukturen ändern und gleichberechtigt Friedenstische mit Frauen und Männern besetzt werden.
Eine deutliche Aufwertung des Themas Krisenprävention zeigte der Besuch des  Bundespräsidenten Joachim Gauck im Zentrum für Internationale Friedenseinsätze im Februar 2015. Die wichtige außenpolitische Bedeutung von zivilen Fachkräften wurde so entsprechend herausgestellt und gewürdigt.

Krisenprävention ein neues Gesicht geben

Reden wir über Afghanistan, weil wir Auslandseinsätze diskutieren müssen im Bundestag? Ist das unser Mechanismus? Brauchen wir Gegenstrukturen? Was sind das für Strukturen, die uns dabei helfen, nicht nur über den Kongo zu sprechen, wenn Soldaten entsandt werden, sondern vorher, nachher und über die politischen Konzepte, die gebraucht werden?
Hier müssen sich in erster Linie auch die Journalisten Gedanken machen, wie sie bestimmte Themen medial aufwerten können und der Tatsache Rechnung tragen, dass zwei Drittel der deutschen Bevölkerung ein friedliches Engagement der eigenen Regierung im Krisenfall favorisieren. In den Medien muss ein substanzielleres Nachdenken einsetzen und die Konfliktanalysen wieder tiefgründiger werden.

Selbst der Minister für Entwicklungszusammenarbeit Gerd Müller sieht eine unglaubliche Differenz zwischen Rüstungsausgaben und Prävention, die in keiner Weise nachhaltig ist. Die Debatte um die neuen Entwicklungsziele SDG ist medial unterrepräsentiert. In ihnen werden die Themen Krieg und Rüstung bzw. die Schaffung von Frieden als Ziel nicht mit einbezogen.
Prävention verdient und benötigt mehr Öffentlichkeit, eine größere Lobby und noch mehr politisches Gewicht. Wir dürfen nicht immer nur auf das Böse in der Welt schauen, sondern sollten die Chancenorientierung, gerade in schwierigen Gebieten, suchen. Auch das Auswärtige Amt muss eine neue Kommunikationsstrategie vorlegen.
So können wir der Krisenprävention ein neues Gesicht geben. Sie braucht eine Imagekampagne und muss in einem umfassenden Ansatz gesehen werden.

Frieden braucht Fachkräfte – Frieden braucht Frauen!

In der Diskussion mit dem Publikum fragte die SPD-Obfrau im Unterausschuss Zivile Krisenprävention Dr. Ute Finckh-Krämer: Sind Jubiläen wie 40 Jahre OSZE, 70 Jahre UNO, 15 Jahre UN-Resolution 1325 taugliche Anlässe für eine breitere Berichterstattung? Außerdem wurde die Herausforderung angesprochen, die Erfahrungen von Friedensfachkräften politikfähig zu machen und somit Krisen effektiver zu verhindern.

Und wie ist es mit Waffenlieferungen: Können diese vor einem Konflikt als Teil von Krisenprävention verstanden werden? Gibt es Alternativen zu Waffen? Vielleicht brauchen wir ein neues Produktentwicklungsdenken, zum Beispiel den Rückkauf von Waffen oder ein Pfandsystem. Es müssen auf jeden Fall Maßnahmen entwickelt werden, die verständlich sind und zugleich eine friedliche Botschaft enthalten. Eine konkrete und elementare Forderung ist: Frieden braucht Fachleute! Frieden bracht Frauen!
Im Hinblick auf Waffenlieferungen in Krisengebiete gilt, dass zunächst ein rechtsstaatlich eingegrenztes Gewaltmonopol zu schaffen ist und der Verbleib der Waffen bei diesem sichergestellt sein muss. Dazu kann auch Aufbauhilfe für die Polizei gehören.
Eine ganz konkrete und wichtige Ebene ist außerdem, Alltagsgewalterfahrungen mit Überlebensstrategien und auch Perspektiven für zukünftiges friedenspolitisches Engagement zu verbinden.
Ein Beispiel für eine gelungene Prävention ist der verhinderte Bürgerkrieg 2001 in Mazedonien. Dort hat es eine gemeinsame Krisenbewältigungspolitik von EU, NATO und UNO gegeben. Alle zogen politisch an einem Strang. Die Botschaft an die mazedonische Regierung war: Die Probleme im Hinblick auf Minderheitenrechte und andere Fragen müssen im Land selbst gelöst werden, allerdings mit Unterstützung und Angeboten von außen. Das war zwar eine einmalige historische Leistung, aber ist gleichzeitig ein Beispiel für den häufig fehlenden langen Atem im Anschluss: Heute ist Aufmerksamkeit bei der aktuellen Krise nicht mehr da.

Bei der Diskussion um zu wenig Engagement und finanzielle Unterstützung darf nicht vergessen werden, dass auch die Diplomatie und die Entwicklungszusammenarbeit in nicht unerheblichem Maße der Konfliktprävention dienen. Daher zieht Winfried Nachtwei angesichts der in den letzten Jahren erreichten Erfolge abschließend ein durchaus positives Fazit und beantwortet die Frage nach dem halb leeren oder halb vollen Glas mit: „Es ist mehr drin als vorher!“

 

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Bild entfernt.

Eine Kooperation der Heinrich-Böll-Stiftung mit dem Forum Ziviler Friedensdienst im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Krisenprävention im Kontext deutscher Außen- und Friedenspolitik“.