Integrationsgipfel: Aus der Zeit gefallen

Kommentar

Unser Vorstand Dr. Ellen Ueberschär war beim Integrationsgipfel der Bundesregierung und wundert sich über den weißen Elefanten im Raum und die vielen neuen Feministen. Die gesamte Veranstaltung braucht einen Paradigmenwechsel.

Integrationsgipfel - Weißer Elephant
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Beim Integrationsgipfel ging es weniger um den nationalen Aktionsplan, als um den weißen Elefanten im Raum – die Absage des Innenministers.

Der 10. Integrationsgipfel im Kanzleramt. An und für sich eine routinierte Veranstaltung mit Migrations-, Arbeitgeber- und Wohlfahrtsverbänden, mit Kirchenvertretern und Wissenschaftlerinnen. Ein nationaler Aktionsplan wird verkündet, „um die Integration insgesamt voranzutreiben.“ Alles nicht verkehrt, alles routiniert, aber die Debatte wird nicht vom Aktionsplan bestimmt und wie er ausgefeilt werden könnte, sondern vom weißen Elefanten im Raum – der Absage des Innenministers.

So entsteht die bizarre Anordnung, dass über die „Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts“ geredet wird, ohne dass das angesprochene und zuständige Ministerium angemessen vertreten wäre. Geradezu grotesk wirkte die Begründung – Beleidigtsein des Ministers. Indigniert zeigte sich der für Bayern (wahl-)kämpfende CSU-Minister wegen eines – übrigens sehr lesenswerten – Beitrages von Ferda Ataman zum Thema Haymat oder auch Heimat. Über der öffentlichen Diskussion um den Gefühlshaushalt des Ministers und der wohl kalkulierten Vermischung mit der europäischen Asylthematik gingen die zentralen Forderungen der Migrant/innenverbände in der Berichterstattung ziemlich unter.

Grundlegende Diskriminierungen werden beklagt

Während die Kanzleramts-Regie die Themen gesellschaftliche Teilhabe und Werte auf die Tagesordnung am 13. Juni gesetzt hatte, kam von den Vertreterinnen der Verbände ein ganz anderer Ton: Sie fühlen sich nicht sicher. Im eigenen Land. Struktureller Rassismus ist das Thema, das bearbeitet werden muss, eine Novellierung des Antidiskriminierungsgesetzes wird angemahnt, eine ständige Integrationskommission fordern die einen, einen Partizipationsrat die anderen. Über Werte, und wer sie eigentlich nicht einhält, über Verfassungspatriotismus kann man reden, aber erst dann, wenn grundlegende Diskriminierungen ab- und nicht aufgebaut werden.

Das Erstaunlichste war die Anzahl der glühenden Feministen (sic!) im Raum. Der bayerische Innenminister, der sich ansonsten beim Kampf gegen Ungleichheit von Frauen und Männern noch nicht besonders hervorgetan hat, hielt die Gleichberechtigung „der Frau“ für einen unverhandelbaren Wert und war von dort aus sehr schnell beim Mordfall Susanna und der angeblich im islamischen Kontext akzeptierten Gewalt gegen Frauen. Dankbar konnte man den Hinweis des bayerischen Landesbischofs und EKD-Ratsvorsitzenden, Heinrich Bedford-Strohm, auf die Tugend der Buße zur Kenntnis nehmen, die in einer funktionierenden Demokratie Quelle der Selbsterkenntnis sei – Gewalt gegen Frauen ist hierzulande auch das Ergebnis einer jahrhundertealten patriarchalen, christlich sanktionierten Kultur. Dagegen hilft nur Buße. Das saß.

Bei diesem bayerischen Schlagabtausch fiel die Äußerung des AfD-Vertreters kaum ins Gewicht, der, einen verstiegenen Oxford-Professor zitierend und dem bayerischen Innenminister beipflichtend, so etwas wie eine natürliche Ordnungslehre anbot. Es existiere eine „Kulturkluft“, die eben das Problem sei, „verhaltenskulturell“ gebe es – etwas nebulös – eben Unterschiede zur „nordeuropäischen Zivilkulturidee“.

Als hätte er den Kommissionsbericht der Heinrich-Böll-Stiftung zur Einwanderungspolitik gelesen, forderte der Vertreter der Arbeitgeber eine Verbesserung der Sprachangebote, die bundeseinheitliche Regelung der drei plus zwei Jahre Ausbildungsperspektive für Geflüchtete und die Abschaffung der „Bleibeperspektive“ zugunsten derjenigen, die sich in Bezug auf Sprache, Arbeit, Bildung gut integriert hätten.

Paradigmenwechsel zur inklusiven Gesellschaft

Vom weißen Elefanten bis zu den Spannungen und trotz aller guten Vorschläge – der Integrationsgipfel ist ein Format, das aus der Zeit gefallen ist. Eine polarisierte Gesellschaft, die sich weder politisch noch kulturell oder integrativ in Zuwanderer und Mehrheitsgesellschaft teilt, sondern in solche, die die Realität anerkennen und sich um die Details gesellschaftlicher Teilhabe einer vielfältigen, von Migration geprägten Gesellschaft kümmern und solche, die sich der Realität verweigern, braucht andere Formate. Sonst wird der Integrationsgipfel selbst zu einem Format der Realitätsverweigerung: Die Zeiten sind vorbei, in denen Migrant/innenverbände höflich ihre Forderungen anbringen dürfen und die Kanzlerin großzügig bestätigt, dass Teilhabe kein Gnadenakt sei.

Die gesamte Veranstaltung braucht einen grundlegenden Paradigmenwechsel – weg vom Paradigma einer Integration, die gelingt, wenn sich Migrant/innen nur genügend anstrengen hin zur Idee einer inklusiven Gesellschaft, die auf Augenhöhe von Menschen gestaltet wird, die von Geburt an hier sind und solchen, die im Laufe ihres Lebens dazu kommen: Beide haben legitime Ansprüche an die Gestaltung dieser Gesellschaft und dazu kann es gern Gipfel im Kanzleramt geben.