Covid-19 im Südkaukasus – Schnelle Reaktionen und autoritäre Reflexe

Bericht

Die drei Länder des Südkaukasus, Armenien, Aserbaidschan und Georgien, sind bisher relativ gut durch die Corona-Krise gekommen, da sie früh begonnen haben, staatliche Einrichtungen zu schließen und das öffentliche Leben runter zu fahren.

Desinfizieren von Autos auf der Straße in Corona-Zeiten

Den Regierungen der drei Länder war von Anfang an bewusst, dass ihre Gesundheitssysteme einen schnellen Anstieg der Krankheitsfälle nicht hätten auffangen können und die Fallzahlen nur mit starken Einschnitten in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben begrenzt werden konnten.

Trotzdem weisen sie Unterschiede in den Maßnahmen und Fallzahlen auf. Zum 1. April 2020 wurden in Armenien mit mehr als 500 offiziellen Fällen die höchste Rate in der Region gemessen, gefolgt von Aserbaidschan mit knapp 300 Fällen und Georgien mit etwas über 100 mit dem Corona-Virus infizierten Personen. Offiziell gibt es bis dahin 5 Todesfälle in Aserbaidschan und 3 in Armenien.[1]

Schnelle Reaktionen und unterschiedliche Maßnahmen

Nachdem in Georgien Ende Februar die ersten Corona Fälle bekannt geworden sind, hat die georgische Regierung sofort Anfang März die Schulen geschlossen. In den folgenden Wochen wurden alle Geschäfte bis auf Lebensmittelläden, Apotheken, Banken und Tankstellen geschlossen, der öffentliche Verkehr innerhalb des Landes faktisch eingestellt, Einreisebeschränkungen für Ausländer erlassen, der Notstand ausgerufen mit weiteren Beschränkungen des öffentlichen Lebens sowie Ende März Ausgangssperren für die Nacht und Morgenstunden erlassen.

Georgien steckte bis zum Ausbruch von Corona in einem Konflikt zwischen Opposition und der Regierungspartei „Georgischer Traum“ um die Reform des Wahlgesetzes für die für Oktober 2020 anstehenden Parlamentswahlen. Mit der Verbreitung des Virus im Land, hat die Regierung unter Premier Gakharia von Anfang an auf Experten gehört und sehr transparent über die aktuellen Fälle und ihre Maßnahmen berichtet.

Die Zustimmung in der Bevölkerung und die Disziplin bei der Einhaltung der Maßnahmen ist anhaltend hoch. Das könnte sich für die bis zur Corona-Krise im Sinkflug befindende Regierungspartei auch bei den Wahlen im Oktober auszahlen. Die Opposition trägt bisher alle Maßnahmen mit und es scheint eine unausgesprochene Vereinbarung zu geben, sich im Moment nicht zu attackieren.

Orthodoxe Kirche erhöht Verbreitungsrisiko

Allein die orthodoxe Kirche und der Patriarch haben lange starr an den üblichen Prozeduren für die Messe festgehalten und bis tief in den März hinein noch beim Abendmahl einen Löffel für alle Gläubigen benutzt. Beobachter argumentieren, dass die Ausrufung des Notstandes am 21. März auch eine Reaktion darauf war, dass sich die Kirche nicht an Abstandsregeln gehalten hat und damit gesetzliche Regeln zur Anwendung kamen, die auch der Patriarch nicht ignorieren kann.[2]

Trotzdem befürchtet die Regierung, dass zum orthodoxen Ostern Mitte April die Abstandsregeln nicht eingehalten werden, scheut sich aber gleichzeitig wegen der hohen Autorität der Kirche vor direkter Kritik. Die georgische orthodoxe Kirche, die sich seit Jahren durch Homophobie auszeichnet und für eine traditionelle Lebensweise steht, könnte damit zum größten Risiko für die Verbreitung des Virus werden.

Armenien: Importierte Fälle

Auch Armenien hatte den Notstand seit Mitte März ausgerufen und bereits zum 23. Februar die Grenze zum Iran geschlossen, dem Nachbarland, aus dem der erste identifizierte Fall von Corona eingereist ist. Die meisten Fälle im Südkaukasus sind durch Personen aus dem Iran oder Rückkehrer aus Italien eingeschleppt worden. Viele Menschen arbeiten in den Nachbarländern oder im europäischen Ausland.

Die armenische Regierung war anfänglich entspannter was das öffentliche Leben und die Öffnungszeiten von Läden betrifft, hat jedoch, als die Anzahl der Fälle schneller stieg, drastischer reagiert.

Neben der Schließung öffentlicher Einrichtungen und aller nicht lebensnotwendigen Läden, dem Verbot größerer Ansammlungen und Einreisebeschränkungen dürfen Armenier nur noch bestimmte Wege gehen und müssen einen Zettel bei sich tragen, auf dem alle wichtigen Angaben zur Person und ihrer Rückkehr in die Wohnung stehen.

Arbeitgeber müssen ihren Mitarbeitern/innen eine Bescheinigung geben, in der sie bestätigen, dass es notwendig ist, zur Arbeitsstelle zu gehen.

Einsatz der Armee

Im Gegensatz zu den beiden anderen Staaten der Region hatte Aserbaidschan bis Ende März keinen Notstand ausgerufen, sondern zum 20. März nur besondere Quarantänemaßnahmen erlassen. Darin ist es Menschen über 65 verboten, ihre Wohnung zu verlassen, Gruppen von mehr als 10 Personen dürfen im öffentlichen Raum nicht zusammenkommen.

Weiterhin gelten Einreisebeschränkungen innerhalb des Landes und insbesondere für die Hauptstadt Baku. Nur lebenswichtige Läden dürfen öffnen, Restaurants haben eine begrenzte Öffnungszeit. Die Armee wird eingesetzt, um diese Regeln durchzusetzen.

Autoritäre Tendenzen

In einer Ansprache an die Nation anlässlich der Ferien zum Nowruz-Neujahrsfest nutzte der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliew die Gelegenheit, um die Opposition direkt anzugreifen und damit zu drohen, dass ihre Rolle in der Corona-Krise ein hartes Vorgehen gegen diese notwendig machen könnte.

Die Opposition würde durch Provokationen versuchen, Unruhen und Panik im Land zu schüren. Aliew schob in autoritärer Manier die Schuld für die Krise auf die Opposition, der er vorwarf, eine „fünfte Kolonne“ zu sein. Falls es zur Ausrufung eines Notstands kommen sollte, so Aliew, könnte „die Isolation von Vertretern der fünften Kolonne zu einer historischen Notwendigkeit werden.“[3]  

Kritiker argumentieren, dass die Regierung in Baku die Grenze zum Iran zu spät geschlossen hatte und sich der Virus so ausbreiten konnte. Somit könnte die Corona-Krise in Aserbaidschan dazu dienen, die wenigen Lockerungen, die für die Opposition in den letzten beiden Jahren eingeführt worden sind, wieder zurück zu nehmen. Kurz nach der Rede des Präsidenten wurden Oppositionsvertreter von Sicherheitsorganen attackiert und teilweise verhaftet.

Kritik an digitaler Überwachung

In Armenien wurde nach kontroversen Diskussionen im Parlament ein Gesetz erlassen, das das Nachverfolgen von Handy- und damit Bewegungsdaten erlaubt, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Diese Reglung gilt zwar nur, solange der Notstand andauert und die Daten sollen dann vernichtet werden.

Jedoch gibt es viel Kritik an der Kommunikationspolitik der postrevolutionären Regierung, die auch im Kontext dieser Entscheidung diskutiert wird. Die Regierung hatte restriktiv auf die Verbreitung von Falschnachrichten zum Coronavirus reagiert, indem sie Journalisten/innen und Medien untersagte, bestimmte Nachrichten zu verbreiten.

Diese Maßnahme traf auch unabhängige, kritische Medien und Journalisten/innen, die unter anderem über die desolate Situation in Krankenhäusern berichten wollten.

Berg-Karabach: Wahlen und Kämpfe in der Corona-Krise

Problematisch erscheint auch, dass in Berg-Karabach, einer umstrittenen Region zwischen Armenien und Aserbaidschan, am 31. März -international nicht anerkannte- Parlaments- und Präsidentschaftswahlen durchgeführt wurden. Kritisiert wird, dass kein Wahlkampf geführt werden konnte wie in „normalen“ Zeiten – und zudem der Urnengang selbst das Risiko einer weiteren Ausbreitung des Virus deutlich erhöhte.

Im ersten Wahlgang verfehlte der ehemalige Premier Arayik Harutyunyan mit 49 Prozent knapp die absolute Mehrheit, der eher als ein Vertreter der korrupten alten Eliten gilt und nicht für einen politischen Wechsel steht. Indem sie diese Wahl zugelassen hat, hat die demokratisch gewählte armenische Regierung nicht zuletzt an Ansehen in den progressiven Kreisen des Landes verloren.

Am Wahltag kam es zudem zu Kampfhandlungen an der Kontaktlinie mit Aserbaidschan. In Armenien sind mehrere Soldaten erkrankt, was Befürchtungen aufkommen lässt, dass Aserbaidschan die Schwächung der armenischen Armee nutzten könnte, um das Land zu attackieren.

Sozioökonomische Konsequenzen

Alle drei Länder des Südkaukasus haben schwache Sozialsysteme. Viele Menschen arbeiten in prekären Jobs im Dienstleistungssektor, Tourismus und der Landwirtschaft. Es gibt hohe Dunkelziffern an Arbeitslosigkeit, da viele Menschen nicht gemeldet sind oder sich mit Subsistenzlandwirtschaft über Wasser halten.

Für Armenien und Georgien sind vor allem Tourismus und Landwirtschaft die wichtigsten Wirtschaftssektoren neben Bergbau. Viele Armenier arbeiten im Ausland, vor allem in Russland. Ihre Rücküberweisungen in das Heimatland sind eine wesentliche Stütze der armenischen Wirtschaft – diese Einnahmen brechen nun weg und fehlen den Familien wie auch der gesamten Volkswirtschaft.

Eine weitere Folge des lock-downs: Gewalt in der Familie -vor allem gegen Frauen- ist ein Dauerthema in allen drei Länder der Region, und nimmt in Zeiten der häuslichen Isolation weiter zu.

In Aserbaidschan ist die Wirtschaft vor allem von den Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft abhängig – das Land hat deshalb nun mit sinkenden Ölpreisen (aktuell unter 30 US-Dollar pro Barrel) im Preiskampf zwischen Saudi-Arabien und Russland zu kämpfen.

Prekäre soziale Lage

Inflation wird ein zunehmendes Problem für die Bevölkerungen der drei Länder, Stabilisierungspakete für die Währungen und Unterstützungen für Unternehmen verpuffen oder helfen letztlich wenigen Menschen. Selbst wenn es Sozialleistungen gibt, können viele sie nicht beanspruchen, da sie –von den Regierungen bisher toleriert- in informellen Sektoren gearbeitet haben.

Dabei trifft es neben älteren Menschen mit Renten unter dem Existenzminimum vor allem junge Menschen, die fast alle ihre Jobs im Dienstleistungssektor verloren haben. Viele Menschen haben sich in Georgien mit Krediten für den Bau von Ferienwohnungen verschuldet. Damit rächt sich, dass sich Georgien in seiner Wirtschaftsstruktur einseitig auf Tourismus und Dienstleistungen konzentriert hat.

Zugleich sind die Länder des Südkaukasus -wie alle postsowjetischen Länder- durch eine tiefe wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Krise nach dem Zerfall der Sowjetunion gegangen. Insofern verfügen die Gesellschaften über ein gewisses Maß an Resilienz und wissen zumindest, wie sie sich in einer akuten Krisensituation selbst versorgen und gegenseitig helfen können.

Dennoch werden die sozioökonomischen Folgen der Pandemie, die Entwicklungen der Länder in den nächsten Jahren lange und tiefgreifend prägen.