Syriens Verschwundene

Unsägliche Haftbedingungen, Verschwindenlassen und Folter waren stets ein Charakteristikum des syrischen Staates unter den Assads. Seit 2011 nimmt das Ausmaß aber eine gänzlich neue Dimension an. Der Foltertod ist zur Methode geworden.

Straßenzug in Homs, Syirien
Teaser Bild Untertitel
Straßenzug in Homs im Mai 2014

Bente Scheller, Leiterin unseres Büros in Beirut, hielt anlässlich der Deutschland-Premiere des Dokumentarfilms "Syria’s Disappeared – The Case against Assad" am 12. Juli in Berlin eine einführende Rede. Darin führt sie aus, welche Mitverantwortung die internationale Staatengemeinschaft für die Verbrechen des syrischen Regimes trägt.

Vor fünfzehn Jahren wurde ich erstmals direkt mit den Schicksalen politischer Gefangener in Syrien konfrontiert. Noch heute bin ich dankbar für die Gespräche mit Anwälten wie Anwar al-Bounni oder der 2013 entführten Razan Zeitouneh.

Eines Tages nahm Razan Zeitouneh mich mit, um den nach zwanzig Jahren endlich freigelassenen Fares Mourad zu treffen. Verurteilt zum Tode, begnadigt zu sieben Jahren Gefängnis, hatte man ihn weitere dreizehn Jahre in Haft belassen. Einforderbare Rechte hatten Gefangene in Syrien nie. Fares saß mir gegenüber. Obwohl er den Kopf nicht mehr heben und mich nur mühsam anschauen konnte, lächelte er: „Was für eine Ironie, dass die erste  Ausländerin, die ich treffe, ausgerechnet eine Deutsche ist,“ sagte er und deutete auf seinen überdehnten Nacken: „Die Foltermethode, mit der man mir das angetan hat, nennen wir den ‚deutschen Stuhl‘.“

Unsägliche Haftbedingungen und Folter waren stets ein Charakteristikum des syrischen Staates unter den Assads. Das begann nicht erst mit der syrischen Revolution. Tausende wurden im Massaker von Hama 1982 getötet, Tausende verschwanden in den Gefängnissen. Von vielen von ihnen fehlt bis heute jede Spur.

Im Nachbarland, Libanon, aus dem die syrische Armee Jahrzehnte lang als Besatzungsmacht politische Gefangene nach Syrien verschleppte, werden bis heute 30.000 Menschen vermisst. Es kommt nicht von ungefähr, dass eine syrische Redewendung über das spurlose Verschwinden besagt: „wo nicht einmal die blaue Fliege dich findet“. Gemeint ist die Schmeißfliege, die als allererste ihre Maden auf einer Leiche ablegt.

Verschwinden kann man nur in einem Staat, der heimlich tötet und verscharrt. Dabei geht es in Syrien nicht nur darum, Leben auszulöschen. Genauso wichtig ist es diesem Staat, dabei noch Verachtung auszudrücken und die Angehörigen zu demütigen, die es in der Position von Bittstellern belässt.

Wer sich ein Bild davon machen will, wie die Gefangenen schon in den 80er Jahren insbesondere in dem berüchtigten Gefängnis von Palmyra gequält wurden, sollte sich den soeben erschienenen Film „Tadmor“ von Monika Borgmann und Lokman Slim anschauen, in dem ehemalige Gefangene diese Hölle nachgebaut haben und einen typischen Tagesablauf nachspielen.

Der Film, den wir ihnen heute zeigen, heißt „Syria’s Disappeared“ – „Syriens Verschwundene.“ Für ihn hat die Regisseurin Sara Afshar Aussagen Überlebender der in den letzten Jahren Verhafteten gesammelt. Und sie hat Syrer/Innen getroffen, die ihre Angehörigen auf Fotos zu Tode Gefolterter identifiziert haben.

Der Foltertod ist zur Methode geworden

Mit der Niederschlagung der syrischen Revolution 2011 nahm das Ausmaß der Verhaftungen, des Verschwindenlassens und der Folter eine gänzlich neue Dimension an. Zu Anfang der Revolution waren AktivistInnen guten Mutes, dass sie es schaffen könnten, dem System ein Ende zu bereiten. Viele, die kurzzeitig verhaftet wurden, waren fest entschlossen, weiterzumachen: „Sie verhaften uns, und dann kommen wir wieder raus, und machen weiter“ – so formulierten es viele unserer PartnerInnen in den ersten Jahren. Sie wussten, was sie in Haft erwartete. Aber sie erwarteten auch, dass es Grenzen gäbe, die das Regime nicht im großen Stile überschreiten würde. Sie waren überzeugt davon, dass sie mit dem Leben davonkommen würden.

Diese Überzeugung schwand rapide, als offenbar wurde, dass viele nicht überleben würden. Als sich die Fälle häuften, in denen Verhaftete jeden Alters manchmal ein paar Wochen, manchmal nur wenige Tage in Haft überlebten, als nicht mehr zu übersehen war, dass der Foltertod zur Methode geworden war, verhärtete sich die Stimmung. Das leistete auch der Bewaffnung des Aufstands Vorschub.

Die Fotos, die der syrische Militärangehörige mit dem Decknamen „Caesar“ im Auftrag des Regimes machte, Fotos von zu Tode gefolterten Gefangenen in den Verhörzentren und Gefängnissen des Regimes, zeigen mindestens 6.700 Opfer dieser mörderischen Staatsführung. Als „Töten in industriellem Ausmaß“ hat es der Ermittler Stephen Rapp beschrieben und er konstatiert, die bereits jetzt vorliegenden Dokumente über diese Verbrechen seien das umfangreichste Aktenkonvolut „seit Nürnberg“.

Der Bericht der UN-Untersuchungskommission „Aus den Augen, aus dem Sinn: Tod in Gefangenschaft in der Syrischen Arabischen Republik“ von 2015 oder die Berichte von Human Rights Watch oder Amnesty International über Haftbedingungen und die systematische Hinrichtung Tausender im Gefängnis von Sednaya lassen keinen Zweifel daran, dass das Töten willkürlich Verhafteter zur Methode geworden ist.

Der internationale Aufschrei bleibt aus

Doch ungeachtet dessen, dass das unbeschreibliche Grauen genauestens dokumentiert ist, gibt es keinen nennenswerten politischen Aufschrei. Ob sich auf dem Gelände des Gefängnisses von Sednaya tatsächlich, wie vom State Department vermutet, ein Krematorium befindet, ist ungeklärt. Dass es jedoch Zehntausende Verschwundene gibt, von denen seit Jahren jede Nachricht fehlt, legt nahe, dass ein Großteil von ihnen nicht mehr am Leben ist.

Warum gibt es kein Drängen auf internationalen Zugang zu diesem Gefängnis? Wie kann es sein, dass gerade aus den Reihen deutscher Politiker/innen so viele die haarsträubenden Verbrechen des syrischen Regimes und seiner Hauptunterstützer, Russland und Iran, übergehen oder sogar kleinreden? Ethnische Säuberungen sind in Syrien in vollem Gange – betrieben nicht maßgeblich, wie oft angenommen, durch ISIS oder Daesh, sondern durch das Regime. Mittels der berühmten „grünen Busse“ werden Tausende gegen ihren Willen deportiert, werden Geisterorte geschaffen, und zwar auf der Basis religiöser Zugehörigkeit.

Die Caesar-Fotos und dieser Film über die Verschwundenen sind im Washingtoner Holocaust-Museum gezeigt worden. In Deutschland jedoch geben sich die meisten Politiker/Innen zurückhaltend. Besonders im Vorfeld der Bundestagswahl.

Der UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien spricht im Falle Syriens von der größten humanitären Katastrophe unseres Jahrhunderts.
Insofern stellen sich Staaten und internationale Organisationen die Frage, wie man helfen kann, wie man insbesondere auch den Menschen in Syrien helfen kann. Ein Großteil der humanitären UN-Hilfen orientiert sich nicht an Bedürftigkeit und den einschlägigen Kriterien – Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Neutralität, sondern wird schlicht und einfach über Damaskus in vom Regime kontrollierte Gebiete geliefert.

Humanitäre Hilfe unterstützt den Folterapparat

Gerade angesichts dessen, was über Haftbedingungen in Syrien bekannt ist, stellt sich meiner Ansicht nach allerdings auch die Frage, inwieweit humanitäre Hilfe möglicherweise statt Leiden zu mindern, einen Beitrag zu dem Grauen leistet. Medizinische Einrichtungen in Regime-Gebieten sind zentraler Bestandteil des Folterapparates. Ich möchte hier aus einem Artikel von Louisa Loveluck und Zakaria Zakaria aus der Washington Post vom April dieses Jahres zitieren:

„Medizinische Versorgung ist von den ersten Tagen des Aufstands an als Waffe benutzt worden, als regierungstreue Ärzte Demonstranten selbst bei geringfügigen Verletzungen Gliedmaßen amputierten,“ heißt es hier.

Der Überlebende Mohsen al-Masri sagt in diesem Artikel, dass Gefängnisinsassen gelernt hätten, zu schweigen, wenn die Wächter fragten, wer ins Krankenhaus müsse: “Es war egal, was sie uns angetan hatten, wir mussten vorschützen, dass es uns gut ginge. Wer ins Krankenhaus überstellt wurde, kam kaum jemals zurück.” 

In einem Staat, der Ärzte und Krankenhäuser als Teil seiner brutalen Auslöschung des Widerstands nutzt, ist die Prüfung, was man an dieses System liefert, eine politische und eine Gewissensfrage.

Das Regime setzt politische Gefangene als Druckmittel ein

Der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, hat die Freilassung politischer Gefangener im Vorfeld jeder Runde der Genfer Gespräche aufgegriffen. Die Freilassung politischer Gefangener wäre eine vertrauensbildende Maßnahme, die erkennbar machen würde, dass das Regime ein Interesse an einer Verhandlungslösung hat. 

Dass das Assad-Regime nach all den Jahren nicht willens ist, ein solches Zeichen zu setzen, spricht Bände über die Erfolgsaussichten der Gespräche, die derzeit eher wirken wie ein Mittel um Zeit zu schinden. Zeit, in der das Regime seinen erbarmungslosen Krieg gegen Aufständische fortsetzt, die es rundheraus unter „Terroristen“ subsummiert. Zeit, in der die internationale Gemeinschaft den Eindruck erweckt, aktiv zu sein, ohne greifbare Fortschritte vorweisen zu können, insbesondere, was die Verbesserung der Lebensbedingungen von Zivilist/Innen in Syrien betrifft. Täglich werden weitere Menschen verhaftet, täglich sterben weitere Menschen in Haft.

Dass das Regime fortfährt, in großem Stile zu verhaften und Verschwinden zu lassen, ist einerseits dem Umstand geschuldet, dass politische Gefangene innenpolitisch benutzt werden, um Angehörige unter Druck zu setzen. Manchmal geht es darum, dass andere aus der Familie sich stellen sollen. Oft genug geht es jedoch um materielle Motive. Familien politischer Gefangener werden genötigt, allein schon für Informationen über den Verbleib der Betreffenden zu bezahlen. Die stets präsente Korruption in Syrien macht Gefangenschaft zu einer individuellen Einkommensquelle der Staatsdiener auf allen Ebenen. Seit 2011 ist das geradezu zu einem düster blühenden Zweig der Kriegswirtschaft geworden, ein sich selbst erhaltendes System. Viele derjenigen, die sich verschuldet oder ihren Besitz veräußert haben, um Geld für die immer exorbitanteren Forderungen der Sicherheitsdienste zusammenzukratzen, haben am Ende festgestellt, dass ihre Angehörigen zu jenem Zeitpunkt längst tot waren.

Der zweite Grund, warum Verhaftungen und Misshandlungen mit Todesfolge fortgesetzt werden ist, dass das Regime keinerlei Konsequenzen fürchtet. Davon zeugt die akribische Dokumentation von Caesar und anderen, aber auch, dass nach wie vor Schergen des Regimes Videos ins Netz stellen, bei denen sie vor laufender Kamera foltern.

Die Frage der Gefangenen ist entscheidend für Waffenstillstände

Juristische Aufarbeitung, wie durch Anwar al-Bounni und Mazen Darwish in Zusammenarbeit mit dem ECCHR angestoßen, ist also von eminenter Wichtigkeit. Es muss ein klares Signal geben, dass trotz des gegenwärtigen Gewährenlassens aus politischem Unwillen Verbrechen auf lange Sicht nicht ungesühnt bleiben werden.

Wenn wir von der internationalen auf die nationale Ebene schauen, auf die sogenannten „lokalen Waffenstillstände“, sehen wir, dass auch hier die Frage der Gefangenen eine wichtige Rolle spielen. Fast eine Million Syrerinnen und Syrer leben nach Einschätzung der Organisation Siege Watch unter Belagerung – fast ausschließlich durch das Regime. Durch Aushungern und das Vorenthalten medizinischer Versorgung versuchen das Regime und seine Verbündeten, Bevölkerungen in die Kapitulation zu zwingen. Allein in den letzten Monaten sind zahlreiche Orte im Umland von Damaskus im wahrsten Sinne entvölkert worden. „Einwohner: null. Dieser Ort wird nicht länger beobachtet,“ so hält es Siege Watch auf seiner interaktiven Karte fest.

In den Verhandlungen um die Bedingungen der Kapitulation eines Ortes gestaltet sich die Forderung der Opposition nach Freilassung der Gefangenen als besonders heikler Gegenstand. An diesem Punkt werden die Verhandlungen oft abgebrochen und das Thema taucht in den Abkommen letztlich nicht auf – und wenn doch, so die Erfahrung, hält das Regime in den seltensten Fällen seine Zusagen ein. Es stellt sich die Frage: Warum?

Nur, weil das Regime auch im Kleinen nicht bereit zu vertrauensbildenden Maßnahmen ist? Oder, weil es weitere Zeugenaussagen verhindern will? Oder, weil diejenigen vielleicht schon nicht mehr am Leben und in Massengräbern verscharrt sind? Das führt uns zurück zu der Frage, warum international nicht mehr getan wird, um den Massenmord in Syrien aufzuhalten.

Assad als "kleineres Übel" zu bezeichnen, hat fatale Folgen

Syrische AktivistInnen haben auf internationaler Ebene mit einer Reihe von Problemen zu kämpfen. Demokratische Kräfte werden in Syrien aufgerieben zwischen all denjenigen bewaffneten Akteuren, die kein Interesse an Freiheit und Rechtsstaatlichkeit haben – von ISIS und anderen islamistischen Extremisten, von autoritären Tendenzen auch unter kurdischen Gruppen, und vom Regime. Im Ausland müssen sie sich oft anhören, es gäbe „keine Guten“ mehr in Syrien – Ignoranz als Rechtfertigung der eigenen Tatenlosigkeit.

Immer wieder schwärmen Nostalgiker von der angeblichen Stabilität, der Sicherheit und dem friedlichen Miteinander in Syrien vor 2011, was man als Reisender und außenstehender Beobachter durchaus so wahrgenommen haben mag, was aber der Lebensrealität vieler syrischer Bürgerinnen und Bürger nicht gerecht wird.

Angesichts der offen und bewusst zur Schau getragenen Schreckensherrschaft des sogenannten „Islamischen Staates“ ist die geistige Übersprunghandlung im internationalen Kontext oft, Assad als „kleineres Übel“ zu bezeichnen, ungeachtet dessen, dass wohldokumentiert sein Regime für den Großteil der Menschenrechts- und Kriegsverbrechen verantwortlich ist.

Über 90 Prozent der Toten in Syrien gehen auf das Konto des Assad-Regimes. Unter den zu Tode Gefolterten sind es, so das Syrian Network for Human Rights, über 99 Prozent. Und doch ist der Mythos, dass an diesem Regime etwas erhaltenswertes sei, nicht aus der Welt zu schaffen. Wer das Regime als „kleineres Übel“ beschreibt, verweist oft im gleichen Atemzug auf die Minderheiten in Syrien und unterstellt, Assad sei deren Beschützer. Auch das ist nur haltbar, wenn man die Augen vor dem verschließt, was tatsächlich stattfindet. Weder sind es ausschließlich Angehörige der sunnitischen Mehrheit, die sich gegen Assad auflehnen, noch genießt man als Angehöriger von Minderheiten automatisch Schutz. Einige der heute Anwesenden können darüber aus eigener leidvoller Erfahrung berichten.

Gänzlich aus dem Auge verlieren die Vertreter des „Assad ist der Beschützer der Minderheiten“-Diktums jedoch, dass Minderheitenschutz eine Frage garantierter Rechte ist. Wer diese Frage auf Gedeih und Verderb an einer Person festmacht, zumal einer Person, die Menschenrechte als solche mit Füßen tritt, spricht Minderheiten Rechte ab und macht ihr Schicksal zu einer Frage der Gnade. Angehörige von Minderheiten in Syrien können sich genauso wenig wie alle anderen auf Recht und Gesetz verlassen. Sie sind vom Regime in Geiselhaft genommen und werden damit zunehmend zu einem Spielball – denn ihnen Schutz zu gewähren oder auch nicht, wird damit zur einem Faustpfand Assads in dem Konflikt.

Assad ist für den überwältigenden Teil von Tod und Gewalt in Syrien verantwortlich

Genauso wichtig wie es ist, von oppositionellen Kräften Garantien für die Rechte von Minderheiten einzufordern, ist es, über die Rechte von Angehörigen einer Mehrheit zu sprechen und ob des Umstands, dass sie getötet und verfolgt werden, nicht tatenlos zu bleiben. Der Wunsch nach einfachen Erklärungsmustern sollte niemanden dazu verleiten, in die Regimerhetorik von „uns“ und „denen“ zu verfallen oder den Konflikt ausschließlich durch ein konfessionelles Prisma wahrzunehmen.

Die Mehrheit der Menschen in Syrien sind, wie in jedem anderen Konflikt, unbewaffnete ZivilistInnen, für deren Rechte und Leben wir uns ungeachtet ihrer Konfession einsetzen müssen. Alle Akteure, die Verbrechen in diesem Konflikt begehen, müssen dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Leid bemisst sich nicht in Zahlen. Und dennoch greift es zu kurz, nicht zu handeln, weil man mit vermeintlicher Ausgewogenheit das unterschiedliche Ausmaß der durch die einzelnen Kriegsparteien verübten Verbrechen übergeht.

Während das Assad-Regime verantwortlich für den überwältigenden Teil von Tod und Gewalt in Syrien ist, beansprucht es unbeirrt internationale Legitimität. Die drückt sich jedoch nicht in einem Sitz in der UN aus, sondern im Handeln. Legitime Herrschaft bringt nicht nur Rechte sondern auch Pflichten mit sich. Assad beansprucht für sich das Recht auf die Vernichtung der syrischen Bevölkerung, während er eigentlich zu ihrem Schutz verpflichtet wäre.

Die rechtliche Aufarbeitung von Unrechtszuständen ist fundamental

Seit 2004 ist Syrien Teil der internationalen Konvention gegen Folter. Syrien ist, wie es in einer UN-Resolution von 2015 heißt, der einzige Staat, der Teil der Anti-Chemiewaffenkonvention ist, in dem aber weiterhin Chemiewaffen eingesetzt werden. Durch eben das Regime, das der Konvention beigetreten ist.

Die Errungenschaften des internationalen Rechts der vergangenen Jahrzehnte, sei es im Bereich nicht-konventioneller Waffen oder der Schutzverantwortung, werden in Syrien systematisch demontiert. Das ist ein ermutigendes Signal für Diktatoren weltweit, ein verheerendes für Zivilist/innen und ein problematisches, was die Perspektiven für eine Welt betrifft, in der nicht das Recht des Stärkeren gelten soll.
Das Schweigen in Deutschland, das Schweigen in anderen Ländern im Angesicht der überwältigenden Beweislage macht Überlebende fassungslos.

Garance Le Caisne hat in ihrem Buch „Codename Caesar“ einen derjenigen zitiert, die Caesar geholfen haben, die Fotos ins Ausland zu schmuggeln, Sami: „Vier Jahre dauert der Krieg schon. Und die Diplomaten sprechen von Aussöhnung oder Übergängen. Soll das heißen, die Geheimdienstmitglieder bleiben da? Nach allem, was geschehen ist? Und Caesar und ich werden weiterhin vom Regime gesucht …?“.

Die Freilassung von Gefangenen ist das Hauptanliegen verschiedenster syrischer Aktivist/innen, der „Familien der Verschwundenen“ unter anderem und der Kampagne „Save the Rest“ – Rettet die Verbleibenden. In Anspielung darauf, dass die meisten Gefangenen zunächst in die meist unterirdischen Verhörzentren der syrischen Geheimdienste kommen, heißt es bei „Save the Rest“: „Nicht alle, die unter der Erde sind, sind tot. Dort warten noch Tausende Leben darauf, gerettet zu werden.“

Eigentlich müssten alle internationalen Bemühungen darauf ausgerichtet sein, dem Morden in Syrien ein Ende zu bereiten. Doch solange hier keine ernsthaften Bemühungen erkennbar sind, ist es wichtig, Aktivist/innen und Zivilist/innen wenigstens partiell eine Perspektive zu bieten. Deswegen ist die rechtliche Aufarbeitung von Unrechtszuständen fundamental.

Mein ganz besonderer Dank und meine Hochachtung gebühren denjenigen, die mit ihren Berichten und Zeugenaussagen offenlegen, wie es in Syrien zugeht und die den Mut gefasst haben, rechtliche Schritte einzuleiten. Mut nicht nur, weil sie über Unsägliches sprechen, sondern auch, weil selbst dies noch Gefahr für sie und ihre Angehörigen bedeutet. Der lange Arm des syrischen Regimes reicht nicht nur in die Nachbarstaaten Syriens, in denen Zeuginnen und Zeugen unliebsamer Verfahren gegen das Regime Opfer von Anschlägen und Verhaftungen werden.

Auch in Deutschland haben wir Beispiele dafür, wie das syrische Regime Gewalttäter gedungen hat, um seine Gegner einzuschüchtern, auch mit physischer Gewalt. Umso wichtiger ist es – jetzt und in Zukunft – Überlebenden tyrannischer Regime zu ermöglichen, Gerechtigkeit zu suchen.