Warum Coronabonds wichtig sein könnten

Kommentar

Die Krise um das Corona-Virus hat die Europäische Wirtschaft stark getroffen. Damit alle Länder möglichst finanziell gesichert die Zeit überstehen und anschließend ihre Wirtschaft wieder ankurbeln können, wird über sogenannte Eurobonds diskutiert. Franziska Brantner, Europapolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, erklärt, warum diese Anleihen nötig und vor allem wichtig sein könnten.

Bild von Franziska Brantner auf einer Podiumsdiskussion

Die Corona-Pandemie trifft alle Länder der EU unverschuldet und hat überall enorme Konsequenzen. Der ökonomische Shutdown wird in vielen Ländern der Europäischen Union zu einer tiefen Rezession führen, die höchstwahrscheinlich schwerer wird als die Finanzkrise. Vielen Unternehmen drohen der Bankrott oder der Ausverkauf an China und anderen auf „Hilfstour“. Wirtschaftliche Depression mit Massenarbeitslosigkeit drohen in vielen Ländern. Das hat direkte Auswirkungen auf den gesamten Binnenmarkt und die Eurozone. Spätestens dann riskieren wir eine nächste Eurokrise.

Es ist also in unserem Interesse, dass in dieser Situation alle Mitgliedsstaaten alle Anstrengungen unternehmen können, um ihre Gesundheitssysteme zu finanzieren, ihre Gesellschaft und Wirtschaft zu stabilisieren und dann auch wieder anzukurbeln.

In dieser Krise werden sich alle europäischen Staaten verschulden, um ihre Bevölkerung und die Wirtschaft zu sichern. Auch die richtige gesundheitspolitische Bekämpfung des Virus hängt entscheidend von den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Mitgliedsstaaten ab. Die Ausnahmen vom Stabilitäts- und Wirtschaftspakt sind dafür zurecht aktiviert.

Doch eine entscheidende Frage ist jetzt, zu welchem Preis. Deutschland tut dies zu günstigeren Konditionen als Spanien oder Italien. In der Finanzkrise häuften viele europäische Staaten immense Schulden an, weil alle im Alleingang ihre Banken und Firmen sicherten. Mit Zinszuschlägen, die zusätzlich belasteten. Das führte zur Eurokrise und großen EU-Rettungsprogrammen, die die Rechnung für uns alle umso teurer machten.

Im schlimmsten Fall wird der Preis für andere so hoch, dass dadurch ihr Marktzugang gefährdet ist. Die Finanzmärkte spekulierten bereits gegen einzelne Mitgliedsstaaten, die Spreads stiegen. Als Italien für kurze Zeit keinen Zugang mehr zum Finanzmarkt hatte, intervenierte die Europäische Zentralbank (EZB) noch nachts mit ihrem 750 Milliarden schweren Pandemic Emergency Purchase Programm (PEPP). Das ist richtig und wichtig, denn nur ein gemeinsamer europäischer Schutzschirm kann eine tiefe Spaltung und einen Bruch der Euro-Zone verhindern. Doch ist es kein Allheilmittel. Denn die Frage ist einerseits, inwieweit die EZB dies auf Dauer machen kann, welches Ausstiegsszenario es gäbe, aber auch, ob dies noch der eigentlichen Rolle von Geldpolitik entspricht. Am 5. Mai 2020 steht auch das Urteil aus Karlsruhe an mit Blick auf die Politik der EZB während der Finanzkrise. Auch wenn potentielle Kläger gegen das PEPP neu klagen müssten, würde ein negatives Urteil aus Karlsruhe doch massiv die Glaubwürdigkeit des PEPP schwächen, falls sich zum Beispiel die Bundesbank daraus verabschieden müsste.

Als zusätzliches Instrument stehen hierfür vorsorgliche Kreditlinien des ESM zur Verfügung, die dann auch ein zusätzliches Aufkaufprogramm von Staatsanleihen, Outright Monetary Transactions (OMT) der EZB ermöglichen. Die vorsorgliche Kreditlinie sollte an keine Austeritätsvorschriften gebunden sein. Die Corona-Krise ist ein externer Schock, der alle Mitgliedsstaaten der EU trifft, unabhängig von deren Wirtschafts- und Haushaltspolitik in den letzten Jahren, daher ist eine harte Konditionalität fehl am Platze. Aufgrund der negativen Signalwirkungen sollte keine Kreditlinie nur für einzelne Länder eingerichtet werden, sondern für alle. Die Firepower des ESM reicht aber nicht für mehrere große Euroländer gleichzeitig. Außerdem wird der ESM sicherlich noch in der Nachfolge der Krise gebraucht, falls einzelne Länder unter den Druck der Märkte geraten. Außerdem haben die vorsorglichen Kreditlinien nur eine Laufzeit von maximal 1 Jahr mit zweimaliger Möglichkeit zur Verlängerung um 6 Monate. 

Zweitens geht es um die Frage, um wieviel sich die Mitgliedsstaaten verschulden können, ohne eine Überschuldung zu riskieren. Denn einzelne Länder sind in diese Krise mit höheren Schuldenständen geraten als andere, wie Italien, Portugal, Griechenland oder Belgien. Ihnen droht folgendes Szenario: entweder sie investieren zu wenig für Soforthilfen für die Wirtschaft, das Gesundheitssystem, ihre Gesellschaften und erst recht nicht die danach notwendigen Konjunkturspritzen, oder sie gehen eben in die Überschuldung. Im ersten Fall würde dies die EU spalten in jene Länder, die sich eine angemessene Corona-Rettung leisten können und jene, die es nicht können. Das hätte hohe menschliche und politische Kosten, aber auch massive Rückwirkungen auf die Möglichkeit, die deutsche Wirtschaft wieder anzukurbeln. Dies wird mit einem halbtoten Binnenmarkt sicher nicht gelingen.

Außerdem bestünde das Risiko, dass dann andere Akteure in die Bresche springen, zum Beispiel chinesische Investoren. Nachdem wir in der Finanzkrise essentielle Infrastruktur in Griechenland und Portugal an chinesische Investoren verloren haben, wären wir mit Dummheit geschlagen, wenn wir die Übernahme eigentlich gesunden KMUs aus Italien, Spanien oder anderen EU Ländern durch China einfach mitansehen würden. Die geopolitischen Machtverschiebungen durch die Corona-Krise wären dann enorm. Die Bedrohungen die von China und später von Putin /Trump lauern, werden hart für uns sein, sollte die EU nicht mehr wirklich existieren.

Im zweiten Fall droht eine neue Euro-Krise, deren Konsequenzen unabsehbar sind, aber sicher jene der Finanzkrise 2008 übertreffen.

Keines der beiden Szenarien ist im deutschen, im europäischen Interesse. Deswegen helfen Kredite durch die Europäische Investitionsbank,  durch den ESM, für Kurzarbeitergeld eben nur begrenzt, da sie den nationalen Schuldenständen, zwar zu günstigeren Konditionen, aber eben doch erhöhen.

Deshalb braucht es ein gemeinsames Schultern der Corona-Kosten, hier geht es um eine einmalige Lastenteilung. Der beste Weg dahin sind gemeinsame einmalige Anleihen in der Krise. Das unterscheidet solche Anleihen von generellen Eurobonds. Es geht darum, dass sich die EU an sich frisches Geld leiht, dieses gegen die Corona-Pandemie und ihre Konsequenzen investiert und danach auch zurückzahlt.

Eine noch zu bestimmende Corona-Institution könnte eine Anleihe mit einem bestimmten Volumen z.B. 1.000 Milliarden Euro mit einer Garantie aller teilnehmenden Staaten herausgegeben. Gemeinsam würde definiert, wofür die Gelder ausgegeben werden und gemeinsame Richtlinien festgelegt.  Diese Anleihen wären sehr langlaufend, sodass eine Rückzahlung erst spät erfolgen muss, anteilig an dem Bruttosozialprodukt zum Zeitpunkt der Rückzahlung oder aber (ergänzt) durch EU-Steuern. 

Als weiterer Vorteil würde durch die Corona-Bonds ein europäisches Safe Asset generiert. Dies würde den Finanzmärkten helfen und die strategische Souveränität der Eurozone stärken. Begrenzt man zum Beispiel eng auf die medizinischen Maßnahmen, so wird das Volumen sehr klein sein. Beinhaltet der Begriff alle wirtschaftlichen Stützungsmaßnahmen, so ist mit einem hohen Volumen zu rechnen. Es Kristalle sich gerade heraus, und das wäre sicher sinnvoll, dass der Fokus auf der Wiederankurbelung der Wirtschaft und der Stärkung der Gesundheitssysteme liegen soll.

Als rechtliche Grundlage kann Art. 122 AEUV herangezogen werden:

"(1) Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission unbeschadet der sonstigen in den Verträgen vorgesehenen Verfahren im Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten über die der Wirtschaftslage angemessenen Maßnahmen beschließen, insbesondere falls gravierende Schwierigkeiten in der Versorgung mit bestimmten Waren, vor allem im Energiebereich, auftreten.

(2) Ist ein Mitgliedstaat aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht, so kann der Rat auf Vorschlag der Kommission beschließen, dem betreffenden Mitgliedstaat unter bestimmten Bedingungen einen finanziellen Beistand der Union zu gewähren.“

Das bail-out Verbot des Art. 125 AEUV stünde hier nicht entgegen. Denn ein finanzieller Beistand für einen oder mehrere Mitgliedstaaten in Form von Corona-Bonds in der Ausnahmesituation einer weltweiten Pandemie, hat nichts mit einer Verweigerung einer soliden Haushaltspolitik zu tun. In der Ölkrise gab es schon mal eine gemeinsame europäische Anleihe – aber dies war vor den Zeiten des Euro. Zur Finanzierung einzelner Programme begibt die EU bereits eigene Anleihen.

Die Bundesregierung muss jetzt aktiv und schnell an einem finanziellen Schutzschirm für den gesamten Euroraum und einer Lastenverteilung auf die gemeinsamen Schultern aller Mitgliedsstaaten mitarbeiten. Eine Verweigerung von gemeinsamen Anleihen aus ideologischen Gründen ist in dieser dramatischen Krisenlage nicht verantwortlich.

In einer Krise, in der alle stecken und die keiner davon verursacht hat, stehen wir zusammen ein. Das wollen wir; wenn die ganze Strasse brennt, sage ich auch nicht jedem, er solle sein eigenes Haus löschen.

Es darf nicht schon wieder zu einem „too little, too late“ aufgrund von Deutschland in Europa kommen. Die Folgen wären sonst immens, auch für die deutsche Wirtschaft. Es ist in unserem ureigenen Interesse, europäisch zu handeln. Zum Besten für alle.

Argumente gegen die Aufnahme von Eurobonds hat Rainer Emschermann im Beitrag "Echte Hilfe statt Solidarität auf Pump" aufgeführt.