25 Jahre ICTY: Kein Frieden ohne Gerechtigkeit, keine Gerechtigkeit ohne Wahrheit

Veranstaltungsbericht

Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien beendete seine Arbeit 2017 und hinterlässt ein wegweisendes Kapitel für die internationale Rechtsgeschichte. Unsere Podiumsdiskussion am 14. März 2018 fragte nach dem Vermächtnis des Kriegsverbrechertribunals über sein Bestehen hinaus.

Die Bilder sind unvergessen, wie die Schergen, Mörder und Präsidenten auf seiner Anklagebank in Den Haag sitzen. Die Bilder sind unvergessen, wie die Richter/innen auf seinen Richterstühlen ihre Urteile sprechen. Die Bilder sind unvergessen wie die Opfer wenigstens für diesen einen Augenblick von ihm historische Gerechtigkeit erfahren: Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag lieferte das, wozu weder die Gesellschaften auf dem Kriegsgebiet, noch die Regierungen Europas in der Lage waren: die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen und die Verantwortlichen zu benennen.

10.800 Prozesstage, 4.600 vernommene Zeugen, 168 Anklagen und 2,5 Millionen Beweisstücke sind die feststellbaren Zahlen der Arbeit des von Beginn an von allen Seiten scharf kritisierten Kriegsverbrechertribunals, das mit Ablauf des vergangenen Jahres seine Arbeit eingestellt hat.

Aber was steckt hinter diesen Zahlen des Gerichts, das 1993 durch den UN-Sicherheitsrat eingesetzt wurde, als Berichte von sogenannten "ethnischen Säuberungen" in der Region Prijedor in Bosnien aufkamen? Welche Bilanz lässt sich ziehen? Welche Spuren hat es in der Region des ehemaligen Jugoslawien hinterlassen? Welche Konsequenzen werden aus seiner Arbeit und seinen Urteilen für die Gesellschaften der Region für die Aufarbeitung und die Zukunft der jeweiligen Gesellschaft gezogen werden?

Die Heinrich-Böll-Stiftung lud am 14. März zu einer Podiumsdiskussion in Berlin, um diese Fragen mit Expert/innen zu diskutieren, die die Arbeit des Tribunals seit Jahren begleiten.

Auf dem Podium saßen Wolfgang Schomburg, der zwischen 2001 und 2008 erster deutscher Richter am ICTY war, der serbische Journalist Nemanja Stjepanovic, der das Tribunal 10 Jahre lang beobachtet hat und im Zentrum für Humanitäres Recht in Belgrad tätig ist, die bosnische Journalistin Dženana Karup Druško, die die Arbeit des Tribunals von Anfang an begleitet hat und Direktorin der Organisation Transitional Justice, Verantwortung und Erinnerung in Bosnien und Herzegowina ist und der deutsche Journalist Erich Rathfelder, der den Krieg im ehemaligen Jugoslawien von Anfang an journalistisch verfolgt und zahlreiche Bücher zum Thema veröffentlicht hat und bis heute in Bosnien lebt.

„Das Alphabet des Krieges“ -  eine literarische Annäherung

Zum Auftakt trug die Schauspielerin und Autorin Vernesa Berbo Texte aus ihrer Kurzgeschichtensammlung „Alphabet des Krieges“ vor, die von den Schmerzen der Vergangenheitsbewältigung im ehemaligen Jugoslawien handelten, sie thematisierte die verschiedenen Spuren der Kriegsverbrechen, die bis heute die Gesellschaften zeichnen, wie Massenvergewaltigungen, und verschollene Opfer, deren Leichen mühselig und jahrelang von den Überlebenden gesucht werden.

In dem bis auf den letzten Stuhl vollbesetzten großen Saal der Heinrich-Böll-Stiftung herrschte Stille. Die vorgelesenen Szenen waren beklemmend, beschämend, machten sprachlos. Sie waren sehr gut ausgewählt, denn es war das ICTY, das als erstes Gericht Vergewaltigung als Kriegsverbrechen verurteilt hatte. Und es war das ICTY, das die Verbrechen in Srebrenica als Genozid und Verbrechen gegen die Menschheit bewertet hatte.

Recht und Unrecht auf dem Balkan – 25 Jahre ICTY deutsch - Heinrich-Böll-Stiftung

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Veranstaltungsmitschnitt der Podiumsdiskussion am 14. März 2018 auf Deutsch

Die Moderatorin Marion Kraske, Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Sarajevo, begann die anschließende Podiumsdiskussion allerdings mit der zutreffenden Feststellung, dass das ICTY für die einen zwar ein „Meilenstein der Rechtsgeschichte“ sei, für die anderen aber ein „Hort der Parteilichkeit“. Gerade in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien gäbe es eine erneute Radikalisierung, in der die alten aus dem Krieg stammenden Narrative wieder in den Diskurs eingespeist würden, der Friedensvertrag von Dayton zur Disposition stehe und Politiker/innen bis heute nicht bereit seien, sich mit den Verbrechen in der eigenen Region auseinanderzusetzen.

„Internationale Strafgerichtsbarkeit ist möglich“

Der ehemalige Richter am ICTY Wolfgang Schomburg weiß aus eigener Anschauung um die tatsächliche Leistung, aber auch um die tatsächlichen Fehler, die im Laufe der Verfahren gemacht wurden. Aber er betonte in seinem Eröffnungsvortrag vor allem eine Erkenntnis: das Kriegsverbrechertribunal habe bewiesen, dass Strafverfahren gegen Machthaber und ein Ende der Verantwortungslosigkeit möglich sei.

Hochrangige Personen aus Militär und Politik könnten zur Rechenschaft gezogen, Verantwortliche auch in verworrenen Kriegssituationen ermittelt werden. Das Gericht habe mit seiner Arbeit gegen jede Form von Revisionismus und Geschichtsklitterei gekämpft. Denn die Aufgabe eines solchen internationalen Gerichts sei es, Frieden und Gerechtigkeit zu schaffen und Tatsachen festzustellen. Die Tatsachenfeststellung vor Gericht sei jedoch das Eine. Eine andere Aufgabe sei es, die Tatsachen in der Bevölkerung als Wahrheit zu verankern. Die Aussage, dass Srebrenica ein Massaker war, müsse geschützt werden. Die Leugnung dieser Aussage müsse unter Strafe gestellt werden. So wie in Ruanda, wo die Leugnung des Völkermords unter Strafe steht.

Zum ersten Mal in der Geschichte habe es ein „globales Gericht“ gegeben, mit Richtern aus China, Indien, Russland, etc. „Wo bleibt ein solches Gericht mit Blick auf Syrien?“ fragte Schomburg. Die Antwort auf diese rhetorische Frage gab er indirekt gleich zu Anfang seines Vortrags: Internationale Strafgerichtsbarkeit sei möglich, aber nur, wenn die Politik es zulasse.

Er erzählte, unter welchen schwierigen Bedingungen das Gericht gegründet worden war. Nur dank des individuellen und unermüdlichen Einsatzes des ägyptisch-amerikanischen Rechtswissenschaftlers Mahmoud Cherif Bassiouni und der norwegischen Richterin Hanne Greve sei dies 1993 überhaupt gelungen. Nur, weil sich die Akademiker/innen mit ihren Studierenden selbst auf den Weg ins ehemalige Jugoslawien gemacht hätten, um dort Beweise für die Ermordungen sicher zu stellen, die Verbindungen zwischen der Tat und den ermordeten Personen herzustellen.

Selbst die NATO habe ihnen damals Hindernisse in den Weg gelegt und Beweismittel nicht herausgegeben. Aus Scham vor der Arbeit dieser beiden habe der Sicherheitsrat der UN am Ende keine andere Wahl gehabt als das Gericht einzurichten. Aber niemand hatte wohl damals daran geglaubt, dass es jemals zu dem werden würde, was es geworden ist, erzählte Schomburg später.

Die Schwierigkeiten hörten aber nicht nach der Entstehung des Tribunals auf. Die unabhängige Arbeit der Richter/innen, so Wolfgang Schomburg, sei durch die Tatsache, dass das Gericht auf der Basis des anglo-amerikanischen Strafverfahrensrechts aufgebaut gewesen sei, maximal erschwert worden. Richter/innen erschienen vor einem anglo-amerikanischen Gericht nicht mit Papier. Sie kommen lediglich ins Gericht und hören zu. Auf die Datenbasis mit relevantem Material hätten sie keinen Zugriff. Dadurch blieben sämtliche Informationen in den Händen der Staatsanwaltschaft, die entscheidet, was sie offen vorlegt und was nicht und die sehr gut von außen, also politisch kontrolliert werden könne.

Das jugoslawische Strafverfahrensrecht, so Schomburg, wäre die bessere Grundlage gewesen. Zum einen, weil seine juristische Grundlage hervorragend gewesen sei. Zum anderen, weil die Entscheidungen des Gerichts dadurch möglicherweise von allen Beteiligten besser verstanden und akzeptiert worden wären.

Der ehemalige Richter plädierte am Schluss seines Vortrages dafür, die Erfolgsgeschichte des ICTY international auszuweiten. Es sei möglich, internationales Recht zu sprechen. Und es sei dringend notwendig. Dafür aber brauche es qualifizierte Richter/innen und Staatsanwält/innen in der UN, weswegen er sich eine UN-Richterakademie wünsche, die Richter/innen zum sofortigen Einsatz ausbildet. Nur so ließen sich zumindest die Dimensionen von Menschenrechtsverbrechen wie in Ruanda oder Bosnien möglicherweise verhindern.

"Die Leute, die heute an der Macht sind, waren damals Teil der Kriegsverbrechen"

Die bosnische Journalistin Dženana Karup Druško pflichtet Wolfgang Schomburg bei und betont, wie unschätzbar wichtig die Arbeit des ICTY für die bosnische Gesellschaft gewesen sei, mit all den Zeug/innenaussagen und Beweisen, die die Existenz der Lager, die sogenannten "ethnischen Säuberungen", die Rolle der Vergewaltigungen und den Völkermord festgestellt hätten.

Doch in der Region würde alles abgelehnt und negiert werden, was in Den Haag stattgefunden habe. Die Narrative, die schon während des Krieges galten, dominierten noch immer. Die Kroaten würden beispielsweise bestreiten, Bosnien angegriffen zu haben. Sie sprächen bis heute nur von einem Verteidigungskrieg. Verurteilte Kriegsverbrecher wie der serbische General Vladimir Lazarević würden als Nationalhelden gefeiert, andere dürften ihre Posten in öffentlichen Ämtern, die sie während des Krieges schon hatten, wiederbesetzen, obwohl sie als Vorbestrafte kein Recht darauf hätten. Doch Den Haag werde einfach ignoriert, die Präsidenten Serbiens und der Serbischen Republik leugneten, dass es einen Völkermord gegeben habe.

Der serbische Journalist Nemanja Stjepanović gab auf die Frage, warum die Fakten geleugnet und dokumentierte Verbrechen ignoriert werden, eine klare Antwort: „Weil die Leute, die heute an der Macht sind, damals Teil der Kriegsverbrechen waren.“ Etwa 90 Prozent aller Verbrecher/innen seien weiter in Amt und Würden geblieben. Zu dem erwähnten Kriegsverbrecher Vladimir Lazarević ergänzte er, dass er von einem serbischen Regierungsflugzeug aus Den Haag abgeholt und in Serbien offiziell von Ministern, Kirchenvertretern und Militärs empfangen worden sei. Verurteilte Kriegsverbrecher würden in Serbien als moralische Autoritäten angesehen und auf Podien serbischer Parteien als Redner eingeladen werden.

Die serbische Justizministerin beispielsweise schicke dem wegen Völkermord lebenslänglich verurteilten bosnisch-serbischen General Ratko Mladic Geschenke ins Gefängnis. Stjepanović ging sogar so weit, zu behaupten, der bosnisch-serbische Kriegsverbrecher Radovan Karadzic wäre heute möglicherweise Präsident, hätte das ICTY ihn nicht inhaftiert.

Was muss passieren, damit sich diese Verehrung von Verbrechern ändert? So lange die Idee, wegen derer die Menschen getötet worden seien, nicht hinterfragt werde, so lange würde es in der Region auch keine Aufarbeitung der Verbrechen geben, meinte Stjepanović. Die Idee sei die territoriale Ausdehnung der Staaten, insbesondere Serbiens und Kroatiens gewesen.

Die Aufarbeitung der jüngeren Geschichte ist mangelhaft

Der deutsche Journalist Erich Rathfelder erinnerte an dieser Stelle nochmals daran, dass auch die westeuropäischen Staaten ihre eigene Rolle nicht wirklich aufgearbeitet hätten. Die Erfolgsgeschichte des Kriegsverbrechertribunals sei nämlich nicht den Staaten zu verdanken, sondern dem Engagement von Individuen wie der Chefanklägerin Carla del Ponte, einzelner Aktivist/innen vor allem aus dem grünen Parteispektrum. Man müsse nicht nur die regionalen Mächte, sondern auch die internationale Öffentlichkeit an ihre Fehler und ihre Verantwortung erinnern.

Über 1992 wolle man nämlich in Westeuropa nicht so gern reden. Denn das, was in dem Jahr in Prijedor geschehen sei, sei ein Genozid gewesen. Damals habe man aber weggeguckt, davon wollte man nichts wissen. Mit der Feststellung, dass Srebrenica 1995 ein Genozid war, würde so die Geschichte zurechtgebogen werden. Als sei der Genozid so etwas wie ein Betriebsunfall am Ende des ganzen Krieges gewesen. Dabei sei es in Bosnien von Anfang an darum gegangen.

Eugen Jakovčić, Mitglied der Documenta Zagreb, dem Zentrum für Vergangenheitsbewältigung, bescheinigt auch Kroatien, obwohl mittlerweile Mitglied der EU, eine fehlende Aufarbeitung der jüngeren Geschichte. Die Urteile aus Den Haag würden genauso wenig akzeptiert, die nationalistische Stimmung im Land habe sich seit dem EU-Beitritt sogar immer mehr radikalisiert. Zwar hätten die Haager Urteile eine wichtige Vorarbeit für die Länger geleistet und kroatische Gerichte vor dem EU-Beitritt auch einige Verbrechen aufgeklärt und Verantwortliche bestraft. Aber nach dem EU-Beitritt habe Kroatien die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, zu der sie während des Beitrittsprozesses verpflichtet waren, einfach aufgehört.

Jakovčić kritisierte schließlich den ICTY dafür, nicht genügend getan zu haben, um die Urteile in der Bevölkerung zu implementieren. „Das lastet alles auf den Schultern kleiner, lokaler Organisationen wie unserer.“

Der Richter Schomburg wies diesen Vorwurf jedoch zurück. Jede Verhandlung des Strafgerichtshofs sei von Anfang bis Ende im Fernsehen übertragen worden und könne vollständig auf den Seiten des Gerichts nachgelesen werden. In der Tat, so pflichtete der serbische Journalist Stjepanović dem Richter bei, gäbe es in der Geschichte Serbiens keinen so beleuchteten Teil wie die 90er Jahre.

„Es ist hell. Es ist nicht dunkel. Es geht nur darum, dass das anerkannt wird.“ Die lokalen Medien seien dabei keine Hilfe, da sie nichts anderes als die Politik sagen würden: In Den Haag würden nur Leute nur verurteilt, weil sie Serben oder Kroaten seien.

Ein gigantischer Geschichtsrevisionismus

Erich Rathfelder sieht die gleiche Entwicklung. Auf dem Balkan erlebe man die Zeit eines gigantischen Geschichtsrevisionismus. „Ganze Kolonnen von Intellektuellen, Akademiker/innen spielen damit und verfälschen Geschichte.“ Aber erneut verwies er auch auf die Verantwortung der anderen Seite. Das ICTY hätte es vermieden, Ross und Reiter zu nennen. Kein Serbe und kein Kroate, nur bosnische Serben oder bosnische Kroaten seien für Verbrechen in Bosnien verurteilt worden.

Der Grund dafür, so Schomburg sei möglicherweise gewesen, dass die Staatsanwälte den Richtern nicht alle Dokumente vorgelegt hätten. Das sei auch im Fall des faschistischen serbischen Politikers Vojislav Šešelj so gewesen. Dessen Prozess und dessen Freispruch bezeichnet er als eine Farce und Tragödie.

An dieser Stelle wiederholte die Moderatorin ihre Frage ob es in diesem Fall so wie es auch über andere Fälle des ICTY heißt, zu politischen Einwirkungen von außen gekommen sei, ob nationale Interessen über dem Recht gestanden hätten? Der Richter antwortete etwas ausweichend, dass der Druck im internationalen Strafrechtsbereich auch nicht größer sei als im nationalen. Natürlich habe es immer wieder Versuche der Einflussnahme gegeben. Deswegen sei es aber auch von so enormer Wichtigkeit, erfahrene Richter, die diesem Druck standhalten können, einzusetzen.

Die bosnische Journalistin Karup Druško betont, der tatsächliche Einfluss von Politiker/innen aus Kroatien und Serbien auf die Richter/innen sei durchaus breit und offen diskutiert worden und Richter/innen am ICTY deswegen sogar ausgetauscht worden. Diese Vorfälle seien dann in den Gesellschaften des ehemaligen Jugoslawiens als Beweis für die Korrumpierbarkeit des Tribunals genommen worden. Sie dienten als Beleg dafür, dass wirkliche Unabhängigkeit nicht existiere. warum also sollte man zu Hause anders vorgehen als in Den Haag?

Nach Stjepanović habe das Haager Tribunal gewisse Verbrechen und Verbrecher/innen ignoriert und es sei nun an ihnen, dorthin zu sehen, wo das Tribunal weggeschaut habe. Und auch der kroatische Aktivist Eugen Jakovčić kritisierte, das ICTY habe von Anfang an nur individuelle und keine staatliche Verantwortung verfolgt. Aus diesem Grund verfügten jene, die den Krieg geführt hatten, über eine gute Grundlage, die Fakten zu manipulieren.

Wie sieht der Umgang der jungen Leute im Westbalkan mit ihrer Vergangenheit aus?

Die Hoffnung auf Veränderung seitens der Jugend wurde vom Podium genommen. Die bosnische Journalistin Karup Druško antwortete, dass es nicht 5 vor 12, sondern 5 nach 12 sei, wenn es darum gehe, um die jungen Leute zu kämpfen. „Wir haben eine Generation verloren, weil das Bildungsministerium ihnen alle Informationen vorenthält.“ Das wichtigste sei es, ihnen die Geschichte der Haager Tribunals und damit die Tatsachen zugänglich zu machen. Nur so könne man die Lügen, die seit Jahrzehnten erzählt werden, unglaubwürdig machen.

„Wir warten darauf,“ antwortet der serbische Journalist Stjepanović, „dass die Nachkriegsgeneration ihren Vätern die Frage stellt, was sie im Krieg gemacht haben.“ Aber die Fragen würden nicht gestellt. Die deutschen Täter, so Stjepanović, hätten eine Erniedrigung erfahren durch die britischen und amerikanischen Besatzer. Das sei wichtig gewesen. Öffentlich habe man in Deutschland die eigenen Taten nicht verherrlichen dürfen. In Serbien aber habe es für die Täter keine Erniedrigung gegeben. Im Gegenteil. Die Gefahr, dass die Nachkriegsgeneration neue Kriege führt, weil sie nur romantische Heldengeschichten und Mythen über die Vergangenheit zu hören bekäme, sei enorm hoch.

Eugen Jakovčić gab für Kroatien an, dass das Land das beste Beispiel dafür sei, was mit einer Gesellschaft passiert, die sich weigert, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen: die Perspektivlosigkeit werde immer höher und deswegen verließen junge und gebildete Menschen ihre Heimat. Wer die Kriegsmythen nicht glaube, werde als Feind und Vaterlandsverräter gesehen. „Die Gesellschaft ist vergiftet. Die Kroaten glauben von sich, die größten Opfer der ganzen Welt zu sein. Dabei sind sie eins: die krankeste Nation der EU.“

Für den serbischen Journalist Stjepanović ist klar, dass es einen Minimalkonsens in allen ehemaligen Ländern Jugoslawiens braucht, um zu gewährleisten, dass nach dem Ende des ICTY auch die Kriegsverherrlichung ein Ende hat.

Der Richter Schomburg wollte das Ende der Veranstaltung aber doch nochmal etwas positiver halten. Er berichtete davon, wie oft er Leute in Srebrenica traf, die ihre Geschichte erzählen wollen und ihn anflehten, ihre Geschichte vor Gericht erzählen zu dürfen. Das habe ihm immer wieder Mut gemacht. Er habe eine tiefe Hochachtung vor den Leuten, die vor Gericht ausgesagt haben. Indem die Opfer den Tätern in die Augen guckten und ihre Taten vorhielten, sei das ein viel schärferes Urteil gewesen als die richterliche Verurteilung.

Pravda i nepravda na Balkanu - 25 godina MKSJ - Heinrich-Böll-Stiftung

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Veranstaltungsmitschnitt der Podiumsdiskussion am 14. März auf Bosnisch-Kroatisch-Serbisch