Der Staat bevorzugt das Auto bei der Verteilung von Flächen und Geldern gegenüber anderen Verkehrsmitteln. Das ist ungerecht und behindert die Verkehrswende.
Mobilität ist dann gerecht gestaltet, wenn alle Menschen ihre Wege selbstständig und sicher zurücklegen können, auch Kinder, Ältere sowie Menschen mit Behinderung oder geringem Einkommen. Und wenn sie möglichst verträglich ist für Mensch, Umwelt und Klima. In Deutschland hat die öffentliche Hand über Jahrzehnte den Autoverkehr bei der Verteilung von Flächen und Geldern bevorzugt. Auch die Gesetze, allen voran die Straßenverkehrsordnung (StVO), sind autofreundlich formuliert. In der Konsequenz haben sich unsere Städte autogerecht entwickelt.
Wie genau die Verkehrsflächen in deutschen Städten aufgeteilt sind, erfassen die Kommunen nicht. Oft können sie nur darüber Auskunft geben, wie groß ihr Anteil am gesamten Stadtgebiet ist. Manche Kommunen rühmen sich der Länge ihres Radnetzes, obwohl dieses Großteils aus 80 Zentimeter breiten Schutzstreifen besteht. Diese verdienen ihren Namen nicht und bieten Radfahrer/innen nicht den nötigen Sicherheitsabstand zu fahrenden und parkenden Autos.
Radfahrer wehren sich
Die „Agentur für clevere Städte“ und Studenten der „Best-Sabel-Hochschule“ haben 2014 im Rahmen eines Semesterprojektes Berliner Straßen vermessen und das Ergebnis hochgerechnet: 58 Prozent der Verkehrsflächen in der Bundeshauptstadt sind für das Auto reserviert, davon 19 Prozent für parkende Fahrzeuge. Fußwege nehmen 33 Prozent der Flächen ein, für den Radverkehr bleiben lediglich drei Prozent der Flächen übrig. Dabei legen die Berliner/innen nur 30 Prozent ihrer Wege mit dem Auto zurück, aber 15 Prozent mit dem Fahrrad. Beim Fußverkehr entspricht der Anteil an den zurückgelegten Wegen (31 Prozent) in etwa den zugewiesenen Flächen. Allerdings sind die Bürgersteige in Berlin breiter als in vielen anderen deutschen Kommunen.
Die Radfahrer/innen wollen die ungerechte Flächenverteilung in deutschen Städten nicht mehr hinnehmen. Heinrich Strößenreuther, Geschäftsführer der Agentur für Clevere Städte, initiierte in Berlin den „Volksentscheid Fahrrad“. Die Bürgerbewegung sammelte in der Bundeshauptstadt über 100.000 Unterschriften für einen Volksentscheid über ein Radgesetz. Da die rot-rot-grüne Landesregierung die Ziele der Bewegung weitgehend übernahm, kam es nicht zum Volksentscheid. Mitte 2018 hat der Senat ein Mobilitätsgesetz verabschiedet. Die Abgeordneten haben unter anderem festgelegt, dass die Stadt bis 2025 100.000 Fahrradstellplätze und 100 Kilometer Radschnellverbindungen bauen muss. Nebenstraßen sollen zunehmend als Fahrradstraßen ausgewiesen werden. Der Berliner Volksentscheid hat Nachahmer/innen in Bamberg, Darmstadt, Frankfurt, Hamburg, Kassel, München und Stuttgart gefunden.
Zu viel Platz für parkende Autos
Beim Parkraum wird die ganze Absurdität der autogerechten Flächenaufteilung in unseren Städten offensichtlich: Ein Parkplatz hat eine Fläche von mindestens zwölf Quadratmetern und ist damit größer als viele Kinderzimmer. Gerade in Wohngebieten ist das Parken oft kostenlos, obwohl sich die jährlichen Betriebskosten pro Stellplatz auf 60 bis 300 Euro belaufen und die Baukosten 1.500 bis 5.000 Euro betragen. Erhebt eine Kommune Gebühren für Anwohnerparkausweise, dürfen diese maximal 30,70 Euro betragen – pro Jahr. Wir geben unseren Autos mehr Raum als unseren Kindern und verschenken kostbare öffentliche Flächen, damit Menschen dort ihr ungenutztes Privateigentum abstellen können. Denn Pkw stehen durchschnittlich über 23 Stunden am Tag herum.
Die „Agora Verkehrswende“ sieht in der Parkraumbewirtschaftung einen wichtigen Hebel, um den Autoverkehr zu reduzieren und für mehr Flächengerechtigkeit zu sorgen. Die Denkfabrik rät Kommunen, die Anzahl der Parkplätze zu verringern, um Flächen für den Bau von Fahrradinfrastruktur, Spielplätzen oder Grünflächen zu gewinnen. Für die verbleibenden Stellplätze sollen die Kommunen Parkgebühren erheben, die dem Wert des öffentlichen Raumes angemessen sind. Diese können Landesregierungen und Kommunen in ihren Gebührenordnungen festlegen. In Deutschland sind die Preise für das Parken im europäischen Vergleich niedrig: Kurzzeitparken kostet beispielsweise in Cottbus einen Euro und in München 2,50 Euro. In Riga dagegen fünf Euro und in London 5,60 Euro. Sind die Parkgebühren hoch, nimmt der Autoverkehr ab. Die Bürger/innen wollen die hohen Gebühren nicht zahlen und lassen ihren Pkw zu Hause öfter stehen. Die Agora rät Kommunen parallel zur Verknappung des Parkraums Carsharing-Angebote als Alternative zum privaten Autobesitz zu schaffen.
Auch die Straßenverkehrsordnung ist autofreundlich formuliert. In Paragraf 45 StVO sind beispielsweise Voraussetzungen festgelegt, unter denen Städte und Gemeinden Tempolimits anordnen oder Straßen für Autos sperren dürfen. Diese Regelungen beschränken die Gestaltungsmöglichkeiten von Stadt- und Verkehrsplanern. Eine Reform der StVO würde eine menschen- und umweltfreundliche Verkehrsplanung erleichtern.
Umweltschädliche Subventionen
Macht man das Autofahren durch Subventionen billiger, fahren die Menschen mehr Auto. Man erzielt also genau den gegenteiligen Effekt wie mit hohen Parkgebühren. Das Umweltbundesamt (UBA) fordert seit Jahren die Abschaffung des Diesel-Privilegs (7,4 Milliarden Euro im Jahr 2012), der Entfernungspauschale (5,1 Milliarden Euro) und der Begünstigungen für Dienstwagen (3,1 Milliarden Euro).
Insbesondere das Diesel-Privileg – auf Dieselkraftstoff erhebt der Staat eine geringere Energiesteuer als auf Benzin – ist heute völlig überholt. Der Bund führte es einst ein, da Diesel-Pkw aufgrund ihres geringeren Verbrauchs weniger CO2 ausstoßen und daher als gut für das Klima galten. Doch heute hat sich der absolute Kraftstoffverbrauch von Diesel-Pkw und Benzinern stark angenähert, da Dieselmotoren oft in großen, schweren Autos verbaut werden und Benziner dank Direkteinspritzung sparsamer geworden sind. Zudem sind Diesel-Pkw die Hauptquelle von gesundheitsschädlichen Stickoxiden in der Atemluft in deutschen Städten. Diesel auch noch zu subventionieren, ist aus verkehrs-, umwelt- und gesundheitspolitischer Sicht ein Fehler, der korrigiert werden muss.
Mit einer gerechten Umverteilung der Verkehrsflächen, insbesondere zugunsten von Radfahrer/innen, die momentan besonders wenig Platz haben, und Fußgänger/innen, können Kommunen der Verkehrswende einen Schub geben. Die Flächen dafür können sie insbesondere gewinnen, indem sie Parkflächen reduzieren und den Autoverkehr mit Parkgebühren geringhalten, die dem Wert des öffentlichen Raums angemessen sind. Auch der Bund kann einen Beitrag zur Verkehrswende und Verkehrsgerechtigkeit leisten, indem er umweltschädliche Subventionen wie das Diesel-Privileg abschafft.