In Springdale ist das Meer sehr weit weg. Und doch spürt die Stadt die Auswirkungen des weltweit steigenden Meeresspiegels: 10.000 Bürgerinnen und Bürger der Marshallinseln haben sich hier ihr neues Zuhause gesucht. In Sicherheit.
Die Marshallinseln liegen im Pazifik zwischen Hawaii und Australien. Fast ein Drittel ihrer Bevölkerung hat das Land bereits Richtung USA verlassen – ihre Heimat gehört zu den ersten Staaten, deren Existenz durch den Klimawandel bedroht ist. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Grund ist der steigende Meeresspiegel – die eine seiner Ursachen ist das Abschmelzen der Festland-Gletscher. Die andere ist die Erwärmung des Ozeans: 93 Prozent der zusätzlichen Wärmeenergie, die durch die globale Erwärmung entsteht, wird vom Ozean aufgenommen – Wasser dehnt sich aus, wenn es wärmer wird, der Meeresspiegel steigt. Beide Effekte tragen heute fast in gleichem Maße zum Meeresspiegelanstieg bei. Seit 1900 waren es im globalen Mittel 20 Zentimeter, in Zukunft werden circa drei weitere Millimeter im Jahr erwartetet. Das klingt nicht viel – für ein versprengtes, flaches Inselreich wie die Marshallinseln aber ist es auf die Dauer verhängnisvoll.
Wurden die Atolle, die oft weniger als einen Meter aus dem Wasser ragen, in der Vergangenheit nur alle paar Jahrzehnte vom Ozean überspült, geschah dies allein im Jahr 2014 dreimal. Zu oft für die Inseln, um sich zu regenerieren – das Land versalzt, die Süßwasserreserven in den Lagunen werden ungenießbar.
Der Meeresspiegel steigt nicht überall gleichermaßen an, und Langzeitmessungen zeigen, dass auch die Erwärmung der Ozeanoberfläche sich lokal stark unterscheidet. Einige Regionen im Bereich des Golfstroms haben sich im Vergleich zum globalen Mittel um das Vierfache erwärmt, andere im Südpazifik haben sich sogar leicht abgekühlt. Auch die Marshallinseln liegen in einer Region mit schwacher Erwärmung.
Das zeigt: Der Meeresspiegel steigt nicht unbedingt dort am stärksten, wo die Erwärmung am deutlichsten ausfällt. Wie ist das zu erklären? Treibende Kraft bei den regionalen Schwankungen des Meeresspiegels ist der Wind. Stärkere Passatwinde drücken beispielsweise im Pazifik mehr Wassermassen von Osten nach Westen, so dass der Meeresspiegel im Westpazifik überdurchschnittlich stark angestiegen ist, während er an der Westküste der USA abgefallen ist. Diese Abhängigkeit des regionalen Meeresspiegelanstiegs vom Wind macht es der Wissenschaft schwer, genau die Antwort zu geben, die für die Menschen vor Ort die wirklich interessante ist: Wie wird es in meiner Region in Zukunft weitergehen? Was müssen wir hier tun, um uns anzupassen? Das Problem: Zuverlässige Prognosen, wie sich der regionale Meeresspiegel entwickelt, gibt es noch nicht, da zum Beispiel das langfristige Verhalten der Windsysteme schwer vorhersagbar ist.
Reiche Staaten, zum Beispiel die Niederlande, investieren in die Erforschung neuer, nachhaltiger Formen des Küstenschutzes – beispielsweise setzen sie anstelle des Deichbaus nun auf stetig wiederholte Sandvorspülungen, deren Intensität an den tatsächlichen zukünftigen Anstieg angepasst werden kann. Viele ärmere Staaten verfügen über diese Mittel aber nicht. Bangladesch etwa zählt mit seinen 160 Millionen Einwohnern zu den am dichtesten bevölkerten Ländern der Welt. Um Wachstum zu ermöglichen, wurden die Sundarbans, Bangladeschs riesige Mangrovenwälder, zum Teil abgeholzt und eingedeicht. Die Region liegt also auf Höhe des Meeresspiegels, und dessen Anstieg fiel dort über die letzten Jahrzehnte doppelt so hoch aus wie im globalen Mittel. Die 13 Millionen Einwohner der Sundarbarns sind deshalb besonders verwundbar. 2009 wurden sie vom Zyklon Aila getroffen. Die Deiche brachen auf breiter Front, und weite Teile des tief gelegenen Landes wurden überschwemmt. Zurück blieben zerstörte, versalzte Landschaften. Zehntausende flohen ins Landesinnere, in die großen Städte. Wenn die Dämme endgültig brechen, könnten hier in naher Zukunft Millionen Menschen zu Klimaflüchtlingen werden.
Und die Gefahr, dass es dazu kommt, steigt: Meteorologinnen und Meteorologen in Bangladesch registrieren, dass die Stürme in der Region immer stärker werden – wahrscheinlich eine direkte Folge der überdurchschnittlich starken Erwärmung des Ozeans im Indischen Ozean.
Die Zunahme der Sturmenergie durch wärmere und feuchtere Luft ist eine besondere Herausforderung für die immer stärker besiedelten Küsten und deren vorgelagerte Inseln und Riffe. Der steigende Meeresspiegel und dazu noch stärkere Sturmfluten stellen die Küsten- und Inselbewohnerinnen und -bewohner vor besondere Herausforderungen. Wird man alle Inseln und Küstenstädte erhalten können? Eine Frage, die bei der letzten Überflutung von New Orleans in den USA kontrovers diskutiert wurde. Reiche Länder haben Schutzmöglichkeiten, arme Länder trifft es besonders hart. Im Sinne des Verursacherprinzips tragen die Industrienationen eine besondere Verantwortung für alle Küstenbewohnerinnen und -bewohner. Eine Reaktion ist die Einrichtung des „Green Climate Funds“ durch die Vereinten Nationen – mit seinen Mitteln können betroffene Länder Anpassungsmaßnahmen wie besseren Küstenschutz realisieren. Hierfür ist es aber notwendig, dass die erforderlichen Mittel von den Industrieländern bereitgestellt und für effektive Maßnahmen eingesetzt werden.
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