Fokus Türkei: Veranstaltungsreihe der Heinrich-Böll-Stiftung

Interview

Das deutsch-türkische Verhältnis prägte im vergangenen Jahr häufig die Schlagzeilen. Die Heinrich-Böll-Stiftung nimmt in diesem Herbst mit zahlreichen Veranstaltungen in Berlin das gesellschaftliche Leben in der Türkei in den Fokus.

 

Narphotos: Moments From Turkey

Zwei Fotoausstellungen und mehrere Filmvorführungen stehen auf dem Programm. Auf der Premiere der satirischen Web-Serie „Kanal 82“ sprach Till Uebelacker mit der Regisseurin Zeynep Tuna-Klingler und Kristian Brakel, dem Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul.

Till Uebelacker: Es war heute Abend die Rede davon, dass viele türkische Kulturschaffende und auch politisch Verfolgte in Berlin sind. Wie nehmt ihr die Situation in Berlin wahr? Etabliert sich eine neue türkische Auswanderer-Generation?

Zeynep Tuna-Klingler: Ja, es gibt diese Bewegung. Teile dieser Bewegung nennen sich auch „New-Wave“. Früher kamen viele Gastarbeiter hierher und momentan kommen Leute, die Akademiker sind oder die sich kritisch positioniert haben. Und Berlin hat wahrscheinlich den größten Zuzug zu verzeichnen. Ich kann sagen, dass man in Berlin die Verbindung mit dem Heimatland Türkei nicht verliert, denn es gibt hier schon eine große Community.

Kristian Brakel: Es bildet sich hier in Berlin eine ganz neue Diaspora, das ist sehr interessant. Neben der Generation der Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen, aus den 70er-Jahren haben wir auch viele Menschen, darunter Kulturschaffende, gerade aus dem linken Spektrum, die in der 80er-Jahren gekommen sind, während der Militärdiktatur. Und jetzt kommt diese ganz neue Gruppe von Leuten. Politisch sind diese Gruppen teilweise überhaupt nicht auf einem Strang. Die linken Kulturschaffenden und die „Neue Welle“ haben durchaus Gemeinsamkeiten. Aber gerade mit der Gastarbeiter-Generation, von der viele mit dem Kemalismus aufgewachsen sind oder aber Erdogans AK Partei unterstützen, gibt es natürlich Spannungen.

Worin liegen die Chancen dieser „Neuen Welle“?

Kristian Brakel: Ich denke, dass sich das Bild von der Türkei in Deutschland vielleicht auch nochmal verändern wird. Diese Menschen, die ein hohes Bildungslevel haben, die zum Teil Fremdsprachen sprechen, haben ein ganz anderes Potential ihr Wirken in der deutschen Gesellschaft bekannt zu machen und sind in der Lage, ein anderes Bild von der Türkei zu zeichnen. Aber das wird sicherlich nicht ohne Spannungen ablaufen, weil die Mehrheit sind sie natürlich nicht.

Zeynep, die Webserie „Kanal 82“ persifliert die Medienlandschaft in der Türkei. Zum Beispiel nehmt ihr die 8-Sekunden-Verzögerung bei Live-Übertragungen aufs Korn, die Zensur ermöglicht. Warum habt ihr euch für dieses Format entschieden?

Zeynep Tuna-Klingler: In der Türkei beziehen einige Menschen ihre Informationen nur noch aus den sozialen Medien, wie YouTube u. Facebook. Sie werden von Menschen genutzt, die politisch sind und der Regierung kritisch gegenüberstehen. Wir haben diese Web-Serie auch geplant, weil das ein einfacher Weg ist Menschen in der Türkei zu erreichen.

Kristian Brakel: Das Drehbuch der Webserie beinhaltet viele kritische Phänomene, die wir in der türkischen Medienlandschaft beobachten können. Medienschaffende müssen sich andauernd entschuldigen, sie werden häufig an den Pranger gestellt, weil sie angeblich etwas falsch gemacht haben. Auch wie schnell eine Person, die Journalistin oder Journalist ist, zum politisch Verfolgten werden kann, weil sie einen falschen Satz gesagt oder gesendet hat wird in der Web-Serie zugespitzt dargestellt.

Kristian, du leitest das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul, aktuell habt ihr eine Vielzahl von Veranstaltungen in Berlin organisiert. Worauf kann man gespannt sein?

Kristian Brakel: Wir bringen zeitgenössische türkische Fotografie nach Berlin. Wir zeigen momentan zwei Fotoausstellungen, zum einen in der „f3-Galerie– freiraum für fotografie“ in Kreuzberg und eine weitere von einem türkischen Fotokollektiv in den Räumlichkeiten der Heinrich-Böll-Stiftung, in Zusammenarbeit mit der „Gesellschaft für humanistische Fotografie“. Außerdem gibt es ein Rahmenprogramm, vor allem Filme, in dem es im weiteren Sinne um politische Kultur, um politische Kunst geht.

Was beabsichtigt ihr mit eurem Programm?

Krisitan Brakel: Wir wollen einem breiteren Publikum einen Einblick in die komplexen türkischen Verhältnisse vermitteln, der hinter die Schlagzeilen reicht. Diese sind ja meistens von ERDOGAN, ERDOGAN, ERDOGAN überlagert. Wir wollen zeigen, dass es trotz der schwierigen türkischen Situation ein Leben für Türkinnen und Türken gibt, das dahinter stattfindet. Wir zeigen verschiedene Filme, die unsere Stiftung im Laufe der letzten Jahre und Monate in der Türkei unterstützt hat.

 

Filmvorführungen/Veranstaltungen:

Freitag, 29. September, 19.30 Uhr

„Tigris Rebellen“ (2016) – Dokumentarfilm von Nedim Hazar Bora.

Anschließend Diskussionsrunde mit Filmemacher und Schkefta-Bewohner Izzettin Yılmaz.

Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstr. 8, 10117 Berlin

Filmtrailer

Dienstag, 24. Oktober 2017, 19 Uhr

„Haymatloz – Exil in der Türkei“ (2016) – Dokumentarfilm von Eren Önsöz.

Gespräch mit der Regisseurin.

IL Kino, Nansenstr. 22, 12047 Berlin

Filmtrailer

Mittwoch, 25. Oktober, 19 Uhr

„Isn´t it Love“ – die LGBT-Community in Istanbul.

Foto-Talk mit der Fotografin Ceren Saner.

f³, Waldemarstr. 17, 10179 Berlin

Laufende Foto-Ausstellungen der Heinrich-Böll-Stiftung:

19. September. – 26.Oktober 2017

«Narphotos: Moments From Turkey»

Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstr. 8, 10117 Berlin

Öffnungszeiten: Montags-Freitags, 09:00 - 18:00 Uhr

www.narphotos.net

06. September – 12. November 2017

Türkiyeli - Zeitgenössische Fotografie aus der Türkei

Ausstellung

f³ , Waldemarstr. 17, 10179 Berlin

15. Oktober - 5. November 2017

 f³ – KURATORINNENFÜHRUNGEN