Zivilgesellschaft schützen und erweitern – national und international

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Zivilgesellschaft bringt sich auch in internationale Prozesse ein - und internationale Institutionen binden Zivilgesellschaft ein. Doch viele zivilgesellschaftliche Organisationen sind mit Reichweite und Art der Zusammenarbeit alles andere als zufrieden. CIVICUS hat die Handlungsspielräume für zivilgesellschaftliche Organisationen in internationalen Prozessen unter die Lupe genommen.

In vielerlei Hinsicht stand die Zivilgesellschaft im Jahr 2015 an einem Scheideweg. Auf der einen Seite wurden zwei internationale Abkommen geschlossen, die für Milliarden von Menschen von existenzieller Bedeutung sind: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und das Pariser Übereinkommen zum Klimawandel. Beide sind ambitionierter, inklusiver angelegt und stärker in den Menschenrechtsdiskurs verankert, als vorangegangene Abkommen. Dass ist ein Erfolg zivilgesellschaftlicher Advocacyarbeit. Die vereinbarten Ziele belegen, wie wichtig die Zivilgesellschaft für Global Governance ist. Fast alle zwischenstaatlichen Einrichtungen haben sich dazu bekannt, auf die ein oder andere Weise mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenarbeiten zu wollen.

Diesen Errungenschaften steht auf der anderen Seite die traurige Tatsache gegenüber, dass die Zivilgesellschaft mehr und mehr unter Druck gerät. Im Jahr 2015 wurden in 109 Ländern wichtige Bürgerrechte wie freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit erheblich eingeschränkt.

Untersuchungen von CIVICUS zeigen, dass in den vergangenen Jahren in zu vielen Ländern und Regionen der Handlungsspielraum für zivilgesellschaftliche Organisationen deutlich geschrumpft ist. Die Gründe hierfür sind genauso vielfältig wie die Mittel, die dafür eingesetzt werden. Zivilgesellschaftliche Organisationen werden nicht nur von Spitzenpolitikern oder Behörden angegriffen. Sie stehen auch im Visier von Kriminellen mit Verbindungen zur Privatwirtschaft, von Extremisten und Terroristen. Zu den gängigen Mitteln, die Zivilgesellschaft auszubremsen, gehören Gesetze. Sie schränken die Organisationsfreiheit und Tätigkeitsfelder von zivilgesellschaftlichen Orgaisationen ein oder beziehen sich auf ihre Rechenschaftspflicht und Finanzierung. Hinzu kommen fraglich Gerichtsverfahren, durch die Aktivist/innen und Organisationen in ihrer Arbeit behindert werden sollen. Mitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen werden verunglimpft, es wird gegen sie gehetzt, ihre Reise- und Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt – in den schlimmsten Fällen kommt es zu Inhaftierungen, Angriffen oder gar Mord.

Obgleich es sich hierbei um eine tiefgreifende Erscheinung handelt, der einen beträchtlichen Teil der Zivilgesellschaft betrifft, sind nicht alle Akteur/innen gleichermaßen von Angriffen oder Einschränkungen betroffen. Oft dienen Angriffe dazu, die Zivilgesellschaft zu spalten und bestimmte Organisationen oder Aktivist/innen auszugrenzen. Zu den spürbarsten Einschränkungen kommt es, wenn die Zivilgesellschaft die Macht der Eliten in Politik und Wirtschaft in Frage stellt, Korruption aufdeckt oder sich für Menschenrechte einsetzt.

Bedauerlicherweise werden diejenigen, die sich für Menschenrechte engagieren, vermehrt zum Ziel hetzerischer Rhetorik mit Verweisen auf nationalen Sicherheit, um politische Stabilität oder um kulturelle Werte, vor allem dann, wenn sie Missbräuche aufdecken, beispielsweise Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte, oder wenn sie sich für die Rechte von Minderheiten und benachteiligten Bevölkerungsgruppen einsetzen.. Zu besonders häufigen Angriffen auf zivilgesellschaftliche Organisationen kommt es rund um Wahlen, und das besonders in Ländern, in denen sich die politische Führung seit langer Zeit eisern an die Macht klammern.

Das internationale System – eine wichtige Arena für die Zivilgesellschaft

Gerät die Zivilgesellschaft im eigenen Land unter Druck, ist das internationale System eine wichtige Ebene, über die zivilgesellschaftliche Organisationen besorgniserregende Entwicklungen im eigenen Land artikulieren und adressieren können. In unserem Bericht State of Civil Society Report 2014 haben wir darauf hingewiesen, wie Zivilgesellschaft und ihre Aktivist/innen insbesondere darauf setzen, dass internationale Organisationen sie schützen und unterstützen, wenn sie unterdrückt, marginalisiert oder ausgegrenzt werden. Internationale Organisationen können dieser Rolle bis zu einem gewissen Grad gerecht werden, so zum Beispiel der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen oder bestimmte regionale Menschenrechtsorganisationen, beispielsweise in Afrika oder Amerika. Die Zivilgesellschaft weiß diese internationale Ebene über die auf wichtige Themen aufmerksam gemacht und für ihre Anliegen internationale Unterstützung gewonnen werden kann, zu schätzen.

Zwar kommt die Zivilgesellschaft zu dem Schluss, dass viele internationale Verfahren deutlich verbesserungsfähig sind, aber die Vereinten Nationen haben internationale Normen durchgesetzt, auf die sich zivilgesellschaftliche Aktivist/innen berufen und die sie zum Herzstück ihrer jeweiligen Arbeit machen können. Im Jahr 2016 hat der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen Entschließungen verabschiedet zum Schutz jener, die sich für wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Rechte einsetzen, für ein sicheres und förderliches Umfeld für die Zivilgesellschaft sowie für den Schutz und die Förderung von Menschenrechten im Internet. Hinzu kommt, dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit der Agenda 2030 auch die Vorstellung, die Zivilgesellschaft müsse einen angemessenen Handlungsspielraum haben, fest im Feld der Entwicklungspolitik verankert hat. Unter Ziel 16, Punkt 10 heißt es in der Agenda 2030, der öffentliche Zugang zu Informationen müsse gewährleistet und die Grundfreiheiten im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und völkerrechtlichen Übereinkünften geschützt werden. Unter Ziel 17, Punkt 17 wurde festgelegt, dass wirksame öffentliche, öffentlich-private und zivilgesellschaftliche Partnerschaften gefördert werden sollen, aufbauend auf den Erfahrungen und Finanzierungsstrategien bestehender Partnerschaften.

Die Teilhabe an politichen Prozessen muss mit Leben erfüllt werden

Zwar ist es für ziviligesellschaftliche Aktivist/innen, die bedroht werden, wichtig, dass internationale Stimmen sich mit ihnen solidarisch erklären, indem sie die Rechte der Zivilgesellschaft verteidigen. Die Umsetzung progressiver Maßnahmen vor Ort bleibt aber nach wie vor eine Herausforderung. Im Mittelpunkt der internationalen Beziehungen stehen weiterhin Staaten, weshalb Stimmen aus der Zivilgesellschaft allzuoft von eng definierten nationalen Interessen übertönt werden. Das Committee to Protect Journalists (CPJ), zum Beispiel, eine zivilgesellschaftliche Organisation, die sich für Pressefreiheit und die Rechte von Journalisten einsetzt, musste lange und vehement darum kämpfen, von ECOSOC, dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, offiziell anerkannt zu werden – etwas, das für zivilgesellschaftliche Organisationen, die mit Organen der UNO zusammenarbeiten wollen, unverzichtbar ist. Im Jahr 2016 erfolgte endlich die Anerkennung, nachdem das Verfahren über Jahre hinweg von Regierungen behindert worden war, die das menschenrechtliche Engagement von CPJ ablehnen. Die internationale Arbeit von CPJ wurde hierdurch jahrelang verwehrt. Ein anderes Beispiel: mehrere Staaten lehnten die Teilnahme von LGBTI-Aktivist/innen am AIDS-Gipfel, der im Juli 2016 in Südafrika stattfand, ab. Verhindert wurde so, dass sich dort wesentliche Stimmen zu diesem so ausgesprochen wichtigen Thema in die Debatte einbringen  konnten.

Im Jahr 2014 bewertete CIVICUS, wie gut zwischenstaatliche Organisationen mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Das Ergebnis zeigte: viele zivilgesellschaftliche Organisationen sind mit Reichweite und Art der Zusammenarbeit alles andere als zufrieden. Konsultationen mit der Zivilgesellschaft wurden als meist oberflächliche Rituale beschrieben, bei denen es allein darum gehe, bestimmte Anforderungen abzuhaken. Viele Mitglieder der Zivilgesellschaft berichteten, dass sie zwar häufig einbezogen werden, wenn es darum gehe, Programme umzusetzen, dass sie aber bei der Planung von Maßnahmen kaum mitgestalten konnten. Beklagt wurde unter anderem, dass sich Regierungen jederzeit über zivilgesellschaftliche Initiativen hinwegsetzen können, und dies geschehe so häufig, dass die Zusammenarbeit zwischen internationalen Institutionen und Zivilgesellschaft nahezu folgelos bleibe.

Angezeigt wurde zudem, dass internationale Institutionen mit nur wenigen ausgewählten zivilgesellschaftlichen Gruppen zusammen arbeiten, und so lautet eine Forderung, , dass dieses Spektrum dringend erweitert werden sollte, um der , der Vielfalt mehr Raum zu verleihen. Allerdings gab es auch Kritik an den großen, besser ausgestatteten internationalen zivilgesellschaftlichen Organisationen mit privilegiertem Zugang zu internationalen Institutionen. Konkret wurde ihnen vorgeworfen, sie versuchten in erster Linie die eigene Stellung zu wahren, anstatt sich für eine stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft einzusetzen. Zudem sitzen viele internationale Institutionen in Ländern des Globalen Nordens und damit in Ländern, die eine sehr restriktive Visapolitik verfolgen. Für Vertreter/innen zivilgesellschaftlicher Orgaisationen aus dem Globalen Süden kann dies eine weitere Hürde sein, an internationalen Entscheidungsprozessen teilzunehmen.

Zivilgesellschaftliche Gestaltungsspielräume in internationalen Prozessen – mehr Demokratie muss her

Unsere Untersuchungen schließen mit der Erkenntnis, das internationale Governance-Prozesse an einem doppelten Demokratiedefizit leiden: In den Nationalstaaten durch die Unterwanderung demokratischer Prozesse, in der Eliten viele Stimmen von den Entscheidungen ausschließen und so der Zivilgesellschaft wenig Gestaltungsspielraum geben. Auf internationaler Ebene vertreten Regierungen, die sich über Bürgerrechte hinwegsetzen, sehr beschränkte Interessen und sorgen dafür, dass die Zivilgesellschaft bei internationalen Prozessen kaum mitreden darf.

Damit die Zivilgesellschaft auf nationaler wie internationaler Ebene besser und mehr mitbestimmen kann, sind folgende Schritte notwendig (und einige davon kann die Zivilgesellschaft selbst angehen).

Erstens: In einer Welt, in der das, was auf lokaler Ebene geschieht, sehr stark von globalen Abläufen abhängt, muss die Zivilgesellschaft es zu ihrer obersten Priorität machen, größeren Einfluss auf Global Governance Institutionen zu gewinnen. Damit die Zivilgesellschaft eine größere Rolle spielen kann, muss sie die Mechanismen besser verstehen, wie auf internationaler Ebene Entscheidungen getroffen werden. Damit dies gelingt, müssen verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen mit ihren jeweils anderen Stärken und Arbeitsgebieten, Informationen untereinander besser austauschen und voneinander lernen. Maßnahmen auf internationaler Ebene, die den Handlungsspielraum von Zivilgesellschaft erweitern und für mehr Teilhabe sorgen, müssen kommuniziert und anschließend auch auf nationaler Ebene umgesetzt werden.

Zweitens: Zivilgesellschaftliche Organisationen müssen ihre Bemühungen bündeln, um gegen die Einschränkungen der Handlungsspielräume vorzugehen. Organisationen, die zu unterschiedlichen Themenfeldern arbeiten, beispielsweise zur Internetfreiheit, zu demokratischen Reformen, Frauenrechten, LGBTI-Rechten, Umwelt- und Landrechten sowie den Rechten indigener Völker müssen zusammenarbeiten – und dasselbe gilt für die Zivilgesellschaften im Globalen Süden und Norden. Große, gut ausgestattete Organisationen, die bereits in zwischenstaatlichen Einrichtungen vertreten sind, sollten versuchen, diese politischen Räume zu demokratisieren, indem sie ihren Zugang und ihre Mittel mit anderen teilen.

Drittens: Es muss entschiedender, deutlicher und allgemeinverständlicher vermittelt werden, warum die Zivilgesellschaft so wichtig ist und wie man sie verteidigen kann. Damit dies gelingt, sollte die Zivilgesellschaft vermeiden, ihre eigene Ohnmacht beschwören, vielmehr muss sie zeigen, was sie zu leisten imstande ist und welch wertvollen Beitrag Teilhabe erbringt.

Auch zwischenstaatliche Organisationen müssen mehr tun und einige der Hürden aus dem Weg räumen, die aktuell die zivilgesellschaftliche Mitwirkung behindern. Sie müssen aktiv dazu beitragen, dass auf internationaler Ebene eine vielfältige Zivilgesellschaft Gehör erhält, und sie müssen Wege finden und Mittel zu Verfügung stellen, damit eine derartige Teilhabe möglich wird. Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten mindestens im selben Maß in Entscheidungsprozesse eingebunden werden, wie dies bei transnationalen Unternehmen bereits der Fall ist.

Schließlich muss der Handlungsspielraum, den zivilgesellschaftliche Organisationen haben, regelmäßig und genau untersucht und dokumentiert werden. Durch neue Programme, mit denen sich frei zugängliche Daten analysieren lassen, kann erfasst werden, ob sich die Bedingungen für zivilgesellschaftliches Engagement in bestimmten Zusammenhängen verbessern oder verschlechtern, und es ist so möglich, bei Gefahr frühzeitig Alarm zu schlagen und einzugreifen. CIVICUS wird hierzu im Oktober 2016 den CIVICUS Monitor vorstellen, eine interaktive Website, die aktuelle Daten zum Zustand der zivilgesellschaftlichen Freiheitsrechte in jedem Land der Welt liefern wird. Wir freuen uns auf ihren Besuch!

Dieser Artikel ist ein Beitrag aus unserem Dossier: "Es wird eng – Handlungsspielräume für Zivilgesellschaft".