Zum EU-Maßnahmenpaket und der Notwendigkeit von Coronabonds

Interview

Die Corona-Krise trifft in der EU bislang vor allem die Länder am härtesten, die bereits von der Finanzkrise besonders stark betroffen waren. Italien, Spanien und auch Frankreich aber auch Luxemburg und Irland fordern deshalb die Einführung von "Coronabonds". Mit der Verabschiedung des EU-Maßnahmenpakets der EU-Finanzminister/innen in der letzten Woche ist die Debatte zunächst vertagt, vom Tisch ist sie aber nicht. Wir haben bei Sven Giegold nachgefragt, was er von diesem Paket hält und warum Coronabonds bzw. ein „Corona-Fonds“ jetzt das Mittel der Wahl wären.

Porträt Sven Giegold

Claudia Rothe: Die EU-Finanzminister/innen haben ein Hilfspaket für Soforthilfen und Krediten in Höhe von bis zu 500 Milliarden Euro beschlossen. Reichen die Maßnahmen aus, um die am meisten von der Corona-Pandemie betroffenen Länder zumindest vorerst zu unterstützen und um die zu erwartenden negativen Effekte auf den Euro und den europäischen Binnenmarkt abzumildern? Was können die Maßnahmen bewirken und wo liegen ihre Grenzen?

Sven Giegold: Die Maßnahmen bewirken erstmal fast nichts, denn die wirklichen Refinanzierungsprobleme der EU-Mitgliedstaaten, die am härtesten von der Krise betroffen sind, werden dadurch ja gar nicht berührt. Die Arbeit war längst getan, nämlich durch die Europäische Zentralbank. Die EZB hat das getan, was wirklich hilft.

Sie hat klar gesagt, sie kauft Anleihen und hält dadurch die Spreads in Grenzen und die EU-Finanzminister konnten sich dann mit einem weitgehend wirkungslosen Paket feiern, für eine Einigung, die aber eigentlich wenig hilft. Führende französische Ökonomen haben den Zinsvorteil, den dieses Paket bringt bereits berechnet.

Bei Italien sind wir hier jährlich bei unter 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die eigentliche Problematik bleibt weiter ungelöst: Wenn die Wirtschaftsleistung in Italien sinkt und gleichzeitig die Steuereinnahmen fallen und die Staatsausgaben aber steigen, dann wird die Schuldenquote massiv hochgehen.

Dies wird die wirtschaftliche Entwicklung genau der Staaten erschweren, denen es ohnehin nicht gut geht. Gestärkter antieuropäischer Populismus wird die Folge sein. Deswegen reicht es hier eben nicht aus, Kredite zur Verfügung zu stellen, sondern wir brauchen echte Hilfen. Anders wird der Euro nicht zusammenbleiben. Das weiß eigentlich auch jeder, deswegen ist nach der Einigung in der Eurogruppe, vor der Verhandlung über den Wiederaufbau.

Das Kernproblem der Eurozone ist weiterhin, dass Deutschland unter seinen Verhältnissen lebt und andere Länder lange über ihre Verhältnisse gelebt haben und deshalb auf hohen Schulden sitzen.

Du sprichst von „echten Hilfen“. Wie sehen für Dich diese echten Hilfen aus? Was müsste jetzt passieren?

So wie die deutschen Ökonomen das sehr gut skizziert haben. Es wird ein Fonds aufgesetzt, mit dem wir die Corona-Pandemie als eine europäische Gemeinschaftsaufgabe ansehen, für die niemand etwas kann und an der niemand Schuld ist. In diesem Fonds sollten wir die direkten Gesundheitskosten sowie auch die wirtschaftlichen Folgekosten der Pandemie gemeinschaftlich finanzieren und gemeinschaftlich nach der wirtschaftlichen Stärke des jeweiligen Landes zurückzahlen.

Ein solcher mit Coronabonds finanzierter „Corona-Fonds“ würde das Problem der Überschuldung der Mitgliedstaaten tatsächlich abmildern. Ein solcher Corona-Fonds würde Europa auch politisch stärken, statt Fliehkräft zu befördern. Die Zinsvorteile komplett mit direkten Transfers zu ersetzen, wie es z.B. die Niederlande ins Gespräch gebracht haben, ist ein Wolkenkuckucksheim. Es gibt keine Legitimation für so hohe Transferzahlungen, damit sie den Effekt von Gemeinschaftsanleihen aufwiegen könnten.

Wir brauchen solidarische Maßnahmen, um die Vertiefung der Spaltung der Eurozone aufzuhalten und Lasten gerecht zu teilen.

Was sagst du aber zu den Kritiker/innen der Coronabonds, die meinen mit diesen Bonds sind auch große Risiken verbunden, da sie u.a. vermuten, dass die Kredite vielleicht nicht zurückgezahlt werden.

Naja, wenn man Gemeinschaftsaufgaben trägt sind damit natürlich auch Risiken verbunden. Allerdings begrenzt der Vorschlag der Coronabonds diese Risiken und macht das ganze planbar. Darüber hinaus bleibt es dabei: Eurobonds wären auch für die Altschulden wichtig. Doch das geht nur, wenn wir auch eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik bekommen, die auch gemeinsame Kontrolle herstellt.

Die Spannungen der Eurozone sind nach der Eurokrise nicht gelöst worden. Das bedeutet, wir haben eine sehr ungleiche wirtschaftliche Stabilität in Teilen der Eurozone bei gemeinsamer Währung. Das ist eine sehr schwierige Ausgangssituation.

Das Kernproblem der Eurozone ist weiterhin, dass Deutschland unter seinen Verhältnissen lebt und andere Länder lange über ihre Verhältnisse gelebt haben und deshalb auf hohen Schulden sitzen. Jetzt trifft die nächste Krise auf die gemeinschaftliche Währung. Jetzt können wir es klüger machen: Eine gemeinsame Wirtschafts-und Finanzpolitik mit der Einführung von Gemeinschaftsanleihen verbinden! Dann wären wir wirklich einen großen Schritt weiter.

Die Gegner/innen von Eurobonds haben nach der Eurokrise verhindert, dass der kluge Vorschlag des Sachverständigenrats umgesetzt wurde, nämlich die Einführung des Schuldentilgungsfonds. Dieser Fonds hätte uns ein wirksames Mittel in die Hand gegeben: wir geben etwas, hier also die Zinsvorteile aus der gemeinschaftlichen Haftung und auf der anderen Seite bekommen wir etwas, und zwar politische Kontrolle. Die Nein-Sager haben damals erreicht, dass wir diese politische Kontrolle nicht bekommen haben und das wird teuer werden.

Nur ein geeintes Europa kann uns weltweit eine wirkungsvolle Stimme geben und bietet einen großen Heimatmarkt für unsere Industrie.

Ich würde gern noch eine Frage zu dem am Donnerstag beschlossenen Maßnahmenpaket stellen. Wie stehst du zu der Aussage Italiens, auch die nun durch den ESM bereitgestellten Gelder von ca. 39 Milliarden Euro nicht annehmen zu wollen? Können Sie damit vielleicht mehr Druck aufbauen, für Coronabonds? Ist das intelligentes politisches Kalkül?

Italiens Ablehnung von ESM-Krediten mag Stirnrunzeln verursachen, ist aber nachvollziehbar. Italien hätte durch die ESM-Kredite kaum Vorteile, würde aber eine langfristige Stigmatisierung durch die Finanzmärkte riskieren. Nicht zu unrecht wird der ESM in Italien mit harten Sparzwängen in Verbindung gebracht. Italien würde durch die ESM-Kreditlinie nur marginale Zinsersparnisse erreichen.

Nun zeigt sich der Mangel an europäischer Solidarität in der Konstruktion der Beschlüsse der Eurogruppe. Italien wird zwar Geld angeboten, kann dadurch aber eine erhebliche Neuverschuldung nicht vermeiden. Weil die Staatsschulden jetzt steigen, könnten langfristig auch diesmal harte Sparauflagen aus den ESM-Krediten resultieren.

Wenn die Regeln des europäischen Stabilitätspakts wieder greifen, wird Italien in der Krise zum Sparen gezwungen. Die bisherigen Maßnahmen der Euroländer reichen nicht, um die Spaltung der Eurozone aufzuhalten. Wir brauchen solidarische Maßnahmen, um die Vertiefung der Spaltung der Eurozone aufzuhalten und Lasten gerecht zu teilen. Europa steht noch immer vor einer großen Solidaritätsprobe.

Von wirklicher europäischer Solidarität kann bisher nicht die Rede sein. Die Staats- und Regierung müssen schleunigst eine konstruktive Debatte über Corona-Bonds beginnen. Das Nein zu den ESM-Geld hält die Debatte am Laufen. Das kann Italien sich auch leisten, weil ja die EZB zumindest vorläufig den Kapitalmarktzugang Italiens absichert.

Was wäre für die vom Corona-Virus so stark mitgenommen Volkswirtschaften ohne gemeinsame konzertierte Maßnahmen zu erwarten und welche Auswirkungen hätte das für Deutschland; für die deutsche Wirtschaft aber auch politisch?

Wenn wir Italien und potentiell weitere Staaten in die Überschuldung laufen lassen, wird die Stabilität der europäischen Einigung gefährdet. Damit sägen wir politisch und ökonomisch an dem Ast auf dem wir sitzen. Nur ein geeintes Europa kann uns weltweit eine wirkungsvolle Stimme geben und bietet einen großen Heimatmarkt für unsere Industrie. Um das zu stärken und zu erhalten, muss sich auch Deutschland ehrlich machen: Vereinigung bedeutet auch finanziell für einander einzustehen.  


Das Interview führte Claudia Rothe.