Zu viel, zu groß, zu eng - Fleischproduktion und globale Gesundheit

Kommentar

60 Prozent aller beim Menschen existierenden Infektionskrankheiten werden von Tieren auf Menschen übertragen. Durch intensive Landwirtschaft, Massentierhaltung und den massiven Einsatz von Antibiotika wird sich dieser Anteil noch erhöhen - wenn wir nicht eine andere Agrarpolitik forcieren und den Fleischkonsum in Industriestaaten reduzieren.

Braune und weiße Hühner dicht gedrängt

Seit Wochen bestimmt das Corona-Virus unseren Alltag. Ein Flächenbrand - der zwar von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) immer wieder angekündigt und vom Robert-Koch-Institut schon 2012 durchgespielt wurde – der aber dennoch für kaum jemanden von uns wirklich vorstellbar war. Erst jetzt werden die Warnungen und Empfehlungen von Virologinnen und Virologen ernst genommen. Regierungen lassen sich von der Wissenschaft beraten und Empfehlungen werden in kürzester Zeit in reale politische Maßnahmen umgesetzt.

Woher das Virus kommt spielt in der öffentlichen Debatte eine große Rolle. Auch wenn der Ursprung von Covid -19 vermutlich auf dem Wildtiermarkt in Wuhan (China) auf dem Menschen übergesprungen ist, so greift ein Fokus auf den Konsum von Wildtieren zu kurz, um den komplexen Zusammenhang von Fleischkonsum und menschlicher Gesundheit zu verstehen.

Drei Aspekte müssen aus unserer Sicht näher betrachtet werden:

Intensive Landwirtschaft zerstört Lebensräume von Wildtieren

Der erste und noch recht junge Debattenstrang ist die Zerstörung von Biodiversität und Lebensräumen und die damit zusammenhängende stärkere Übertragung von Vieren von Tieren auf den Menschen. Die internationale Organisation für Tiergesundheit (OIE) schätzt, dass 60 Prozent aller beim Menschen existierenden Infektionskrankheiten Zoonosen sind – also Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden. Laut einem Nature Artikel von 2019 wird sich dieser Anteil mit steigender Weltbevölkerung und veränderten Konsummustern noch mehr erhöhen – wenn nicht politisch umgesteuert wird .

Ein Grund, den der Artikel dafür nennt ist, dass immer mehr Flächen für die intensive landwirtschaftliche Produktion genutzt wird und so die Lebensräume von Wildtieren zerstört werden, während die Menschen gleichzeitig diese Flächen deutlich intensiver durch Plantagen oder Tierhaltung nutzen. Inzwischen sind 75 Prozent der Landoberfläche der Erde durch menschliche Aktivitäten beeinflusst. Die Landwirtschaft ist der wichtigste Grund für Rodungen und andere Landnutzungsänderungen. Landwirtschaftliche Nutzflächen – also Äcker, Weiden oder Wiesen - bedecken mehr als ein Drittel der Landfläche der Erde. Und auch dieser Anteil wächst rasant.

All diese menschlichen Aktivitäten bedeuten, dass wir in natürliche Ökosysteme eingreifen und den Lebensraum von Wildtieren verkleinern und Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen. Auch wenn Menschen seit Jahrtausenden in engem Austausch mit der Natur und im Einklang mit der Natur gelebt haben so zeigen wissenschaftliche Studien, dass der Dreiklang aus der Verkleinerung der Lebensräume der Wildtiere, einer erhöhten menschlichen Präsenz sowie einer erhöhten Zahl an Nutztieren die Möglichkeiten für die Übertragung von Infektionskrankheiten von Tieren auf Menschen erhöht. Eine im Wissenschaftsmagazin nature sustainability veröffentlichte Recherche ergab, dass landwirtschaftliche Faktoren mit mehr als 25 Prozent aller Infektionskrankheiten und mehr als 50 Prozent aller zoonotischen Infektionskrankheiten beim Menschen in Verbindung gebracht werden können. Diese Anteile werden zunehmen, wenn die intensive Landwirtschaft weiter expandiert und monotone Landschaften und intensive Tierhaltung das Bild zukünftiger Agrarsysteme prägen.

Die Tierhaltung ist im besonderen Maß für die Ausweitung der landwirtschaftlichen Flächen verantwortlich. Für kein anderes Konsumgut der Welt wird so viel Land benötigt wie für die Herstellung von Futtermitteln zur Fleisch- und Milchproduktion. Obwohl nur 17 Prozent des Kalorienbedarfs der Menschheit von tierischen Lebensmitteln stammt, benötigen sie 77 Prozent des globalen Agrarlands. Soja ist der wichtigste Proteinlieferant der intensiven Tierhaltung und wächst inzwischen auf mehr als 123 Millionen Hektar weltweit – eine Fläche 3,5-mal so groß wie Deutschland. Jahr für Jahr werden in artenreichen Ländern wie Brasilien und Argentinien neue Flächen für die Sojaproduktion gerodet.

Nutztierhaltung ermöglicht Entstehung von Viren

Der zweite wichtige Aspekt ist die Nutztierhaltung selbst, die das Risiko erhöht, dass Infektionskrankheiten von Tieren auf Menschen übertragen werden. Während sich die Weltbevölkerung in den vergangenen 50 Jahren verdoppelt hat, hat sich die globale Fleischproduktion mehr als verdreifacht. Heute werden weltweit etwa 300 Millionen Tonnen Fleisch verbraucht. In Tierzahlen heißt das, dass im Jahr 2017 laut der UN Landwirtschaftsorganisation (FAO) etwa 1,5 Mrd. Rinder, eine Milliarde Schweine, 23 Milliarden Tiere unterschiedlicher Geflügelarten und 2 Milliarden Schafen und Ziegen auf der Welt gehalten wurden. Vielfach in Gruppen von vielen zehntausend Tieren auf engem Raum.

Die WHO und die FAO warnen schon seit Jahren vor Pandemien im Zusammenhang mit industrieller Tierhaltung. Die der UN zuarbeitende wissenschaftliche Arbeitsgruppe zu Vogelgrippe und Wildvögeln ist überzeugt, dass die hoch-krankheitserregenden Vogelgrippe-Viren nicht nur durch Wild- und Zugvögel übertragen werden, sondern auch in Geflügelbetrieben entstehen, von dort in die Natur gelangen und auf Wildvögel übertragen werden. In einer 2016 veröffentlichten Stellungnahme heißt es:

„Es sind weder Mechanismen noch Arten bekannt, die es ermöglichen würden, H5N8 HPAI über lange Vogelzugstrecken zu transportieren, ohne gleichzeitig zum Tod der Virenträger zu führen.” Dagegen bleibe „das Risiko der Virus-Weitergabe durch Geflügelproduktion und -Handel hoch”.

Wie gefährlich die Vogelgrippe für den Menschen ist hängt einerseits vom Erreger ab und andererseits davon, wie eng der Kontakt des erkrankten Menschen zu krankem oder verendetem Geflügel war. Am hochpathogenen Erreger H5N1 erkrankten laut Weltgesundheitsorganisation seit 2003 weltweit rund 850 Menschen, etwa 450 starben. Unter Beobachtung ist auch der Erreger H7N9. Als niedrigpathogene Variante bleibt er im Geflügel lange unauffällig, kann aber beim Menschen zu Erkrankungen und Todesfällen führen. Seit 2013 wurden weltweit knapp 800 erkrankte Menschen registriert, mehr als 300 starben an H7N9. Für andere bekannte Vogelgrippeerreger sind bislang keine Todesfälle von Menschen registriert.  

Schon 2007 schrieb die FAO, dass es unerlässlich sei, die formellen und informellen Netzwerke des Austauschs zu verstehen, um Strategien zu entwickeln, um das Auftreten neuartiger Zoonosen zu vorauszusehen und zu verhindern.

Zu viel Antibiotika in der Tierproduktion führt zu resistenten Keimen

Der dritte Aspekt ist nicht unmittelbar mit Vieren, sondern mit der Behandlung von Bakterien verbunden. Seit Jahren warnen die WHO und die FAO nicht nur vor Viren, sondern auch vor der Gefahr, dass Bakterien gegen die heute verfügbaren Antibiotika Resistenzen bilden und die Medikamente damit wirkungslos werden. Jährlich werden weltweit etwa 131.000 Tonnen Antibiotika bei Tieren eingesetzt, die als Speisen auf den Tisch kommen – etwa doppelt so viel wie bei den Menschen selbst. Diese Menge wird sich bei fortschreitendem Trend bis zum Jahr 2030 um 53 Prozent erhöhen. Rund zwei Drittel der global steigenden Mengen an Antibiotika gehen auf das schiere Wachstum der Fleisch- und Milchproduktion und rund ein Drittel auf die zunehmende Industrialisierung der Haltungssysteme zurück.

Fachleute schätzen, dass 2050 über zehn Millionen Menschen jährlich sterben, weil Antibiotika bei ihnen nicht mehr wirken. Neben einem zu laxen Umgang in der Humanmedizin, so die Weltgesundheitsorganisation (WHO), gehöre der massive Einsatz von Antibiotika in der Tierproduktion zu den wichtigsten Gründen. So steigt die Gefahr, dass Keime Resistenzen gegen die Medikamente entwickeln, die damit ihre Wirksamkeit verlieren. Im Angebot deutscher Supermärkte fanden sich bei staatlichen Untersuchungen auf 66 Prozent der Hähnchenfleisch- und auf 42,5 Prozent der Putenfleischproben resistente Keime.

Wir brauchen eine andere Agrarpolitik

Doch auch diese Warnungen von Wissenschaft und Forschung werden seit Jahren von der Politik weitestgehend ignoriert. Obgleich sich niemand auch nur in seiner Fantasie vorstellen möchte, wie eine Welt aussieht, in der ein aufgeschürftes Knie bei Entzündung wieder lebensgefährlich sein könnte, weil die Antibiotika nicht mehr wirken. Auch die Ausbreitung von Covid -19 konnten wir uns alle nicht vorstellen. Inzwischen – nach vielen zehntausend Toten, viel Leid und wirtschaftlichem Schaden – sollten wir wissen wie wichtig es ist, solche Warnungen nicht einfach in den Wind zu schlagen.

Jetzt – in der akuten Corona-Krise – sichern die Regierungen zu Recht die unmittelbaren und dringenden Bedürfnisse ihrer Bürgerinnen und Bürger ab. Da sich die Pandemie jedoch weiterentwickelt und wir nun auch wieder mehr eine Zukunft mit und nach der Pandemie gestalten müssen, ist der Schutz der Biodiversität – auch wenn es sehr allgemein klingt – ein sehr konkreter Schritt, den wir unternehmen können, um das Risiko künftiger Pandemien zu verringern.

Dafür muss ein mutiger und umfassender sozial-ökologischer Umbau unserer Landwirtschaft und unseres Ernährungssystems stattfinden. Wir brauchen weltweit eine Änderung der Agrarpolitik, die agrarökologische, kurze, vielfältige und damit resiliente Wertschöpfungsketten stärkt. Die Vermeidung von Landnutzungsänderungen und Rodungen für neue Ackerflächen muss genauso hohe Priorität haben wie der Schutz von Klima-und Biodiversität.

Unsere Ernährung spielt eine zentrale Rolle: Die Reduktion des Fleischkonsums in Industrieländern um 50 Prozent ist einer der zentralen Bausteine dafür, dass wir den Druck auf die zunehmend knappen globalen Landreserven verringern. Die Politik weiß eigentlich was zu tun ist: Wissenschaftliche Erkenntnisse über wirkungsvolle Maßnahmen liegen seit Jahren vor – doch leider werden auch sie von der Politik schon viel zu lange ignoriert.