Seit Jahrtausenden fahren Menschen zur See zum Fischen und zum Handeln. Seit vielen Jahrhunderten wurden deshalb auch Kriege geführt: Regierende beanspruchten Rechte am Meer und an seiner Nutzung. Und auch heute gibt es wieder Konflikte.
Dabei geht es nicht mehr allein um den freien Zugang zu Handelswegen. Der Anlass für Auseinandersetzungen unter heutigen Nationen ist bodenständiger Natur. Gestritten wird um die Ausweitung der maritimen Zonen des internationalen Seerechts, um sich damit die alleinige Nutzung an sogenannten „nicht lebenden Ressourcen“, also zum Beispiel unterseeischen Bodenschätzen, zu sichern. Es geht um „Territorium“ im Meer. Absurd? Nicht, wenn man sich ansieht, wo Land anfängt. Und wo es angeblich endet.
Grundlage ist das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen. Demnach darf ein Staat ein Gebiet von zwölf Seemeilen vor seiner Küste als eigenes Küstenmeer beanspruchen. Zudem kann er 200 Seemeilen der Wassersäule des Meeres vor seiner Küste als „ausschließliche Wirtschaftszone“ nutzen. Gleiches gilt für die ersten 200 Seemeilen des Meeresbodens, den sogenannten Festlandsockel. Die dort liegenden Ressourcen kann dieser Staat allein ausbeuten. Und das ist nicht alles. Kann der Staat wissenschaftlich belegen, dass sein Kontinentalschelf noch sehr viel weiter ins Meer hinausreicht – also mit dem Überwasserland durchgehend geologisch verbunden ist, darf er auch die dort liegenden Ressourcen allein ausbeuten. Dieser Hoheitsanspruch umfasst Inseln, nicht aber Felsen oder andere Erhebungen.
Besonders interessant wird dies bei einigen unbewohnten Inseln wie Heard- und McDonaldinseln. Das sind winzige Inseln, die 1.000 Kilometer nördlich der Ost-Antarktis liegen. Mit diesen Eilanden hat sich Australien ein geologisches Nutzungsgebiet von über 2,5 Millionen Quadratkilometern gesichert. Denn diese Inseln stehen auf dem unterseeischen Kerguelenplateau – das ist ein riesiger Gebirgszug, der sich über 2.000 Kilometer weit hinzieht. Für den kann Australien nun exklusive Nutzungsrechte beanspruchen – für die setzt das Seerechtsübereinkommen zwar Grenzen, diese können aber bis zu 350 Seemeilen von der Insel entfernt liegen.
Das Seerechtsübereinkommen (UNCLOS 1982), das als „Verfassung der Meere“ gilt und die Interessen von Staaten untereinander friedlich ausgleichen soll, ist noch relativ jung. Der Umgang mit dem gänzlich außerhalb staatlicher Souveränität und staatlicher Nutzungsrechte liegenden Meeresboden – in der Diktion der Vereinten Nationen nennt man diesen Teil des Meeres „the area“, also: „das Gebiet“ – beruht eigentlich auf dem Konzept des „gemeinsamen Erbes der Menschheit“. Es soll garantieren, dass die Umwelt geschützt wird und auch Entwicklungsländer am Reichtum teilhaben.
Das sind starke Worte, die manchmal nur schwache Wirkung entfalten. Denn wenn ein Staat seine exklusive Nutzungszone legal erweitern kann, schmälert das das gemeinsame Erbe. Wie im Fall von Norwegen, das sich durch den Besitz der kleinen, komplett eisbedeckten „Insel“ Bouvetinsel – ohne Frischwasser, im Südatlantik, 2.600 Kilometer vom Kap der Guten Hoffnungen entfernt – ein Nutzungsgebiet von 500.000 Quadratkilometern reserviert hat. Auch Frankreich steigt durch den Besitz sehr vieler überseeischer Insel-Dependancen zu neuer Größe auf – zur „Grande Nation“ in Sachen Vorratshaltung an Schätzen des Meeresboden-Territoriums.
Bei der Festlegung dieser Claims spielt die Festlandsockelkommission der Vereinten Nationen eine wichtige Rolle. Hier sichern sich Staaten Rechte auf Rohstoffvorkommen, die zum Teil noch gar nicht wirtschaftlich erschließbar sind. Oder die dort nur vermutet werden. Ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft sozusagen. Dabei geht es nicht nur um fossile Brennstoffe, um Erze und Metalle und die Macht, die mit der Kontrolle darüber verbunden ist. Es geht auch um die globalen strategischen Interessen der Staaten, ihre Einflusssphären legal auszuweiten. Das noch nicht verteilte „Gebiet“ schrumpft. Von ursprünglich über 70 auf 43 Prozent. 57 Prozent des Meeresbodens sind bereits verteilt. Und damit jeglicher internationalen Einflussnahme – die unter anderem die Chance auf Partizipation und Verteilungsgerechtigkeit für alle Nationen umfasst – entzogen.
Diese Regelungen beziehen sich ausschließlich auf den Meeresboden. Doch auch die Wassermassen darüber – und alles, was sich in und auf ihnen abspielt – wird juristischen Regulierungen unterworfen. Innerhalb der Wirtschaftszonen gelten nationalstaatliche Gesetze, soweit die Ausbeutung von Ressourcen und der Umweltschutz betroffen sind. Außerhalb davon gilt das Recht der Hohen See – das ist Völkerrecht. Doch auch das ist lückenhaft: Piraten dürfen auf Hoher See aufgebracht werden, von jedem, der sie erwischt, Umweltsünder, illegale Fischereiflotten, Terroristen, Waffenhändler, Drogenschmuggler und Menschenschinder dagegen nicht. Sie können nur von den Staaten, aus denen sie stammen, verfolgt werden. Die Zuständigkeiten internationaler Organisationen sind oft mehr als unklar. Die Hohe See ist im territorialen Sinne Niemandsland. Was die Nutzung angeht aber Jedermansland. Schwierig also unter diesen Voraussetzungen, den Schutz des Ozeans in Bezug auf globale Probleme voranzubringen. Aber nicht unmöglich, wie aktuelle Verhandlungen auf UN-Ebene nahelegen, die das Ziel haben, Schutzgebiete auch in der Hohen See einzurichten.
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