Neuartige Quantentechnologien versprechen exponentiell schnellere Rechner und ultrasichere Verschlüsselung. Der globale Wettbewerb zum Bau dieser neuen Systeme hat einen sicherheitspolitischen Wettlauf in Gang gesetzt, in dem keine der großen Industrienationen das Nachsehen haben möchte: denn Quantencomputer versprechen einen ultimativen strategisch-militärischen Vorteil.
Gerade im Anfangsstadium ihrer Entwicklung durchlaufen neue Technologien oft einen Hype-Zyklus, der zu wilden Spekulationen über Anwendungsbereiche sowie zukünftige gesellschaftliche und sicherheitspolitische Herausforderungen führt.
Die Künstliche Intelligenz (KI) ist hier sicherlich eines der besten Beispiele der letzten Jahre. Während dringende ethische und rechtliche Fragen von KI-Anwendungen oft noch völlig ungeklärt sind, wie Noel Sharkey in seinem Beitrag für die hbs zeigt, macht die technologische Entwicklung jenseits des Maschinellen Lernens weiter große Fortschritte: Mit Quantencomputern und Quantenkommunikationsnetzwerken wird ein neues Computerzeitalter eingeläutet, das „klassischen“ digitalen Rechnern in vielen Bereichen deutlich überlegen sein wird.
Quanteninformationstechnologien sind daher derzeit ein heißes Thema. Tatsächlich vergeht kaum eine Woche, in der nicht eines der großen Unternehmen, die am Bau dieser neuen Systeme beteiligt sind, einen neuen Durchbruch vermeldet.
So machte Google im Oktober 2019 mit der Meldung Schlagzeilen, man habe mit dem neuen Sycamore-Prozessor Quantenüberlegenheit bewiesen, also erstmals ein komplexes Problem mit einem Quantencomputer deutlich schneller lösen können als mit dem leistungsstärksten Digitalcomputer. In einem Fachartikel berichten die Google-Forscher, wie sie mit ihrem 53-Qubit-starken Rechner ein mathematisches Problem in nur 200 Sekunden gelöst hätten, für das der digitale Supercomputer Summit vom Konkurrenten IBM 10.000 Jahre brauchen würde.
IBM zweifelt dies zwar an, räumt aber ein, dass Google immense Fortschritte gemacht hat. IBM selbst hat mit dem Q System One im Januar 2019 den ersten „kommerziellen“ Quantencomputer vorgestellt.
Eine radikal andere Computerarchitektur
Was aber macht einen Quantencomputer so unglaublich schnell? Der Hauptgrund ist seine vollkommen neue Funktionsweise. Das Grundprinzip eines Quantenrechners unterscheidet sich dabei radikal vom Binärsystem herkömmlicher Rechner.
In digitalen Computern, wie sie heute in fast jedem Haushalt zum Einsatz kommen, befinden sich Abermillionen kleinster Schaltkreise, an denen jeweils eine Spannung angesetzt und die zu komplexen Ketten zusammengeschaltet werden können. Jeder dieser Schaltkreise befindet sich zu jedem Zeitpunkt in genau einem von zwei Zuständen: entweder es liegt Spannung an, was üblicherweise mit der Zahl Eins dargestellt wird, oder eben keine, symbolisiert durch eine Null.
So lassen sich durch das Prinzip „Strom an/aus“ lange Binärketten aus Einsen und Nullen bilden, die komplexere Informationen wie Worte oder Pixel kodieren. Jedes Bit, die Basiseinheit eines Digitalcomputers, hat dabei also den binären Wert Null oder Eins. Wichtig ist, dass die Rechnerleistung eines Digitalcomputers linear wächst mit der Zahl der Schaltkreise, die in ihm verbaut sind.
Ein Quantencomputer ist allerdings nicht binär (Abb. 1 und 2). Statt eines Bits ist die Basiseinheit ein sogenanntes Qubit. Dies kann entweder ein Photon, ein Elektron oder ein Atom sein. Der Quantencomputer macht sich nun Quantenphänomene zunutze, die nicht unbedingt intuitiv einleuchtend sind.
So kann im Gegensatz zu einem Bit ein Qubit nämlich in mehr als einem Zustand gleichzeitig auftreten – in der Bit-Analogie würde dies beispielsweise bedeuten, gleichzeitig Null und Eins zu sein. Darüber hinaus lassen sich mehrere Qubits auf komplexe Weise so miteinander koppeln, dass die daraus resultierende Rechnerleistung nicht linear, sondern exponentiell anwächst.
So lassen sich mit einem Qubit zwei Operationen gleichzeitig ausführen, mit zwei Qubits schon vier, mit dreien acht und so weiter: prinzipiell lassen sich dann bspw. mit den 53 Qubits des Sycamore-Prozessors 253 Rechneroperationen gleichzeitig erledigen, und das ist eine ganze Menge. Theoretisch könnte ein Quantencomputer mit „nur“ 300 logischen Qubits also 2300 Operationen gleichzeitig ausführen – eine unvorstellbare Zahl: Experten schätzen, dass 2300 ungefähr der Anzahl aller Teilchen im Universum insgesamt entspricht.
So eine Maschine wird wohl nie gebaut werden, da mit der Anzahl der miteinander verbundenen Qubits auch die Fehlerrate so stark ansteigt, dass sich nicht mehr verlässlich rechnen lässt. Aber das Beispiel verdeutlicht doch, welche gewaltige Leistung hinter den Quantenrechnern der Zukunft stecken wird und warum sich multinationale Unternehmen und Regierungen derzeit global ein Wettrennen liefern, der Welt einen funktionsfähigen Quantencomputer vorzustellen.
Nach weitläufiger Meinung werden diese in den kommenden 10 Jahren schrittweise Marktreife erlangen. Wichtig ist zu sagen, dass ein Quantencomputer nicht in jeder Anwendung schneller sein wird. Die enormen Kosten der ersten Generation dieser Maschinen werden sie auch für den Privatgebrauch ungeeignet machen.
Erste Anwendungen, die für private Haushalte interessant sind, werden sich eher über Cloud-Anwendungen realisieren, bspw. über schnellere Datenverarbeitung oder ultrasichere Speicherung.
Wichtiger ist jedoch, dass die radikal neuartige Architektur eines Quantencomputers die Anwendung von Algorithmen erlaubt, die auf Digitalcomputern schlichtweg nicht funktionieren würden. Und hier wird es nun sicherheitspolitisch spannend. Denn Quantencomputer sind besonders gut darin, genau diejenigen Verschlüsselungssysteme zu knacken, mit denen ein Großteil der digitalen Kommunikation gesichert wird.
Herkömmlichen Digitalcomputern fällt es unglaublich schwer, aus dem Produkt zweier großer Primzahlen diese Primzahlen quasi „rückwärts“ zu ermitteln. Diese Schwerfälligkeit wird in vielen gängigen Verschlüsselungsverfahren genutzt, um Schlüsselpaare zu generieren, mit denen sich bspw. Bankgeschäfte sicher online durchführen lassen oder Kommunikation abhörsicher übertragen lässt.
Für den Quantencomputer allerdings sind diese langkettigen Schlüsselpaare kein Problem. Wo herkömmliche Computer mehrere Milliarden Jahre brauchen würden, um eine 2048-Bit-Verschlüsselung zu knacken, würde ein Quantencomputer theoretisch nur wenige Stunden benötigen.
Quantenkommunikation: absolut abhörsicher?
Dies ist weniger Zukunftsmusik als viele glauben. Mag die Entwicklung dieser neuen Rechner noch viele Jahre dauern, so sind Geheimdienste, Sicherheitskreise und Regierungen doch alarmiert.
In vielen Fällen müssen geheime Informationen und sensible Daten mehrere Jahrzehnte lang sicher aufbewahrt werden – und hier wird der Quantencomputer spätestens in 10 Jahren zu einem ernsten Problem. Denn spätestens dann spitzt sich die Frage zu, wie sich Informationssysteme sichern lassen, wenn nicht-befreundeten Staaten erstmals ein leistungsstarker Quantencomputer zur Verfügung steht.
Hier kommen nun Quantenkommunikationsnetzwerke ins Spiel. Neben der geballten Rechnerleistung von Quantencomputern lassen sich Quantenphänomene nämlich auch zur sicheren Verschlüsselung von Kommunikation nutzen.
Mit dem sog. QKD-Verfahren („Quantum Key Distribution“) lässt sich Information abhörsicher übertragen. Hierbei macht man sich eine zentrale Eigenschaft von Quantenzuständen zunutze: Einen Quantenzustand abzulesen bedeutet unweigerlich, in das System selbst einzugreifen, wodurch sich allerdings der Zustand selbst verändert.
Für Dritte, die einen Quantenkanal abhören wollen, ist es nicht möglich, einen Quantenzustand abzulesen, ohne sich bemerkbar zu machen und einen Alarm auszulösen. Die Übertragung über QKD selbst ist absolut abhörsicher und daher freilich interessant für Dienste jeder Art.
Allerdings machen sich Quantenhacker bereits daran, etwaige Schwachstellen an den Endpunkten eines Quantenkanals auszunutzen. Dort, wo Information über alte digitale Kanäle eingespeist oder weitergeleitet wird – bspw. auf einen Laptop zur weiteren Verarbeitung – ist ein System für Hackerangriffe anfällig.
Dieses Problem stellt sich insbesondere dann, wenn ein Quanteninformationsnetzwerk notwendigerweise mit digitaler Hardware kombiniert werden muss. So ist es vor kurzem einem chinesischen Forscherteam gelungen, mittels der Reflektion eines Laserstrahls die Polarisierung (und damit den Code) von Photonen, die zur Verschlüsselung benutzt wurden, von außen abzulesen. Obwohl QKD prinzipiell abhörsicher ist, erweisen sich in der praktischen Anwendung noch zahlreiche Probleme.
Allerdings lässt der Fortschritt auf diesem Gebiet in den vergangenen Jahren aufhorchen. Insbesondere China ist auf dem Gebiet der Quantenkommunikation mittlerweile führend (Abb. 3). Ein ehemaliger Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA befürchtet, dass die USA erstmals in ihrer Geschichte technologisch durch eine andere Supermacht abgehängt werden könnten.
Schätzungen gehen davon aus, dass China sein Quantenprogramm in Hefei mit ca. 10 Milliarden US-Dollar jährlich fördert. Was China anbelangt, ist es allerdings schwer, verlässliche Zahlen zu ermitteln. Für die gewaltigen Anstrengungen, die China unternimmt spricht ferner, dass sich die Zahl der chinesischen Patente im Bereich von Quantentechnologien im Vergleich zu denen der USA seit 2017 mehr als verdoppelt hat.
Chinesischen Medienberichten zufolge verfolgt Staatschef Xi Jinping stolz das Ziel, über Quantenkommunikation eine robuste Technologieführerschaft Chinas zu erreichen.
Insbesondere der Launch des chinesischen Satelliten Micius im Jahr 2016 erregte international großes Aufsehen. Micius sendet Photonen über lange Strecken, die zur kryptographischen Verschlüsselung verwendet werden (Abb. 4).
Zwar funktioniert der Satellit nur nachts und ist extrem fehleranfällig, aber es gelang dem Forscherteam dennoch, eine Videokonferenz zwischen China und einem Team in Österreich über eine Stunde hinweg abhörsicher zu verschlüsseln. China signalisierte somit deutlich seinen Führungsanspruch im Bereich der Quantenkommunikation.
Militärisch interessant werden Quantentechnologien insbesondere auch im Bereich der Entwicklung neuer Radarsysteme. Ein Quantenradar nutzt miteinander verschränkte Photonen, um selbst signalschwächste Reflexionen von Objekten wie US-amerikanische Tarnkappenbomber, die sonst auf dem Radar nicht zu orten sind, aufzuspüren.
China scheint insbesondere darauf abzuzielen, fremde U-Boote im Pazifikraum besser orten zu können, was die militärische Überlegenheit der USA in dieser Region erheblich schwächen würde.
Sicherheitspolitische Herausforderungen
Die Kombination eines superschnellen Quantencomputers mit einem abhörsicheren Quantenkommunikationsnetzwerk wirft also drängende sicherheitspolitische Fragen auf. Europa und die USA haben ihre Forschungsinvestitionen im Zuge der Fortschritte Chinas bereits deutlich erhöht.
So fördert das Quantum Flagship der EU mit etwa einer Milliarde Euro die interdisziplinäre Forschung an diversen Universitäten in Europa. Im Juni vergangenen Jahres schlossen neben Deutschland sechs weitere EU-Staaten ein Abkommen, das den Bau eines sicheren Quanteninternets in den nächsten zehn Jahren auf den Weg bringen soll.
Dieses neue Internet soll die Union vor Spionage und Hackerangriffen auf sensible Infrastrukturen wie Stromnetze aber auch Patientendaten schützen. Nachdem die USA zunächst zurückhaltend reagierten, beweist die US-Regierung mit der Verabschiedung des National Quantum Initiative Act im vergangenen Jahr ihrerseits Anspruch auf eine Führungsrolle: mit etwa 1,5 Milliarden US-Dollar soll die Erforschung von Quantentechnologien auf Bundesebene besser koordiniert werden.
Und die Cybersecurity-Abteilung des britischen Geheimdiensts GCHQ empfiehlt schon jetzt, Bemühungen im Bereich der Post-Quantum Cryptography deutlich zu verstärken, also Verschlüsselungssysteme zu entwickeln, die sowohl klassischen Digitalcomputern wie auch den Quantenrechnern der Zukunft werden standhalten können.
An den Tagesnachrichten vorbei hat sich also in der jüngsten Vergangenheit ein globaler sicherheitspolitischer Quantenwettlauf entwickelt, bei dem kein Akteur das Nachsehen haben möchte.
Für Europa bieten sich hier nun mehrere Perspektiven zur Einflussnahme. So kann die EU im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf eine internationale Zusammenarbeit und kooperative Rüstungskontrollen drängen, die auf rein zivile und wissenschaftliche Anwendungen von Quantentechnologien setzt.
Ein erster Schritt hierzu wäre, Entscheidungsträger über mögliche militärische Anwendungen ebenso umfassend aufzuklären, wie es zunehmend hinsichtlich der Kontrolle waffenfähiger KI-Systeme der Fall ist. Da der zunehmend rauere Umgang der Atommächte USA, Russland und China in Sicherheitsfragen derzeit allerdings wenig Anlass zur Hoffnung auf ein Erstarken multilateraler Zusammenarbeit gibt, bieten sich indirekte Optionen zur Sicherung friedlicher Technologiekooperation wohl besser an.
Industrienormen und -standards sind beispielsweise bewährte Mittel der Technologiesteuerung, die neben der Durchsetzung ökonomischer Interessen auch sicherheitspolitische Dimensionen berücksichtigt. Die derzeitige Diskussion, inwieweit der chinesische Telekommunikationsgigant Huawei beim Bau von 5G-Netzwerken in Großbritannien und den USA beteiligt werden darf, zeigt, wie sehr die Frage technischer Spezifikationen im Detail gleichzeitig von enorm sicherheitsrelevanter Bedeutung ist.
So ist anzunehmen, dass die Geschwindigkeit, mit der China sein Quantenprogramm vorantreibt auch dazu dienen soll, durch eine Technologieführerschaft de fakto Standards hinsichtlich der Hardware-Spezifikationen neuer Quantenkommunikationsnetzwerke zu schaffen. Hier bieten sich über die International Organization for Standardization (ISO) Handlungsoptionen für Europa, die Ausarbeitung und Implementierung von Normen zukünftiger Quantentechnologien konstruktiv mitzugestalten.
Neben der komplexen Steuerung wissenschaftlicher Projekte im Rahmen des EU Quantum Flagship innerhalb Europas bedeutet dies mittelfristig, die Quantenforschung mit geschicktem sicherheitspolitischem Augenmerk zu koordinieren, um so langfristig in dem Wettlauf zwischen China und den USA nicht das Nachsehen zu haben.