Was wirklich hinter der Flüchtlingskarawane aus Honduras steckt

Hintergrund

Tausende Menschen fliehen vor der Armut und Gewalt in ihren Heimatländern. Einige haben sich in den vergangenen Wochen zu einer Karawane zusammengeschlossen. Wir geben einen Überblick über die dahinterliegenden staatlichen und gesellschaftlichen Probleme in dem zentralamerikanischen Land.

Eine Karte des Wegs der aus Honduras Geflüchteten
Teaser Bild Untertitel
Der Weg der Geflüchteten aus Honduras in Richtung der USA (Stand Oktober 2018)

In der vergangenen Woche war eine Gruppe von Familien, die sich aus Honduras auf den Weg nach Norden mit dem Ziel USA machten, das zentrale Thema in den mittelamerikanischen Medien. Was zunächst als Karawane von ein paar hundert Honduranerinnen und Honduranern, vornehmlich aus San Pedro Sula, begonnen hatte, entwickelte sich rasch zu einem langen Zug tausender Menschen, darunter viele Familien mit Kindern.

Trotz der naheliegenden humanitären Besorgnis, die ein Massenstrom mit so vielen Müttern und kleinen Kindern zwangsläufig auslöst, hat dieser Treck vor allem durch die obsessive Reaktion von US-Präsident Donald Trump internationale Beachtung gefunden: Trump hat sich massiv und opportunistisch auf die Karawane eingeschossen und nutzt dies als neue Möglichkeit, um die migrantenfeindliche Stimmung in den Vereinigten Staaten anzuheizen. Dahinter steckt die Hoffnung, der Republikanischen Partei mit Blick auf die Wahlen am 6. November noch auf der Zielgeraden Vorteile im Wahlkampf zu verschaffen.

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Berichterstattung kratzt an der Oberfläche

In den letzten Tagen sind die Medien mit ihrer Berichterstattung verantwortungsvoller geworden. Schritt für Schritt verfolgen sie den Weg der Karawane durch Mittelamerika und Mexiko und zeigen dabei erschreckende Bilder von erschöpften Kindern und Familien, die den physischen Anforderungen des langen Fußmarschs kaum gewachsen sind. Diese Form der Berichterstattung bleibt jedoch nach wie vor weitgehend an der Oberfläche. Uns wird gesagt, was geschieht, aber nicht, warum. Wir müssen uns eingehender mit der honduranischen Geschichte und den jüngsten ökonomischen, politischen und sozialen Entwicklungen befassen, die diese Karawane ausgelöst haben.

Honduras wird von einer extrem reichen Wirtschaftselite kontrolliert, deren Macht sich seit hundert Jahren überwiegend auf die Verflechtung mit einflussreichen transnationalen Unternehmen stützt. Diesem Land mit seiner langen Geschichte von Militärdiktatoren, das in jüngster Zeit von ausgesprochen unbeliebten Zivilregierungen beherrscht wird, haftet noch immer der Ruf einer "Bananenrepublik" als Symbol der Macht an. Die derzeitige Regierung wurde nicht von den honduranischen Wählerinnen und Wählern gewählt, sondern nur durch den Einfluss der Vereinigten Staaten an die Macht gehievt.

Nach neuesten Angaben der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) gehört Honduras nach wie vor zu den Ländern Lateinamerikas mit den höchsten Raten an Armut und extremer Armut. Der Terminus "Armut" verschleiert jedoch, dass es in Wirklichkeit um eine Konzentration des Reichtums in den Händen einer sehr kleinen Clique von Familien und Einzelpersonen und für die Mehrheit der honduranischen Bevölkerung um Entbehrung und Elend geht.

Ausgrenzung und politische Instabilität

Abgesehen davon, dass in Honduras gesellschaftliche und wirtschaftliche Systeme der Ausgrenzung tief verankert sind, brach dort vor fast zehn Jahren eine Zeit ausgeprägter politischer Instabilität an, die bis heute anhält. Diese Phase begann im Juni 2009 mit dem Putsch der honduranischen Streitkräfte gegen die rechtmäßig gewählte Regierung von Manuel Zelaya. In der damaligen Krise stellte sich die US-Regierung unter Barack Obama hinter die demokratiefeindlichen Kräfte in Honduras und unterstützte so den Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung.

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Die Hoffnungen der honduranischen Bevölkerung auf eine stabile Demokratie, die in der Lage hätte sein können, die seit langem herrschenden wirtschaftlichen und sozialen Missstände im Land zu überwinden, schwanden mit dieser Entscheidung zusehends. Seitdem haben sich die Bedingungen immer weiter verschlechtert.

Hoffnungen auf Demokratie schwinden

2017 kam es zu der nächsten Krise, als der amtierende Staatspräsident Juan Orlando Hernández ankündigte, sich zur Wiederwahl stellen zu wollen, obwohl die honduranische Verfassung dies explizit verbietet. Die von Hernández inszenierte Kampagne zu seiner Wiederwahl wurde von der US-Regierung stillschweigend unterstützt. Im November 2017 fanden dann die Präsidentschaftswahlen statt. Sie waren nach Ansicht der meisten internationalen Beobachter weitgehend von Unregelmäßigkeiten geprägt.

Die ersten Ergebnisse deuteten klar auf einen Sieg der Opposition hin, doch am Ende wurde Juan Orlando Hernández vom Obersten Wahlgericht, einem von der Regierung kontrollierten Organ, zum Sieger erklärt. Wie schon 2009 stellte sich die US-Regierung erneut hinter eine hochgradig unpopuläre Regierung: Sie beglückwünschte Hernández eilig zu seinem "Sieg" und machte so ihre Unterstützung für die demokratie- und verfassungsfeindlichen Kräfte in Honduras deutlich.

Erwartungsgemäß konnten die Menschen, die von einer demokratischen Zukunft in Honduras träumten, dies nicht akzeptieren. Die honduranischen Wählerinnen und Wähler gingen auf die Straße und begannen so ihre anhaltenden Proteste gegen die unrechtmäßige Regierung. Diese reagierte mit verschärfter politischer Repression und sogar mit der Ermordung demonstrierender Menschen, der Inhaftierung einer zunehmenden Zahl politischer Gefangener und ständigen Schikanen gegen alle, die es wagen, die amtierende Regierung zu kritisieren.

Keine Sicherheit und große Gewalt

Als ob dies nicht genug wäre, verschärfte sich auch die Krise im Bereich der Sicherheit von Bürgerinnen und Bürgern. Honduras leidet massiv unter der Präsenz und dem Einfluss von Drogenkartellen und organisierten Banden. Die Häufung von Gewalttaten dieser illegalen Akteure und die politisch zunehmend repressive und autoritäre Rolle der honduranischen Streit- und Polizeikräfte stürzen das Land in eine derartige Krise, dass in der gesamten Bevölkerung nur noch tiefe Verzweiflung herrscht. Die Fluchtströme aus Honduras haben nicht erst mit der jüngsten Karawane begonnen. Seit mindestens zehn Jahren fliehen immer mehr Menschen aus dem Land.

Mit der Karawane, die sich vor kaum mehr als einer Woche auf den Weg gemacht hat, wurden sehr schnell die Träume tausender Honduranerinnen und Honduraner beflügelt, die sich verzweifelt danach sehnen, der sich zunehmend verschlechternden Lage zu entfliehen, denn sie bedeutet fehlende Arbeitsplätze, menschenunwürdige Lebensbedingungen, verschärfte Repression seitens der Regierung und zunehmende Kriminalität von Drogenkartellen und organisierten Banden.

Der Gedanke an eine gemeinsame Flucht, den damit verbundenen Schutz und die Möglichkeit, so die Netzwerke von Schleusern zu umgehen, die exorbitante Summen verlangen, oder auch die Menschenhändler, die Frauen und Kinder versklaven, übte eine gigantische Magnetwirkung aus und brachte immer mehr Menschen dazu, sich der Karawane anzuschließen. Die jetzige Karawane ist weniger als sorgfältig geplante Aktion zu verstehen denn als spontaner Akt zahlreicher Menschen, die aus schierer Verzweiflung handeln.

Internationale politische Abkommen sind notwendig

Je weiter die Karawane in Richtung Norden vorankommt, lässt sie die riesige Kluft zwischen der Welt von Politikern, Bürokraten und Diplomaten und der Welt von Menschen erkennen, die einen Ausweg aus immer extremer werdenden Lebensbedingungen suchen. Zahlreiche Staaten haben in den letzten beiden Jahren innerhalb des Systems der Vereinten Nationen an der Entwicklung von globalen Abkommen über eine "sichere, geordnete und geregelte Migration" und der Schaffung der entsprechenden "funktionalen Rahmenbedingungen für humanitären Schutz" für Geflüchtete sowie Migrantinnen und Migranten gearbeitet. Die jetzige Karawane und die ablehnende Reaktion der Politiker müssen uns ins Gedächtnis rufen, wie weit wir noch immer von diesem großen Ziel entfernt sind.

Ohne Zweifel ist es dringend notwendig, neue, kreative Regelwerke zu entwickeln, um in der Welt von heute mit der menschlichen Mobilität als Fakt umzugehen. Die gegenwärtigen Paradigmen, die dem freien Kapital- und Güterverkehr Tür und Tor öffnen, aber den Menschen Sicherheit und Lebenschancen verweigern, sind ein Rezept, um diese Art von menschlichem Leid zu erzeugen, wie wir es derzeit an der Südgrenze von Mexiko erleben. Wir brauchen bessere Antworten, und letztlich stehen wir vor der Herausforderung, Länder wie Honduras so umzugestalten, dass die Bevölkerungsmehrheit dort ein menschenwürdiges, sicheres und nachhaltiges Leben führen kann.

Nationaler Dialog ist für die Demokratie notwendig

Kurzfristig aber könnten einige Schritte die Kompassnadel bereits in die richtige Richtung bewegen. In Honduras brauchen wir dringend einen nationalen Dialog, um die Beschädigung der demokratischen Institutionen zu beheben und auf dem Weg zu einem neuen landesweiten Solidarpakt voranzukommen. An einem solchen Dialog müssen die Privatwirtschaft, die unabhängigen zivilgesellschaftlichen Akteure (und nicht nur diejenigen, die den Spitzenvertretern der Regierung Beifall klatschen), die politische Führung des Landes, die Regierung der USA sowie weitere interessierte nationale und internationale Akteure beteiligt werden. Die derzeitige honduranische Regierung könnte einen solchen Prozess in vielfältiger Weise unterstützen, doch leider fehlt ihr die nötige Glaubwürdigkeit, um ihn zu lenken bzw. dazu aufzurufen.

Menschenrechte müssen geachtet werden

Im Hinblick auf die Menschen, die sich der Karawane als Asylsuchende angeschlossen haben, sollte der schwarze Peter nicht Mexiko zugeschoben werden, wie dies anscheinend die Vereinigten Staaten tun, sondern wir müssen eindringlich fordern, dass die Menschen aus Honduras und aus ganz Mittelamerika entsprechend den internationalen Verpflichtungen aller Staaten eine faire Behandlung erfahren. Ihre Rechte als Menschen, die humanitären Schutz suchen, müssen geachtet werden. Ihnen müssen praktische, verantwortungsbewusste Lösungen angeboten werden, gestützt auf den Gedanken, dass Migrantinnen, Migranten und Geflüchtete nachweislich einen Beitrag zur Verbesserung der Nationen leisten, die sie als die ihren angenommen haben, und ebenso tragen sie entscheidend zum Wohlstand ihrer Familien in ihrem Herkunftsland bei.

Die USA spielen eine kritische Rolle 

Den Vereinigten Staaten kommt sowohl kurz- als auch langfristig eine kritische Rolle zu, aber nur dann, wenn sie Honduras und die Karawane mit Blick auf die unmittelbar bevorstehenden Wahlen am 6. November nicht mehr als politischen Spielball benutzen.

Präsident Trump hat die Karawane bereits zu einem politischen Zirkus gemacht und als neuen Zündstoff im derzeitigen Wahlkampf benutzt, um so seinen Diskurs gegen die mexikanischen und lateinamerikanischen Migrantinnen und Migranten zu befeuern und seinen Ruf nach einer Grenzmauer zu bekräftigen. Viele Demokraten betrachten die Karawane augenscheinlich als politischen Nachteil für ihre eigenen Wahlhoffnungen. Dahinter verbirgt sich ein enttäuschender Mangel an einer Vision und einer Strategie der demokratischen Parteiführung.

Die Demokraten sollten diesen Augenblick als Chance wahrnehmen, um ihr Verständnis von Migration zu überdenken und sie als wichtige Aufgabe zu sehen, die eine auf nationaler und internationaler Ebene sorgfältig abgestimmte politische Antwort erfordert. Eine solche neue Vision und Strategie muss mit der Entwicklung einer Erzählung beginnen, in der alle Immigrantinnen und Immigranten als Gewinn für die Vereinigten Staaten von Amerika anerkannt und begrüßt werden.

Übersetzung aus dem Spanischen: Beate Engelhardt