Nachruf auf Axel Schildt (1951-2019)

Nachruf

Axel Schildt war einer der innovativsten Historiker der deutschen Nachkriegsepoche, er hat in seinem schnörkellosen Stil die Verbindung von Sozial-, Kultur- und Intellektuellengeschichte der einzelnen Dekaden der Bundesrepublik geleistet und damit dem Bild dieser Epoche eine neue Vielschichtigkeit verliehen.

Axel Schildt bei einem Vortrag in der Heinrich-Böll-Stiftung 2017
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Axel Schildt bei einem Vortrag in der Heinrich-Böll-Stiftung 2017

Der 100. Geburtstag Heinrich Bölls stand an. Konnte man einen der herausragenden Geschichtswissenschaftler der Republik fragen, ob er eine zeithistorische Einordnung des Protagonisten, eines Literaten noch dazu, vornehmen würde? Der Anruf in Hamburg ergab: Man konnte. Axel Schildt reagierte begeistert und versprach Einblicke in die politische und intellektuelle Bedeutung Bölls. Die lieferte er in einem fulminanten Vortrag, es wurde ein von stiller Liebe getragenes Porträt des Schriftstellers und Intellektuellen Heinrich Böll. Und wie bei Schildts profunder Kenntnis der Zeit nicht anders zu erwarten, entstand dabei auch ein Porträt der intellektuellen Landschaft der Bundesrepublik der 1950er und 1960er Jahre.

Schildt vermochte wie kein zweiter zeitgenössischer Historiker, Einblicke in die Geisteshaltung jener Generation zu geben, die nach den moralischen und politischen Verwüstungen des Dritten Reichs die intellektuellen und sittlichen Leitplanken für die Nachkriegsgesellschaft setzte. Er sprach über diese Zeit mit der kritischen Distanz des Historikers – über die Erfahrungen und Motive dieser Generation und ihre Prägungen, er nahm ihre zentralen Begriffe unter die Lupe. Und doch schienen Schildts Sympathien durch, wenn er Bölls Standhaftigkeit gegenüber Krieg und Gewalt erwähnte, gegen Bigotterie und Doppelmoral.

Axel Schildt über Heinrich Böll 2017

Engagement und Moral: Das „Nie Wieder“ der deutschen Nachkriegsgesellschaft - Vortrag Axel Schildt - Heinrich-Böll-Stiftung

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Als auf dem Historikertag 2018 – seinem letzten, wie wir jetzt wissen – die Zunft zusammenkam, um sich angesichts des wachsenden Rechtspopulismus mit der Gefährdung der Demokratie, der Freiheit der Wissenschaft und der Rolle der Geschichtswissenschaft auseinanderzusetzen, war auch Axel Schildts Stimme laut vernehmbar. Aufklärerischer Impetus und eine klare Haltung gegenüber rechten Anfeindungen zeichneten seine Beiträge aus.

Sein beeindruckendes Werk als Autor bleibt. Schildt war einer der innovativsten Historiker der deutschen Nachkriegsepoche, er hat in seinem schnörkellosen Stil die Verbindung von Sozial-, Kultur- und Intellektuellengeschichte der einzelnen Dekaden der Bundesrepublik geleistet und damit dem Bild dieser Epoche eine neue Vielschichtigkeit verliehen.

Axel Schildt war aber auch dann mit seinem Wissen, seinem Esprit und seiner Unterstützung präsent, wenn er sich davon keine öffentliche Sichtbarkeit erhoffen konnte. Die historische Bildungsarbeit der Heinrich-Böll-Stiftung und das Archiv Grünes Gedächtnis verdanken ihm wichtige Impulse und Anregungen. Dem Archiv versagte er nie seine Mithilfe bei der Aufarbeitung der Grünen-Geschichte, auch nicht, wenn es um heikle Fragen ging, etwa wie rechte Strömungen in den Anfangsjahren versuchten, Einfluss auf den Kurs der Grünen zu nehmen.

In einer Arbeitspause nach seinen persönlichen Erinnerungen an die Frühzeit der Grünen befragt, bekannte der Hamburger sein Faible für den Lederjackenrockerstil von Thomas Ebermann und der Hamburger GAL-Spitze. Für uns alle waren Axel Schildts Witz, seine freundschaftliche Art und sein Wissen unschätzbar. Er wird uns fehlen.