Neue Klimaklagen – ein globaler Überblick über Fälle und Trends

Neue Klimaklagen und rechtliche Initiativen für mehr Klimagerechtigkeit sprießen gerade wie Pilze aus dem Boden – und das überall auf der Welt. Eine Mehrzahl von Klagen richtet sich gegen Regierungen.

Hammer in einem Gerichtssaal, Stapel von Rechtsbüchern.

Klimaklagen weltweit. Warum das so ist, welche Arten von Klagen das sind, welche rechtlichen Herausforderungen die Kläger/innen zu meistern haben und warum diese Klagewelle gerade nach dem Inkrafttreten des Pariser Klimaabkommens kein Zufall und vor allem ganz wichtig ist, erläutern UN Environment und das Sabin Center for Climate Change Law an der Columbia University in New York City in ihrem aktuellen Bericht The Status of Climate Change Litigation: A Global Review.

Über viele diese Klagen und Untersuchungen habe ich auch schon hier auf Klima der Gerechtigkeit berichtet, so z.B. über die Klage des Peruaners Saúl Luciano LLiuya gegen den Energieresen RWE (da ist nun übrigens für November ein Verhandlungstermin für die Anhörung des Widerspruchs gegen die Ablehnung der Klage angesetzt!), über die Urgenda-Klage in den Niederlanden, die Schweizer Klimaseniorinnen, die Untersuchung der Menschenrechtskommission in den Philippinen, über drohende Klagen durch Investoren, Klagen lokaler Gemeinden in Kanada, Untersuchungen gegen Exxon (hier gibt es auch ein Update: „ExxonMobil lost its appeal on Tuesday to keep records held by its auditors away from the New York attorney general’s climate fraud probe„) sowie über verschiedene Klagen von Jugendlichen überall auf der Welt (z.B. in Norwegen und den USA).

Vor etwa einem Jahr haben wir gemeinsam mit dem Climate Justice Programme auch einen eigenen Überblicksbericht vorgelegt, der die neuen Klimaklagen mit der Klagewelle gegen die Taba- und Asbestindustrie vergleicht.

Und in der 2. Episode unserer Podcast-Serie Tipping Point – A Podcast on Climate Justice in the Anthropocene sprechen wir unter der Überschrift Climate Justice – Can the Courts solve the Climate Crisis? mit Roda Verheyen (u.a. Anwältin von Saúl Luciano Lliuya) und Tessa Khan über diese Fragen:

Dieser externe Inhalt erfordert Ihre Zustimmung. Bitte beachten Sie unsere Datenschutzerklärung.

video-thumbnailOpen external content on original site

Der neue Bericht von UN Environment und der Columbia Law School erklärt vor allem nochmal sehr schön, warum wir aktuell diese neue Klagewelle erleben und warum das so wichtig ist:

Litigation has arguably never been a more important tool to push policymakers and market participants to develop and implement effective means of climate change mitigation and adaption than it is today. Technological developments and non-climate policy initiatives cannot be counted on to stave off climate destabilization. Accordingly, climate-related law and policy is a necessary component of any rational plan of action. […] The Paris Agreement makes it possible for  constituents to articulate more precisely and forcefully concerns about the gaps between current policy and the policy needed to achieve mitigation and adaptation objectives.

Dabei definiert der Bericht Climate Change Litigation wie folgt:

cases brought before administrative, judicial and other investigatory bodies that raise issues of law or fact regarding the science of climate change and climate change mitigation and adaptation efforts.

Zusammenfassend zählen die Autoren Michael Burger und Justin Gundlach bis März 2017 insgesamt 884 Fälle in 25 Ländern. Die regionale Verteilung der Klimaklagen ist jedoch sehr ungleich: Allein 654 Fälle gibt es in den USA, 80 in Australien, 49 in Großbritannien und 40 am Europäischen Gerichtshof. Deutlich weniger Klagen gibt es im Globalen Süden. Und bei dem Überblick wird deutlich: In den meisten Ländern der Welt gibt es noch überhaupt gar keine Klimaklagen.

Eine Mehrzahl von Klagen richtet sich gegen Regierungen. Die 5 großen Trends, die die Autoren bei der Durchsicht der verschiedenen Initiativen feststellen, sind:

  1. Regierungen bezogen auf ihre gesetzmäßigen Verpflichtungen zur Rechenschaft ziehen.
  2. Die Auswirkungen von Rohstoffabbau mit Klimawandel und Anpassungsfähigkeit (resilience) in Verbindung bringen.
  3. Nachweisen, dass bestimmte Klimawandeleffekte auf bestimmte Emissionen zurückzuführen sind.
  4. Haftung feststellen für das Versagen von Klimawandelanpassungsmaßnahmen.
  5. Die Fürsorgepflicht des Staates auf Klimawandel anwenden.

Und für die Zukunft sehen sie 2 größere Trends auf uns zukommen:

  1. Das Thema „Klimaflüchtlinge“ wird immer stärker auf die Agenda rücken. Dafür gibt es bereits erste Anzeichen in konkreten Fällen in Australien und Neuseeland.
  2. Wir werden mehr Klimaklagen im Globalen Süden sehen. Das liegt vor allem daran, dass das Wissen über solche Initiativen und Möglichkeiten immer breiter geteilt wird. Aber die Autoren sehen auch die Gefahr, dass es durch die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen im Rahmen der nationalen Klimaschutzpläne aus dem Pariser Abkommen (NDCs) oder durch Maßnahmen, die vom Green Climate Fund finanziert werden, zu Konflikten rund um Land und andere Ressourcen kommen kann, beispielsweise beim Klimaschutzinstrument REDD+.

Klar ist, dass es nicht nur um die Weitergabe von Wissen geht, sondern auch um die Verfügbarkeit und Verteilung von Ressourcen, vor allem finanziellen Ressourcen…

Hier zuletzt noch eine Zusammenfassung eines Falls in Kolumbien, der mir selber neu ist und den ich für sehr spannend halte:

In Decision C-035/16 of February 8, 2016, the Colombian Constitutional Court struck down as  unconstitutional provisions of Law No. 1450 of 2011 and of Law No. 1753 of 2015 that threatened  high-altitude ecosystems, called páramos. The court noted several important features of páramos, including their fragility, their lack of regulatory protection, their role in providing Colombia with as much as 70 percent of its drinking water, and the capacity of their soils and vegetation to capture CO2 from the atmosphere. The court highlighted the last of these features in particular, calling páramos a “carbon capture system” and explaining that the carbon capture capacity of páramos exceeds that of a comparably sized tropical rainforest. The court decided that statutory provisions that would have allowed for development in the páramos were unconstitutional because they would endanger the public’s right to clean water and relieve government agencies of their obligation to justify decisions certain to result in the degradation of environmentally sensitive and valuable areas. The court framed its protection of rights in this decision as responsive to climatic changes that would make resources like the water flowing from páramos even more valuable in the future. It can thus be read as taking the need for adaptation to climate change into account when interpreting the significance of constitutionally protected rights that do not explicitly reference climate change.

Der Beitrag erschien zuerst in unserem Blog: Klima der Gerechtigkeit.