Helsinki: Die Flatrate für alle Verkehrsmittel

Best Practice

Helsinki ist die erste Stadt, in der man seine gesamte Mobilität mit nur einer App managen kann. Diese „Mobility as a Service“ gibt es sogar als Flatrate.

Kommunale Verkehrswende. Smart City Helsinki. Foto einer Frau im Zug mit Smartphone

Wer kennt das nicht: das Tarifsystem des öffentlichen Verkehrsunternehmens ist zu kompliziert, es gibt drei oder vier unterschiedliche Carsharing-Anbieter in der Stadt, ein Durcheinander an Fahrradverleihsystemen, Mietwagenfirmen irgendwo am Stadtrand oder im Industriegebiet und mehr oder weniger freundliche Taxifahrer/innen, die ihre Fahrgäste unter Ausreizung des erlaubten Tempolimits durch die Stadt befördern. Wie schön wäre es, wenn das gesamte Angebot aus einer Hand käme, wenn ich einfach mein Ziel in die App auf dem Smartphone eingeben könnte und mir die günstigste, die schnellste oder die schönste Verbindung angezeigt würde. Und: Wähle ich dann eine Verbindung, läuft der Bezahlvorgang automatisch im Hintergrund ab und ich kriege überhaupt nichts davon mit.

In der finnischen Hauptstadt Helsinki ist dieser Traum der multimodalen Mobilität Wirklichkeit geworden. Dank einer cleveren Verordnung aus dem Ministerium für Transport und Kommunikation und der App „Whim“ der Firma „MaaS Global“. Die Nutzer können ihre Wege mit der App über die Grenzen einzelner Verkehrsmittel hinweg planen. Dabei berücksichtigt sie Busse, Straßenbahnen, Carsharing, Mietwagen, Leihräder, Taxis und Co. Die App zeigt sowohl schnelle als auch preisgünstige Optionen an. Entscheidet man sich für eine Route, kauft die App automatisch das Ticket für den ÖPNV oder bestellt das Taxi. Im Oktober 2018 hatten bereits 60.000 Nutzer/innen in Helsinki die App Whim auf ihren Smartphones installiert und darüber 1,8 Millionen Fahrten gebucht.

Netflix für Mobilität

Der Firmenname „MaaS Global“ leitet sich vom Englischen „Moblity as a Service“ ab, was übersetzt „Mobilität als Dienstleistung“ bedeutet. Der App-Name„WHIM“ stammt ebenfalls aus dem Englischen und lautet in etwa „Nach Lust und Laune“, was die neue Leichtigkeit und Einfachheit des Systems gleich im Namen transportieren soll.

Das Besondere sind die Mobilitätsflatrates des Anbieters: Für 49 Euro pro Monat kann man den öffentlichen Nahverkehr in Helsinki unbegrenzt nutzen, ein Leihrad für bis zu 30 Minuten pro Fahrt ohne weitere Kosten ausleihen und bekommt Rabatte auf Taxifahrten und Mietautos. Für satte 499 Euro im Monat kann man Leihrad, Mietauto und Taxi unbegrenzt nutzen, ohne zuzuzahlen. Zum Vergleich: Laut Sampo Hietanen, Gründer von MaaS global, geben die Bürger/innen in Helsinki durchschnittlich rund 300 Euro monatlich für Mobilität aus, davon 85 Prozent für den privaten Pkw. Das eigene Auto wollen die Finnen von MaaS global genauso überflüssig machen, wie Video-Streaming-Dienste den DVD-Player und die eigene Filmsammlung ersetzt haben. Hietanen nennt sein mobiles Dienstleistungssystem daher auch das Netflix der Mobilität. Während bei dem Streaming-Dienst ein Abo zwingend erforderlich ist, können die Nutzer Whim auch ohne monatliche Gebühr verwenden und pro Fahrt zahlen.

Open Data für Verkehrsunternehmen

Grundvoraussetzung um, wie es MaaS Global tut, Mobilität aus einer Hand anbieten zu können, ist die Verfügbarkeit von Daten. Dass ausgerechnet eine finnische Firma die „Mobility as a Service“ erfunden hat, ist kein Zufall. Auf Initiative des Ministeriums für Transport und Kommunikation erließ die Regierung den „Act on Transport Services“, der am 1. Januar 2018 in Kraft trat. Die Verordnung verpflichtet alle Transportunternehmen in Finnland, ihre Daten offenzulegen. Öffentliche Nahverkehrsunternehmen teilen daher ihre Fahrpläne und Echtzeitdaten zur Position von Bussen und Trams, Taxi- und Carsharing-Unternehmen die Daten zu Verfügbarkeit von Fahrzeugen. Die Informationen laden sie dann beispielsweise in die Cloud von MaaS Global hoch. Der „Act on Transport Services“ schreibt den Transportunternehmen auch offene Programmierschnittstellen vor, damit Apps von Drittanbietern, wie Whim, den Kauf von Tickets oder die Buchung von Leihfahrzeugen vornehmen können.

Kommunale Verkehrswende

E-Mobilität, Ride Sharing, ÖPNV: Wir zeigen die besten Praxisbeispiele für die kommunale Verkehrswende in Deutschland und Europa. Und fragen: Wie sieht die lebenswerte Stadt der Zukunft aus?

Antworten gibt es in unserem Dossier zu Kommunalen Verkehrswende. 

Die meisten ÖPNV-Unternehmen tun sich schwer, einem Dritten Zugriff auf ihre Daten zu gewähren. Die Skeptiker in den Verkehrsbetrieben treibt vor allem die Sorge um, dass durch das umfassende Angebot Fahrgäste des ÖPNV auf Taxi und Teilauto umsteigen könnten. Die Zahlen aus Helsinki weisen allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Sampo Hietanen berichtete in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk, dass Kunden zu Beginn ihres Whim-Abos für 48 Prozent ihrer Fahrten die öffentlichen Verkehrsmittel nutzten. Dieser Anteil steigerte sich mit der Zeit auf 72 Prozent.

Dort, wo Dienstleister Mobilitätsdaten von Kunden erfassen und untereinander teilen, besteht die Möglichkeit, dass mit den Daten Mobilitätsprofile der Kunden erstellt werden. Wenn die gesamte Mobilität aus einer Hand kommt, könnten diese Profile sogar lückenlos sein. Das gilt es zu verhindern. Maas Global gibt auf der Whim-Website an, dass Reisedaten der Nutzer, beispielsweise Start- und Zielort sowie Start- und Endzeitpunkt der Fahrten gespeichert werden. Dies sei unter anderem nötig, um Verkehrsbetriebe, Taxiunternehmen, Auto- und Fahrradverleiher für die Reisen der Kunden zu bezahlen. Da Finnland EU-Mitglied ist, gelten für Maas Global die 2016 überarbeiteten Datenschutzrichtlinien der EU. Sowohl die beteiligten Unternehmen als auch der Staat müssen für den verantwortungsvollen Umgang mit den Daten und die Einhaltung der Gesetze sorgen.

„Mobility as a Service“ hat das Potenzial, auch außerhalb Finnlands ein Erfolg zu werden. Allerdings werden sich App-Entwickler hierzulande deutlich schwerer tun, eine mit Whim vergleichbare App anzubieten. Denn ohne eine Gesetzgebung wie dem „Act on Transport Services“ sind sie darauf angewiesen, dass Transportunternehmen ihre Daten freiwillig teilen. Mit einer entsprechenden Regelung kann der Bund hier die Voraussetzung für die multimodale Zukunft schaffen.