Die Wirtschaftslobby und die G20

Vom 2. bis 3. Mai findet in Berlin der Business 20-Gipfel der internationalen Wirtschaftsverbände im Rahmen der G20 statt. Traditionell fordert die Wirtschaftslobby Maßnahmen, die eine nachhaltige Politik eher verhindern. Es ist höchste Zeit, den Wirtschaftseinfluss zu begrenzen.

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Seit Jahren haben Vertreter/innen der B20 weit bessere Zugänge zu den Diskussionen und Entscheidungsträgern der G20 als zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften

Für transnationale Unternehmen und ihre nationalen und internationalen Interessenverbände bietet die G20 eine einmalige Möglichkeit, auf die Diskussionen und Entscheidungen der mächtigsten Regierungen der Welt kontinuierlich Einfluss zu nehmen. Wirtschaftsakteure haben zu diesem Zweck in den letzten Jahren ein Netz von Allianzen und Foren rund um die G20 geschaffen. Nach außen sichtbarstes Zeichen des Engagements der Wirtschaft ist die Busines20 (B20), deren jährliche Gipfeltreffen bis 2016 nicht zufällig in unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nähe der G20-Gipfel stattfanden.

Die G20 sind "emfänglich" für die Empfehlungen der Wirtschaft

Parallel zur deutschen G20-Präsidentschaft sind 2017 die drei Dachverbände der deutschen Wirtschaft, der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) für die Ausrichtung des B20-Gipfels und die Koordination der Stellungnahmen der Wirtschaft zuständig. An ihrer Formulierung sind nach B20-Angaben mehr als 500 Vertreter/innen von deutschen und internationalen Banken und Unternehmen, Wirtschaftsverbänden und Consultingfirmen beteiligt. Der B20-Gipfel findet in diesem Jahr am 2.-3. Mai in Berlin statt.

Ein wichtiger Akteur ist dort auch die Internationale Handelskammer (International Chamber of Commerce, ICC), nach eigenen Worten die größte Wirtschaftsorganisation der Welt. Sie schuf bereits 2011 die „ICC G20 CEO Advisory Group“, um den kontinuierlichen Input globaler Wirtschaftsakteure in die Arbeit der G20 zu gewährleisten. Daneben entstanden in den letzten Jahren eine Reihe weiterer Wirtschaftsforen mit dem Ziel, G20-Entscheidungsprozesse zu beeinflussen. Dazu zählen die G20 Young Entrepreneurs’ Alliance und das G20 Agricultural Entrepreneurs Forum. Gelegentlich sind auch einzelne Unternehmen und private Stiftungen in die Aktivitäten der G20 direkt involviert. Das gilt unter anderem für die globale Consultingfirma McKinsey und die Stiftung von US-Milliardär Bill Gates.

Angesichts des Mangels an Transparenz und öffentlich zugänglichen Informationen ist es schwierig, den direkten Einfluss der Wirtschaft auf die Diskussionen und Entscheidungen der G20 zu messen. Die ICC und die B20 selbst haben wiederholt betont, wie erfolgreich sie darin waren, die Entscheidungen der G20 zu beeinflussen. Die ICC veröffentlicht seit 2012 jährlich eine G20 Business Scorecard, mit der sie die Politik der G20 benotet. In ihrem jüngsten Zeugnis vom Dezember 2016 erhielten die G20-Regierungen die bislang besten Noten, da sie nach den Worten der ICC in wachsendem Maße „empfänglich“ seien für die Prioritäten und Empfehlungen der Wirtschaft.

Die Kernbotschaften der Wirtschaft sind problematisch

Auf den ersten Blick wirken viele Empfehlungen der Wirtschaft an die G20 unverdächtig. Innovationen sollen ermutigt, Regulierungen optimiert und die Regierungsführung wirksamer und effizienter gestaltet werden. Zentrale Forderungen und Positionen der Wirtschaftslobbyisten sind jedoch problematisch. Sie favorisieren weiterhin Denkmuster und Politikrezepte, die die sozio-ökonomischen und ökologischen Krisen der letzten Jahre nicht verhindert, sondern eher befördert haben.

  • Wachstumsgläubigkeit auf Kosten der Umwelt: B20 und ICC predigen durchgängig wirtschaftliches Wachstum als Allheilmittel und conditio sine qua non für Wohlstand und Entwicklung. Dabei zeigen die letzten Jahrzehnte, dass mit dem Wachstum der Wirtschaft der Ressourcenverbrauch, die Umweltzerstörung und in vielen Ländern auch soziale Disparitäten gewachsen sind. Die simple Gleichung, was gut für die Wirtschaft ist, ist auch gut für Gesellschaft und Umwelt, geht eben nicht auf. B20 und ICC ignorieren mit ihrem Plädoyer für robustes ungebremstes Wachstum alle Diskussionen über die planetarischen Grenzen und differenziertere Konzepte nachhaltiger Entwicklung.
  • Drängen auf Deregulierung: Die Finanzindustrie und ihre Lobbygruppen haben sich in den letzten Jahren vehement dafür eingesetzt, striktere Regeln für die Finanzmärkte zu verhindern und bestehende Regulierungen aufzuweichen. Auf G20-Ebene haben Wirtschaftsvertreter/innen den Regierungen empfohlen, bei der Regulierung der Finanzmärkte „eine Pause einzulegen“, die „inneffiziente Regulierung und Überregulierung der Wirtschaft“ kritisiert und die G20 aufgefordert, die nach der Krise 2008 eingeführten Regeln für die Finanzmärkte zu „überdenken“ und zu „optimieren.“ In den USA hatten sie mit ihren Attacken gegen den Dodd-Frank Act bei der Trump-Administration bereits Erfolg. Mit ihren Deregulierungsforderungen bereiten sie jedoch den Boden für die nächste globale Finanzkrise.
  • Vorrang für Investoreninteressen: Rufe nach Handelsliberalisierung, offenen Märkten für Investoren und dem Abbau aller Formen von Protektionismus standen schon immer im Zentrum der Forderungen von B20 und ICC an die G20. Bis heute fordern sie von den Regierungen, den Investorenschutz zu stärken und Investitionsabkommen zu fördern. Sie drängen darauf, dass diese Abkommen starke Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren enthalten, die ausländischen Konzernen das Recht einräumen, Regierungen des Gastlandes zu verklagen, wenn sie sich durch ihre Entscheidungen oder Gesetze diskriminiert fühlen. Aber die privaten Streitschlichtungsverfahren sind nicht nur intransparent und unterminieren nationalstaatliche Rechtsprechung. Sie bergen auch die Gefahr, den Handlungsspielraum der Regierungen einzuschränken, vor allem, wenn es um Gesundheitsstandards, Umweltschutz und Arbeitnehmerrechte geht. De facto stellen diese Streitschlichtungsverfahren Investorenrechte über Menschenrechte und Umweltschutz.
  • Förderung von PPPs und privater Finanzierung öffentlicher Infrastruktur: Viele Wirtschaftsakteure sehen in PPPs besonders vielversprechende Modelle, um die enorme Finanzierungslücke im Infrastrukturbereich zu schließen. Sie fordern von den multilateralen Entwicklungsbanken und den Mitgliedern der G20, „bankfähige“ PPPs mit „ausgewogener Risikoverteilung“ und langfristigem Investorenschutz zu entwickeln. Was jedoch die B20 als „ausgewogene Risikoverteilung“ bezeichnet, zielt tatsächlich vor allem darauf, die Risiken für die privaten Partner zu minimieren und auf die öffentlichen Partner abzuwälzen. Inzwischen belegen diverse Studien, dass PPPs unverhältnismäßig hohe Risiken und Kosten für den öffentlichen Sektor mit sich bringen. Sie bergen die Gefahr, die öffentliche Verschuldung auf Kosten zukünftiger Generationen zu erhöhen, Ungleichheiten zu verschärfen und den gerechten und diskriminierungsfreien Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen (etwa im Bereich der Wasserversorgung) zu erschweren.
  • Vorzugsbehandlung für die Wirtschaftslobby: Über Jahre hatten Vertreter/innen der B20 und der ICC weit bessere Zugänge zu den Diskussionen und Entscheidungsträgern der G20 als zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften. Dennoch insistieren sie darauf, die Beziehungen noch weiter zu formalisieren. Die ICC fordert zum Beispiel, Wirtschaftsvertreter/innen systematisch in die G20-Arbeitsgruppen aufzunehmen, die sich mit Energiefragen befassen. Die Schaffung eines Satellitensystems sogenannter „Engagement Groups“ rund um die G20 - Business20 (B20), Labour20 (L20), Civil20 (C20), Youth20 (Y20), Think20 (T20), Women20 (W20), und Science20 – vermittelt zwar den Eindruck der Chancengleichheit, in der Praxis ist jedoch weiterhin eine der Gruppen „gleicher“ als die anderen.

Höchste Zeit, den Wirtschaftseinfluss zu begrenzen

Um die einseitige Ausrichtung der G20 an den Interessen der Wirtschaft und die Doppelstandards in der Behandlung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft zumindest ansatzweise zu überwinden, sind substantielle Reformen notwendig. Sie betreffen sowohl die Arbeits- und Funktionsweise der G20 als auch ihre Programmatik und Politik.

  • Transparenz erhöhen – Information der Öffentlichkeit ermöglichen: Die Diskussionen und Entscheidungsprozesse der G20 finden überwiegend hinter verschlossenen Türen statt. Ob, wann und in welchem Umfang Informationen veröffentlicht werden, bleibt bisher dem Gutdünken der jeweiligen G20-Präsidentschaft überlassen. Um den gravierenden Mangel an Transparenz zu reduzieren, sollte die G20 rechtzeitig und systematisch alle Dokumente im Zusammenhang mit ihren Treffen veröffentlichen. Das gilt sowohl für die Treffen der Sherpas und der Arbeitsgruppen, die Ministertreffen und die Gipfel selbst.
  • Gleicher Zugang für alle gesellschaftlichen Gruppen statt Vorzugsbehandlung für die Wirtschaft: Während der Handlungsspielraum und die Bewegungsfreiheit für zivilgesellschaftliche Gruppen in vielen Ländern eingeschränkt wird, haben die Interessenvertreter der Wirtschaft häufig privilegierte Zugangsmöglichkeiten zu G20-Entscheidungsträgern. Formalisierte und gleichberechtigte Partizipationsrechte für zivilgesellschaftliche Gruppen, wie sie beispielsweise in den Vereinten Nationen selbstverständlich sind, existieren in der G20 nicht. Das von den G20-Regierungen geschaffene Konstrukt der „Engagement Groups“ (Beteiligungsgruppen) sieht unabhängige Partizipationsrechte für die Zivilgesellschaft nicht vor. Welche Gruppen in die G20-Prozesse einbezogen werden, hängt Jahr für Jahr auf’s Neue vom guten Willen der jeweiligen Präsidentschaft ab. Die G20 sollte daher einheitliche Standards für die Einbeziehung nichtstaatlicher Akteure in ihre Arbeit schaffen. Sie sollten einerseits die systematische Beteiligung zivilgesellschaftlicher Gruppen an allen Treffen im G20-Prozess ermöglichen, andererseits den bevorzugten Zugang von Interessenvertreter/innen der Wirtschaft verhindern.
  • Postulat der Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung ernst nehmen: Auf UN-Ebene haben auch die Regierungen der G20 im Rahmen der 2030-Agenda einem umfassenden Set von Nachhaltigkeitszielen mit den Menschenrechten als normativer Grundlage zugestimmt. Ihre Beschlüsse und Aktionspläne auf G20-Ebene spiegeln diesen ganzheitlichen Ansatz bisher nicht wider. Der eigene Aktionsplan zur Umsetzung der 2030-Agenda blieb vage und unverbindlich. Weiterhin dominiert in den G20-Beschlüssen das Primat ungezügelten Wirtschaftswachstums. Um den Ansprüchen der Transformationsagenda der UN gerecht zu werden, müssten die Regierungen der G20 sich zur Politikkohärenz im Sinne nachhaltiger Entwicklung verpflichten und ihre Beschlüsse, insbesondere im Bereich der Wirtschafts-, Finanz-, Handels- und Investitionspolitik konsequent danach ausrichten. Ihre Vereinbarungen und Aktionspläne sollten systematisch daraufhin überprüft werden, ob sie im Einklang mit den Zielen und Prinzipien der 2030-Agenda stehen.
  • Stärkung von Menschenrechten statt Investorenrechten: In den G20-Diskussionen haben die Lobbyisten der Wirtschaft immer wieder vor einer „Überregulierung“ der Märkte gewarnt und gefordert, die Rahmenbedingungen für transnationale Handels- und Kapitalflüsse wirtschaftsfreundlicher zu gestalten. Die gilt insbesondere für die Rechte transnationaler Investoren. Dagegen spielen die Menschenrechte als Referenzrahmen in den Empfehlungen der Wirtschaft und den Beschlüssen der G20 nur eine marginale Rolle. Angesichts der negativen sozialen und ökologischen Folgen unregulierter Märkte ist hier ein grundsätzliches Umdenken nötig. Das bedeutet keinesfalls den Rückfall in Isolationismus und eine nationalistische Wirtschaftspolitik. Die G20 sollte vielmehr für multilaterale Handels- und Investitionsabkommen eintreten, die auf den Menschenrechten basieren und im Einklang mit den Zielen und Prinzipien nachhaltiger Entwicklung stehen.
  • Risiken und Nebenwirkungen von PPPs berücksichtigen: Wirtschaftslobbyisten und Beraterfirmen wie McKinsey haben immer wieder gegenüber der G20 PPPs als Patentlösung für die Finanzierung großer Infrastrukturvorhaben propagiert. Die G20 ist ihren Empfehlungen bisher weitgehend gefolgt und hat die wachsende Zahl von Untersuchungen über die negativen Nebeneffekte und Kosten von PPP-Modellen für die öffentliche Hand ignoriert. Die G20 sollte diese Untersuchungen in ihren Diskussionen gebührend berücksichtigen und als Konsequenz ihren Ansatz gegenüber der privaten Beteiligung an Infrastrukturinvestitionen überdenken. Zugleich sollte sie verstärkt alternative Formen öffentlicher Infrastrukturfinanzierung entwickeln.
  • Die Rolle der G20 relativieren – demokratischen Multilateralismus stärken: Die bisher genannten Maßnahmen sind notwendige Bedingungen, um dem Einfluss der Wirtschaftslobby und der Ausrichtung der G20-Politik an ihren Interessen entgegenzuwirken. Aber selbst wenn die G20 dadurch transparenter würde, sie sich systematisch für zivilgesellschaftliche Gruppen öffnen und die Einflusskanäle der Wirtschaft beschränken würde, und wenn sie ihre Entscheidungen kohärenter an den Menschenrechten und den Prinzipien und Zielen nachhaltiger Entwicklung ausrichten würde: Sie bliebe ein exklusiver Club mit begrenzter Mitgliedschaft, in dem weite Regionen der Welt unterrepräsentiert sind. Von den 54 Ländern Afrikas ist lediglich Südafrika vertreten, von den 35 Ländern Lateinamerikas und der Karibik sind es mit Argentinien, Brasilien und Mexiko lediglich drei. Dies wäre nicht problematisch, wenn sich die G20 nur mit Problemen befassen würde, die sich auf das Territorium ihrer Mitglieder beschränkten. Aber dies ist nicht der Fall. Die Entscheidungen, die die G20 fällt, haben auch auf Länder Auswirkungen, die nicht am Tisch der Mächtigen sitzen. Einige handverlesene Vertreter Afrikas als Gäste zu G20-Treffen einzuladen, ändert nichts an diesem grundsätzlichen Defizit.

Selbst eine reformierte G20 ist daher kein Ersatz für die Stärkung repräsentativerer Entscheidungsgremien auf globaler Ebene. Angesichts des nationalistischen Backlash in den USA und anderen G20-Ländern sind wir davon allerdings derzeit meilenweit entfernt.