Religion und Homosexualität - ein vermeintlicher Widerspruch

Die Konferenz „Too queer to believe – Religion, social activism and LGBTI rights“
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Imam Ludovic-Mohamed Zahed der Organisation CALEM (Homosexuels Musulmans de France) spricht auf der Konferenz

Wo ist die Schnittstelle zwischen Religion, Glauben und LSBTIQ*-Rechten? Unter anderem diese Frage wurde auf der internationalen Konferenz „Too queer to believe – Religion, social activism and LGBTI rights“ am 5. Oktober 2016 in der Heinrich-Böll-Stiftung diskutiert.

Religion und Homosexualität werden häufig als Widerspruch gesehen: Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung wird gerne mit religiösen Argumenten gerechtfertigt. Wie sind jedoch Religion und Homosexualität miteinander vereinbar? Wie können religiöse Gemeinschaften schwule, bisexuelle, lesbische, Trans*, Inter* und queere Menschen (LGBTIQ*) integrieren und umgekehrt: Wie können religiöse Menschen in der LGBTIQ* Community voll akzeptiert werden?

Die Fragen, wie sich die beiden Communities gegenseitig unterstützen können und wo die Schnittstellen zwischen Religion, Glauben und LSBTIQ*-Rechten sind, standen im Zentrum der internationalen Konferenz „Too queer to believe – Religion, social activism and LGBTI rights“, die die Heinrich-Böll-Stiftung am 5. Oktober 2016 in Zusammenarbeit mit der türkischen NGO Kaos GL in Berlin abgehalten hat.

Eine klare Verurteilung von Homosexualität durch monotheistische Religionen sei nicht immer so eindeutig von den heiligen Texten abzuleiten wie es behauptet wird. Im Islam beispielsweise gebe es laut Imam Ludovic-Mohamed Zahed von CALEM (Homosexuels Musulmans de France) aus Frankreich keine authentische islamische Tradition und keinen Text, der Homosexualität per se verurteile. Dazu werde zwar häufig der Text zu Sodom und Gomorrha zitiert, doch bezweifeln mittlerweile progressive religiöse Gelehrte, ob es sich dabei tatsächlich um ein Verbot von Homosexualität handle. Dies bestätigt der südafrikanische Aktivist und Imam Muhsin Hendricks.

Er kam in seinen Studien zum Schluss, dass im Text zu Sodom und Gomorrha vielmehr eine Vielzahl an Verbrechen angeprangert werden, die die "Leute von Lot" begingen. Diese reichen von Polytheismus über Raub bis hin zu wirtschaftlicher Ausbeutung und Vergewaltigung. Hendricks ist der weltweit erste offen schwule Imam und leitet die Non-Profit-Organisation „The Inner Circle“ in Kapstadt, die queere Muslime dabei unterstützt, den Islam mit ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität in Einklang zu bringen. Er ist davon überzeugt, dass soziale Veränderung von innen erst möglich ist, wenn queere Muslime empowert werden.

Segenssprechung für gleichgeschlechtliche Paare in der Evangelischen Kirche

Im konservativen Protestantismus wiederum wird Homosexualität als Verletzung des Schöpfungswillens Gottes interpretiert und dabei nicht die homosexuelle Person, sondern die homosexuelle Praxis verurteilt. Diese Sichtweise werde aber nur von einem Teil der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) unterstützt, wie Assistenzprofessor Gerhard Schreiber von der TU Darmstadt berichtet und auf die Veränderungen innerhalb der EKD während der letzten Jahrzehnte hinweist. Mittlerweile – und insbesondere seit der Abschaffung des Paragraphen 175 im deutschen Strafgesetzbuch im Jahr 1994 - werde Homosexualität meist als Teil der Identität akzeptiert und es herrschen bejahende Sichtweisen innerhalb der EKD zum Thema vor. Genauso gelte die heterosexuelle Ehe nicht mehr als das einzige Ideal und es gebe in Deutschland die Möglichkeit der Segenssprechung für gleichgeschlechtliche Paare.

Die seltene Nennung von gleichgeschlechtlichem (v.a. schwulem) Sex in der Thora wiederum deutet Armin Langer von der Salaam Schalom Initiative als Hinweis für die untergeordnete Bedeutung des Themas im Judentum. Vielmehr gebe es verschiedene traditionelle Antworten darauf, wie man mit dem (homo-)sexuellen Drang umgehen könne: enthaltsam zu leben, sich auf bestimmte sexuelle Praktiken zu begrenzen oder – so Langers Ratschlag – so zu leben, wie man will. Denn auch in der Sünde sei Gott präsent.

Religion formt Gesellschaften, Beziehungen und Institutionen. Um dem vermeintlichen Widerspruch zwischen Religion und Homosexualität begegnen zu können, müssen laut Zahed alternative Repräsentation der Identitäten aufgebaut werden. Er verweist auf die Gefahr auf eine einzige Wahrheit zu pochen – „Es gibt nicht nur einen Islam!“, sowie auf die Forderung nur eines zu sein – z.B. entweder gläubig oder schwul. Vielmehr sollte die Bedeutung von performativen Identitäten und der Reichtum eines hybriden Seins hervorgehoben werden.

Für ihn ist Hybridität der Schlüssel um Wissen zu schaffen, indem man z.B. vermeidet zu sagen, Religion sei das Problem, sondern Menschen vielmehr Werkzeuge an die Hand gibt, Wissen zu dekonstruieren und auf diese Weise Wege zum Empowerment eröffnet. Da manche Texte eine internalisierte „LGBTQ-phobia“ beinhalten, genüge es allerdings nicht, sie einfach zu dekonstruieren, sondern jene, die daran glauben, müssen begleitet werden. Es brauche intersektionale Strategien um die „mentalen Anker“ dieser Texte aus den Köpfen der Menschen zu entfernen.

Langer hingegen ist besorgt über die Vorurteile gegenüber Geflüchteten, die nach Deutschland kommen und denen aufgrund ihres muslimischen Glaubens Homophobie unterstellt werde. Homophobie gebe es aber genauso in anderen Religionsgemeinschaften. Er verweist auf die Entwicklung des Verständnisses von Körper und Sexualität, das sich laut Michel Foucault erst im 19. Jahrhundert zu einer eigenständigen Kategorie entwickelt hat, zu der man sich erklären musste und bringt dies in Verbindung mit der Entwicklung des Nationalstaates, bei dem es ebenso Homogenisierung bedurfte.

Religion als Verbündete von LSBTIQ*-Rechten

Schreiber wiederum fordert dazu auf, nicht einen Bibelvers gegen den anderen auszuspielen, sondern Kriterien auf der Basis der Bibel für Partnerschaften zu erarbeiten, deren Einhaltung besonders wichtig ist, wie etwa Verlässlichkeit, Loyalität und füreinander Verantwortung zu übernehmen – egal ob in hetero- oder homosexuellen Partnerschaften. Mit diesen Kriterien kann Sexualität als Ganzes als gesund und wertschätzend definiert werden.

Wie Zivilgesellschaft und transnationale queere Bewegungen sich mit Glaube und Religion auseinandersetzen, zeigten Aktivistinnen und Aktivisten aus Deutschland, Israel und der Türkei auf. So setzt sich Michael Brinkschröder von Homosexualität und Kirche e.V. (HUK) mit der Schwierigkeit auseinander, als gläubiger schwuler Mann in den beiden Communities akzeptiert zu werden. Erst mit der Gründung des Komitees der katholischen LSBT-Gruppen in Deutschland und dem globalen Netzwerk von Regenbogen-Katholiken (Global Network of Rainbow Catholics), sowie der Integration des Themas in den Menschenrechtsdiskurs, beginne in der deutschen katholischen Kirche eine allmähliche Öffnung.

Auch Sarah Weil aus Tel Aviv kritisiert den Ausschluss von religiösen LSBTIQ*-Personen aus der LGBTIQ* Community. Die Aktivistin plädiert dafür, gläubige LGBT Menschen als Brücke zwischen angeblich widersprüchlichen Welten zu sehen. Genauso wie Religion dafür missbraucht werden könne, Böses zu rechtfertigen, könnte sie auch eine Basis für Ideale darstellen. Weil plädiert dafür, Religion nicht als Feind von LSBTIQ*-Rechten zu sehen, sondern vielmehr als Verbündete. Die Werte, die in Religionen hochgehalten werden, wie Würde, Menschenrechte und Gerechtigkeit, können die LGBTIQ* Inklusion unterstützen. Ihrer Meinung nach braucht es mehr Bündnisse zwischen diversen Gruppierungen, nicht-LGBT, religiös oder nicht, um gemeinsam die Gesellschaft zu verändern.

Die Gesellschaft zu verändern ist auch das Ziel von Aylime Asli Demir von Kaos GL, der türkischen LGBT Organisation, deren Bericht besonders bedrückend ist. Die Aktivistin prangert Hassverbrechen in der Türkei an, insbesondere die brutale Ermordung von Transfrauen. Die Mörder seien meist sicher, straffrei davonzukommen, da sie von einem übergeordneten System unterstützt würden. Sie denken, „diese Körper verdienen es, umgebracht zu werden“. Die Morde sind oft besonders brutal, es werden Geschlechtsorgane abgetrennt, der tote Körper wird gefoltert und entblößt auf der Straße liegengelassen – den Blicken der Öffentlichkeit ausgesetzt. Als sei das nicht genug, werden Bestattungsrituale dazu verwendet, die Erinnerung an die Person zu verändern, indem der Imam beispielsweise in männlicher Form von der ermordeten Transfrau spricht. Dies alles präge die türkische Gesellschaft sehr, spreche den Ermordeten ihr Menschsein ab und rechtfertige damit auf gewisse Weise die Morde.

Die Konferenz machte deutlich, dass die Kräfte, die in Religion und Homosexualität einen Widerspruch sehen (wollen), immer noch sehr stark sind. Nichtsdestotrotz gibt es diverse Bestrebungen, die im Ringen um die Vereinbarkeit von Religion und Homosexualität eine Möglichkeit sehen, Veränderungen herbeizuführen. Das Zusammenbringen beider Communities, sowie weiterer Allianzen und Bündnisse kann vielmehr dazu genutzt werden um eine Gesellschaft aufzubauen, die auf Respekt und Wertschätzung von Vielfalt basiert.