Bruder Xi oder die serbisch-chinesische Freundschaft aus Stahl

Hintergrund

In Serbien wird der chinesischen Staatspräsidenten Xi zum Bruder der Nation erklärt, Danksagungen für die schnelle Hilfe in der Krise säumen die Straßen der Hauptstadt. Außenpolitische Wende oder willkommene Gelegenheit einen Weg weiter zu beschreiten, der sich schon länger abzeichnet? Wie Serbien mit der Coronavirus-Krise umgeht.

Reklamewand in Serbien

Nachdem in der ersten Pressekonferenz zu Covid-19 noch sexistische Witze gerissen und die Empfehlung formuliert wurden, ein starker Schnaps würde auch gegen das Virus helfen, stellten Präsident Vucic und sein Umfeld ab 16. März auf politischen Kampfmodus um. Der nationale Notstand wurde verfassungswidrig ohne parlamentarische Entscheidung und Maximaldauer verhängt, europäische Solidarität zur Mär und Chinas Staatspräsident Xi zum Bruder der serbischen Nation erklärt. Alle Hoffnung der Serbinnen und Serben seien nun auf China gerichtet, so Vucic. Es waren die Tage, in denen Deutschland die Grenzen zu Frankreich schloss und die EU ein Exportstopp medizinischer Hilfsmittel verhängte.

Vor dem Hintergrund, dass zehntausende Ärztinnen, Krankenpfleger und weiteres medizinisches Personal in Deutschland aus einem Balkanland stammen, fanden Vucics EU Beleidigungen schnell Resonanz. Damit war von beiden die erste Chance verpasst, der Krise gemeinsam zu begegnen. Mittlerweile hat sich der Austausch verbessert und spiegelt nun eher die bereits enge Verflechtung Serbiens mit der Europäischen Union wider. Am 6. April wurde bekannt, dass Serbien und Montenegro Mittel aus dem EU Solidaritätsfond zur Bekämpfung von Covid-19 beantragen werden, weitere 94 Mio. Euro kurz- und mittelfristige Hilfe vonseiten der EU wurde bereits zuvor zugesagt, insgesamt umfasst das EU Hilfspaket für den Westbalkan 410 Mio. Euro.

Blockfrei 2.0

Allerdings stand bei der Ankunft der europäischen Hilfen kein Präsident am Flughafen und küsste die europäische Flagge wie er es bei der Ankunft von sechs Experten aus China mit der chinesischen getan hatte. Vollzieht Serbien also wirklich eine außenpolitische Wendung? Wohl kaum. Vielmehr passt das Bild in die seit Jahren von der Vucic-Dacic Regierung verfolgten “zwischen-den-Stühlen” Außenpolitik, eine Art blockfreie Außenpolitik 2.0 in der Tradition Titos. Im Außenministerium von Minister Dacic (er selbst Erbe von Milosevics sozialistischen Partei) soll es eine stolze Ausstellung geben, die von der Kontinuität der serbischen Außenpolitik als selbst-bestimmt und blockfrei erzählt. Sie passt gut zur dominanten, nationalistischen, serbischen Meta-Erzählung.

Einziges Problem: was sind die Resultate und Nutzen einer solchen Politik für die serbische Bevölkerung? Vom „Bruder“ Russland erhält Serbien außer Orden für den Präsidenten und dem Bestärken der orthodoxen Verwandtschaft nur eines: ein sicheres Veto im Sicherheitsrat zur Verhinderung von Kosovos UN-Mitgliedschaft. Geschenke macht Russland keine. Und auch Chinas Maskendiplomatie hat ihren Kontext. Als Brückenkopf nach Europa spielt Serbien eine besondere Rolle im Kalkül des chinesischen Mega-Infrastrukturprojekts „neue Seidenstraße“. Eine Kupferfabrik in Bor, eine Stahlfabrik in Smederevo und ein Kohlekraftwerk in Veliki Crljeni; China sichert sich schrittweise strategische Infrastruktur. Allen Projekten gemein sind Verstöße gegen Umweltverträglichkeitsprüfungen (EIAs), Vergaberecht, sowie der Umstand, dass es sich dabei nicht um Investitionen, sondern um Kredite handelt mit weitreichenden Zugeständnissen im Falle eines Zahlungsausfalls.

Und auch im Sicherheitsbereich hat die serbische Regierung mit China einen willkommenen Partner gefunden: bis zu 1.000 Huawei Kameras mit Gesichts- und Nummernschilderkennung werden momentan im Rahmen der „Smart city“ Kooperation in Belgrad installiert. Wer Zugriff auf die Daten hat und durch welches Gesetz die Handhabung der personenbezogenen Daten geregelt wird, bleibt offen bzw. Verschlusssache.

Chinesische Methoden?

Wie chinesische Methoden in der Bekämpfung des Virus auch aussehen können, zeigte Anfang April die Verhaftung der Journalistin Ana Lalic, die über unzureichenden Schutz und Ausstattung des Krankenhauspersonals in Novi Sad berichtet hatte. Grundlage war ein Dekret der Regierung, das eine zentralisierte Berichterstattung über Covid-19 durch den von der Premierministerin geleiteten Krisenstab vorsah. Nach einem Aufschrei der Zivilgesellschaft, kam die Journalistin frei, die Regierungschefin kassierte das Dekret und entschuldigte sich.

Auch Montenegro machte auf sich aufmerksam, als Listen von Covid-19 Infizierten samt Name und Adresse auf Regierungswebsites auftauchten. Ziel dieser Maßnahme war wohl, dass auch Bürger und Nachbarn in die Überwachung der Einhaltung der Ausgangssperren miteingebunden werden sollten. Aus Sorge um solche Trends gründeten einige netzpolitischen Aktivisten eine Watchdog Plattform für digitale Rechte auf dem Balkan.

Die Macht der Narrative

Seit kurzem schmückt die serbische Dankbarkeit gegenüber China nun auch die Straßen der Hauptstadt. „Danke, Bruder Xi“ steht auf den großen Reklameflächen entlang der Hauptverkehrsadern in Belgrad. Finanziert ist die Charmeoffensive von der Boulevard Tageszeitung „Informer“, die als regierungsnahes Hetzblatt gilt. Wenn es um die Verunglimpfung von Oppositionspolitikern geht, die Beschimpfung kosovarischer Politiker oder die Verherrlichung von Kriegsverbrechern, ist „Informer“ täglich zur Stelle; in der Corona Krise verzichtet sie allerdings auf scharfe Töne und konzentriert sich darauf zu vermitteln, dass die Regierung alles unter Kontrolle habe.

Die neue Kampagne zeigt beispielhaft das Schaffen von Narrativen und populistischen Stimmungen, so werden die serbischen Bürgerinnen und Bürger wieder einmal am Nasenring durch die Manege der Weltpolitik gezogen. Drei Faktoren machen dies möglich: 1) die fast komplette Kontrolle der Medien im Zusammenspiel von staatsloyalen Kanälen und Boulevard-Scharfmachern, 2) die Passivität der Opposition und das Fehlen einer pro-europäischen politischen Alternative, 3) die schlechte und zurückhaltende Kommunikation der EU.

Die strengen Maßnahmen zur Einschränkung der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit (in Serbien herrscht täglich komplette Ausgangssperre von 17h – 5h) haben sich bislang positiv auf die Eindämmung der Corona-Epidemie ausgewirkt. Selbst wenn man von einer hohen Dunkelziffer bei den Infizierten ausgeht, halten sich die Zahlen, besonders der Verstorbenen, im Rahmen. Flüchtlingsunterkünfte werden neuerdings von der Armee überwacht, dort wurden bis jetzt keine Fälle gemeldet. Befristete Duldungen für Flüchtlinge werden zunächst automatisch verlängert. Abseits des typischen, politischen Gepolters der Regierungen arbeiten die Wirtschafts- und Handelskammern der sechs Westbalkanstaaten an regionalen Antworten und der Vereinfachung von Handelsströmen in der Krise.

Dies sollte von der EU aufgegriffen werden, genauso wie die humanitäre Unterstützung der schwächsten Gruppe auf dem Balkan: der Roma. Die Notfallversorgung dieser ohnehin schon diskriminierten Gruppe in Bezug auf Zugang zu Wasser, Bildung und Beschäftigung übernehmen momentan NGOs. Ein koordiniertes Vorgehen von staatlichen Stellen ist laut eines Appels des Zentralrats der Sinti & Roma zusammen mit NGOs aus ganz Südosteuropa dringend notwendig. Sie befürchten eine Verschärfung des Anti-Zyganismus, rassistische Übergriffe und Ghettoisierung sowie die schnelle Ausbreitung des Virus und verschärfte Armut.

Ein paar konkrete, menschliche Aktionen europäischer Solidarität wären jedenfalls auch auf dem Balkan Gold wert, anstatt in Diskussionen über Grenzschließungen, Rettungsschirme und anonymisierte Geldtransfers zu fallen.