Lager von Biden und Sanders beschwören Einheit

Hintergrund

Die US-Demokraten wollen das Land wieder vereinen und die gesellschaftliche Spaltung überwinden. Dafür ist es notwendig, auch die eigenen politischen Lager wieder zusammenzuführen. 

Vorgarten US-Wahl 2020

 

Nachdem Bernie Sanders seine Kandidatur im April zurückgezogen hatte, bat Joe Biden seinen Rivalen unmittelbar danach um Zusammenarbeit. Daraufhin riefen die beiden Arbeitsgruppen ins Leben, die Empfehlungen für Bidens Wahlkampf-Kampagne erarbeiten sollten. In den vergangenen Monaten tagten und diskutierten die sechs Arbeitsgruppen, rangen um gemeinsame und stichhaltige Positionen.

Lager-übergreifende Arbeitsgruppen als Versuch zur Herstellung von Einheit

Institutionell vergleichbar mit der Kohle-Kommission, waren die Arbeitsgruppen mit Vertreter*innen unterschiedlicher Interessensgruppen besetzt – Abgeordnete, ehemalige Minister*innen, Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen sowie Repräsentant*innen aus Zivilgesellschaft und Think Tanks. Gemeinsam mit politischen Berater*innen aus beiden Lagern debattierten sie kompromissfähige Lösungen und erarbeiteten Positionen in sechs Bereichen: Klimawandel, Wirtschaft, Gesundheit, Strafrecht, Bildung und Einwanderung.

Empfehlungen der Biden-Sanders-Task-Force

Anfang Juli haben die Arbeitsgruppen ihre Empfehlungen in einem 110-seitigen Papier vorgestellt. Die Berufung der Arbeitsgruppen kann damit bereits als Erfolg bewertet werden. Denn ihre unterschiedlichen Mitglieder haben sich nach langen Verhandlungen auf Kompromisse in den wichtigsten Policy-Bereichen einigen können. Und da die Arbeitsgruppen jeweils mit Stimmen von moderaten und progressiven Demokraten besetzt waren, werden die verhandelten Positionen zukünftig lagerübergreifend getragen.

Der Ruf nach einem Green New Deal und Sander’s Herzensangelegenheit, die Schaffung einer allgemeinen Krankenversicherung für alle Bürger*innen, sind nicht Teil der Empfehlungen. Jedoch konnte das progressive Lager einige ihrer Forderungen einbringen und sozialpolitische Akzente setzen.

Zwar soll die private Krankenversicherung und damit ein Klassensystem bestehen bleiben. Aber die gesetzliche Krankenversicherung soll zumindest ausgeweitet werden. Die Beitragshöhe bemisst sich nach dem Einkommen. Bei geringem Einkommen oder wenn Menschen derzeit ihren Job wegen Covid-19 verlieren, soll der Staat ihre Gebühren übernehmen.

Für die Bekämpfung von Klimawandel hatte Biden bisher immer nur das abstrakte Ziel formuliert die US-amerikanische Wirtschaft bis 2050 emissionsneutral zu machen. Seinen Kritiker*innen entgegenkommend empfiehlt die Arbeitsgruppe mittelfristige Ziele und konkrete Maßnahmen. Bis 2035 soll Strom vollständig ohne fossile Energie produziert werden. Bis 2030 sollen alle neuen Gebäude emissionsneutral sein. Innerhalb der nächsten fünf Jahre sollen 500 Millionen Solarzellen installiert werden. Um den Transportsektor nachhaltiger zu gestalten, soll in einen Hochgeschwindigkeitszug investiert werden und Elektroautos nach dem Vorbild von Kalifornien gefördert werden – mit Präferenz für heimische Hersteller. Die USA sollen zudem so schnell wie möglich wieder dem Pariser Klimaabkommen beitreten und ihren internationalen Zahlungsverpflichtungen im Green Climate Fund nachkommen. Da Minderheiten und People of Color in gravierender Weise die Last von Umweltzerstörung tragen und darunter leiden, soll ein spezielles Programm initiiert werden, um dieser Ungerechtigkeit zu begegnen. Ein Fracking-Verbot findet sich in den Empfehlungen allerdings nicht. Das wäre Biden zu weit gegangen. Mit der Fossilindustrie will er sich nicht anlegen. Hierin besteht der größte Konflikt, den er mit Klima-Aktivist*innen hat.

Als Antwort auf die aktuelle Wirtschaftskrise empfehlen die Expert*innen eine Investitions-Offensive und ein staatliches Job-Programm nach dem Vorbild von Roosevelt. Der Staat soll durch Konjunktur-Programme und Infrastruktur-Projekte die Wirtschaft ankurbeln und Tausende neue Arbeitsplätze schaffen. Zudem sollen rassistisch- und geschlechter-bedingte Diskriminierungen, die sich vor allem in ungerechter Einkommensverteilung widerspiegeln, abgebaut werden. Gleiche Bezahlung und fairer Zugang zu staatlichen Programmen und Krediten sollen durchgesetzt werden. Der Mindestlohn soll landesweit auf 15 US Dollar pro Stunde angehoben werden.

Die Reform des Strafrechts sieht die Abschaffung der privat betriebenen Gefängnisse vor. Das Jugend-Strafrecht soll gemildert werden, der Gedanke von Wiedereingliederung in die Gesellschaft soll stärker verankert werden und Klein-Delikte nicht mehr mit Gefängnis bestraft werden. Zu Marihuana wurde ein Kompromiss gefunden: für gesundheitliche Zwecke soll es landesweit legalisiert werden, die Legalisierung für den privaten Konsum wird weiterhin den Bundesstaaten überlassen.

Im Bildungsbereich soll die öffentliche Förderung für Schulen in einkommensschwachen Bezirken verdreifacht werden. Für Studierende aus Familien mit einem Einkommen geringer als 125.000 US Dollar pro Jahr sollen öffentliche Universitäten gebührenfrei sein. Neben er Wissensvermittlung wird der Wert von Bildungseinrichtungen auch in ihrer Funktion als Anbieter sozialer Dienste, Essensausgabe und Gesundheitsversorgung gesehen und anerkannt.

Im Bereich Migration soll vor allem Trump’s menschenfeindliche Politik rückgängig gemacht werden. Das Einreiseverbot für Menschen aus muslimischen Ländern soll aufgehoben werden. Den 700.000 Dreamers - junge Erwachsene, die als Kinder in die USA immigriert sind – soll wieder der Schutz vor Abschiebung geboten werden. Ein menschenrechtskonformes Asylverfahren soll etabliert werden. Statt bisher 18.000 Flüchtlingen sollen die USA zukünftig 125.000 Flüchtlinge pro Jahr aufnehmen und diese Quote stetig anheben. Der kostspielige Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko soll gestoppt werden. Unerlaubte Grenzübertritte sollen zwar nicht entkriminalisiert werden, jedoch soll die Strafverfolgung von Menschenschmuggel priorisiert werden.

Sozialpolitische Akzente für Biden’s Wahlkampf-Programm

Am Ende bleibt es Biden natürlich überlassen, inwieweit er den Empfehlungen der Arbeitsgruppen folgt. Die nächsten Wochen werden zeigen wieviel er davon in sein Wahlkampf-Programm übernimmt. Es ist davon auszugehen, dass er die Vorschläge größtenteils übernimmt. Zum einen sind die gefundenen Kompromisse für Biden gut vertretbar und legen überzeugend dar, wie verantwortungsvolle und zukunftsorientierte Politik funktionieren kann. Sie zeigen Lösungswege auf, wie die USA wieder auf die Beine kommen können und die enormen gesundheitspolitischen und wirtschaftspolitischen Schäden durch Trump’s Regierungsversagen überwinden können. Zum anderen wird Biden seinem Kurz treu bleiben, die Partei zu versöhnen und einheitlich mit voller Stärke in den Wahlkampf zu ziehen. Dafür haben die lagerübergreifenden Arbeitsgruppen ein elementares Fundament gelegt. Sie sind sich über den inhaltlichen Verhandlungsprozess und das gemeinsame Ringen zu Positionen nähergekommen. Mit dieser Basis startet die Demokratische Partei im Vergleich zu 2016 wesentlich geeinter in den Wahlkampf, wenn sie auf ihrem Parteitag vom 17. bis 20. August in Milwaukee, Wisconsin offiziell ihren Präsidentschaftskandidaten ernennt. Dieser heißt Joe Biden und tritt als Brückenbauer und Versöhner an.