"Es gibt so viele Ansatzpunkte, etwas zu bewegen"

Interview

Während der (mediale) Hype um Fridays for Future in Deutschland etwas abflaut, geht der Aktivismus gegen die Klimakrise woanders gerade erst richtig los. Die 17-jährige Maria Papatheodorou hat vor etwa einem Jahr mit Freunden Fridays for Future in Athen gegründet und berichtet im Interview von Zielen und Erfolgen der Bewegung in Griechenland.

Maria Papatheodorou bei FFF in Griechenland

Maria, wie reagiert deine Schule darauf, dass du den Unterricht für das Klima bestreikst?

Ich bin in der glücklichen Situation, dass meine Schule - die Deutsche Schule Athen - mir da entgegenkommt. Außerdem lernen wir nach dem deutschen System, sodass ich nicht nach Anwesenheit, sondern nach Prüfungsleistungen bewertet werde. Das griechische Schulsystem ist da anders: Wer mehr als 114 Unterrichtsstunden im Jahr verpasst, fällt durch die Jahrgangsstufe. Egal wie gut die Leistungen sind. Das wäre für mich nicht zu schaffen, ich hatte schon auf dem Halbjahreszeugnis 94 Fehlstunden. Unsere Demonstrationen sind also meistens keine Streiks, weil wir niemandem den Schulabschluss verderben wollen.

Böse Zungen behaupten ja, dass FFF nur so viele Schüler anzieht, weil sie dann nicht in den Unterricht müssen. Kommen sie denn bei euch auch in ihrer Freizeit?

Ja klar! Ich finde es zwar schade, dass die Schulen und das Bildungsministerium uns nicht entgegenkommen, aber andererseits kommen so tatsächlich nur die, denen es ernst ist mit dem Klima. Zu unserer ersten Demonstration vor dem Parlament vor ziemlich genau einem Jahr kamen nur 30 Leute, aber schon bei unserer fünften Veranstaltung zum globalen Klimastreik im Mai 2019 waren wir etwa 1000 Schülerinnen und Schüler und Studierende auf dem Syntagma-Platz. Damals lief auch zum ersten Mal eine parallele Demo in Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt Griechenlands. Mittlerweile ist Fridays for Future in 20 Städten aktiv und wir haben bei unserer Demonstration in Athen 2500 bis 3000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Und was wollt ihr erreichen?

Unser übergeordnetes Ziel ist das der internationalen Fridays for Future-Bewegung, also die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Schwerpunkt unserer Aktionen ist es, in der griechischen Bevölkerung ein Bewusstsein für den Klimawandel und seine Ursachen zu schaffen. Unsere konkrete Forderung ist außerdem der Umbau der griechischen Energiewirtschaft auf 100 Prozent erneuerbare Energiequellen.

Alle wollen etwas machen in Richtung Klimawandel

Wie reagiert denn die Politik auf diese Forderung? Und spürt ihr einen Unterschied zwischen der Syriza- und der Nea Dimokratia-Regierung?

Nein, da spüren wir keinen großen Unterschied. Grundsätzlich begegnen uns die Parteien und Politikerinnen und Politiker, mit denen wir zu tun haben, sehr wohlwollend. Ministerpräsident Mitsotakis äußert sich sogar sehr positiv über uns in den sozialen Medien. Alle wollen etwas machen in Richtung Klimawandel. Aber wenn es dann wirklich zur Sache geht, wollen sie doch nicht so richtig.

Wie sieht das konkret aus?

Im Energiebereich beispielsweise bekennen sich alte und neue Regierung zu erneuerbaren Energien und haben Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben, um geeignete Orte für Windkraftanlagen zu erörtern. Gleichzeitig wurden und werden aber ebenfalls Untersuchungen in Auftrag gegeben, um neue Kohlevorkommen zu erschließen. Und das, obwohl der Plan ist, bis 2028 alle Kohlekraftwerke zu schließen. Das ergibt wenig Sinn oder deutet darauf hin, dass es die Regierung mit dem Kohlestopp nach 2028 nicht so ernst nimmt.

Energieverbrauch Griechenland Infografik
Woher kommt die Energie für Griechenland?

In Deutschland und den USA sind es ja vor allem Rechtspopulisten, die den menschengemachten Klimawandel in Frage stellen. Wie begegnen euch denn die Parteien aus dieser Richtung?

Die ignorieren uns. Kritik kommt hier interessanterweise weniger von der radikalen Rechten, sondern eher von den sehr linken Parteien. Die kommunistische Partei beispielsweise fordert die Erhaltung der fossilen Energieträger, um die Arbeitsplätze in diesem Bereich zu schützen.

Das ist natürlich auch ein wichtiges Anliegen, dass diese Leute nicht übergangen werden.

Das stimmt, aber es gibt mittlerweile so viele Studien die besagen, dass der Umbau der Energiewirtschaft keinen Netto-Arbeitsplatzverlust bedeuten würde, dass sogar mehr Arbeitsplätze entstehen könnten.

Aber jemand, der im Bergbau arbeitet, ist nicht unbedingt Experte für Solaranlagen..

Aber man muss auch nicht so tun, als kämen die beiden Aufgaben von unterschiedlichen Planeten. Klar, es braucht ein großes Umschulungsprogramm, damit die Energiewende nicht nur ökologisch und ökonomisch ein Erfolg wird, sondern auch sozial. Das sind für uns die drei Ebenen von Nachhaltigkeit, die es auszubalancieren gilt. Deswegen ist Umschulung auch ein zentraler Aspekt in unserem Forderungspapier, dass wir demnächst der Regierung überreichen werden.

Wir setzen unsere Hoffnung in grüne Energie und Griechenland hat beste Voraussetzungen dafür.

Ein besonderes Thema beim Ausgleich zwischen diesen Ebenen im Fall Griechenlands ist ja der (Massen-)Tourismus: Einerseits ökologisch sehr schädlich, ökonomisch und sozial aber ein riesiger Faktor, viele Menschen leben davon. Wie steht ihr zu diesem Dilemma?

Ja, der Tourismus belastet die Umwelt sehr, aber wir können nicht von heute auf morgen entscheiden, dass nur noch kleine Ruderboote auf die Inseln fahren und es dort nur noch den Fisch vom Morgen gibt. Dann bricht das Ökonomische und Soziale zusammen. So radikal sind wir nicht. Wir setzen unsere Hoffnung in grüne Energie und Griechenland hat beste Voraussetzungen dafür. Die griechischen Inseln mit ihrem Vulkangestein eignen sich beispielsweise besonders für Geothermie. In Deutschland muss man tausende von Metern bohren, um an eine ähnliche Wärmeenergie zu kommen, wie man sie auf den Inseln schon wenige Meter unter der Erdoberfläche findet. Und die Technologie für Schiffe, die mit grüner Energie angetrieben werden, gibt es schon.

Tourismus in Griechenland Infografik
Übersicht zu Tourismus in Griechenland

Das klingt ja fast zu gut um wahr zu sein: Wir müssen nur die Sonne, den Wind und den Boden in Energie umwandeln und alles wird gut. Es scheint aber zum Beispiel unwahrscheinlich, dass in den nächsten Jahren Flugzeuge im großen Stil mit nachhaltigen Antrieben fliegen.

Ich denke schon, dass grüne Energie der Weg ist, das Ökologische zu verfolgen, ohne dass das Ökonomische und Soziale abstürzen. Es gibt sogar schon Tests für Flugzeuge mit Hydrobatterien. Aber klar, Fliegen ist immer die letzte Industrie, in der eine neue Technologie angewandt wird, weil es sehr riskant ist.

So einfach wie es vielleicht klingt, wird die Energiewende aber natürlich nicht. Das beste Beispiel dafür in Griechenland ist die Insel Tinos. Dort soll Windenergie erzeugt werden, aber die Einwohner wehren sich, vor allem aus Angst vor Lärm. Man könnte die Windkraftanlagen natürlich auf die unbewohnten so genannten Steininseln bauen. Dort herrscht allerdings eine große ökologische Vielfalt, die dann gestört wird. Man muss also wieder ökonomische, soziale und ökologische Fragen abwägen.

Stromerzeugung Griechenland Infografik
Welchen Strom produziert Griechenland selbst?

Diese Windrad-Debatte kennen wir in Deutschland ja auch: „Nachhaltige Energie gerne, aber bitte nicht aus meinem Garten“.

Diese Angst vor Windrädern halte ich jedoch für übertrieben. Windräder der neuen Generation sind gar nicht so laut und man kann mit einem Windrad so viel Energie erzeugen, wie mit sechs Windrädern der alten Generation. Die Lösungen gibt es also, aber die Bereitschaft für Wandel muss noch kommen. Leider haben wir nicht so viel Zeit.

Wie sollte damit umgegangen werden?

Ich denke, die Regierung muss hier und da auch unbeliebte Dinge durchsetzen, beispielsweise Windräder auf den Inseln. Oder Begrenzungen des Autoverkehrs in der Innenstadt von Athen. Eigentlich gibt es die Regel, dass Autos mit geraden Nummernschildern nur an bestimmten Tagen in der Innenstadt fahren dürfen, und Autos mit ungeraden Nummernschildern nur an anderen Tagen. Aber es hält sich kaum jemand daran und es wird auch kaum kontrolliert. So etwas muss durchgesetzt werden.

Verzicht, z.B. auf das Auto, ist ja fast schon ein Kampfbegriff in der Debatte um Klimaschutz. Wo steht ihr denn auf der Skala von „Auf alles verzichten“ bis „Weiter so mit grüner Energie“?

Wir stehen da natürlich in der goldenen Mitte, wir fordern ja durchaus auch Verzicht. Wir machen beispielsweise Aktionen gegen Fast Fashion, wie eine Modenschau für Second Hand-Kleidung. Wir rufen wie gesagt dazu auf, das Auto mal stehen zu lassen und keine Plastiktüten im Supermarkt zu benutzen. Aber auch hier muss der Verzicht mit ökonomischen Druck und gesellschaftlichem Bewusstsein vereinbar sein. Wir können ja nicht auf alles verzichten.

Es gibt so viele Ansatzpunkte, etwas zu bewegen. 

Leben heißt Konsum, Konsum heißt Produktion. So lange produziert wird, wird die Umwelt geschädigt. Und hier kommt eben die grüne Energie ins Spiel, mit ihr können wir die Umwelt- und Klimaschäden des Konsums auf ein Minimum herunterfahren. Fridays for Future in Athen folgt da ganz dem Motto: We don’t need a few people doing it perfectly, we need everyone to do it as good as he or she can.

Und wie haltet ihr es mit Fleischverzicht für das Klima? Gibt es da Konflikte mit dem gesellschaftlichen Konsens?

Ich bin selbst seit knapp zwei Jahren Vegetarierin, aber wenn ich an einem Gyros-Stand vorbeikomme, denke ich: Klar, riecht das gut. Aber ich weiß, was das für die Umwelt bedeutet. Wenn ich verzichten kann, sollte ich es tun. Aber ich verstehe auch, wenn es anderen schwerfällt. Natürlich ist Fleisch ein riesiger Bestandteil unserer Kultur, aber es gibt mittlerweile auch viel vegetarisches Essen, in Athen sogar vegane Restaurants. Und ich werde immer seltener wie eine Außerirdische angeguckt, weil ich kein Fleisch esse. Konflikte gibt es da nicht, wir verbieten ja nichts. Wir raten nur dazu, weniger Fleisch zu essen, und vielleicht lieber Bio-Qualität als Fast Food und lieber Hühnchen- als Rindfleisch.

Aber auch wenn ihr noch so differenziert und freundlich herangeht, wird das nicht immer so sachlich und differenziert gesehen.

Ich kann nur sagen, man mag uns hier. Wir sind jung, wir sind etwas Neues, wir machen nicht nur das Klassische auf die Straße und Schreien, sondern auch konstruktive, kreative Aktionen.

Und niemand kann sagen, dass wir etwas verbieten wollen, weil wir nur Angebote machen. Mit Alternativen. Und jeder kann sich aussuchen, was er oder sie zum Klimaschutz beitragen möchte. Das „Schöne“ am Klimawandel ist ja, dass er sich aus vielen verschiedenen Ursachen zusammensetzt und es viele verschiedene Lösungswege gibt. Und jede Person kann machen, was am besten passt.

Wenn jemand sagt, ich kann auf gar keinen Fall auf mein Rinderfilet verzichten, dann sagen wir: Vielleicht kannst du das Auto dafür ein paar Mal stehen lassen oder eine Hose weniger kaufen. Es gibt so viele Ansatzpunkte, etwas zu bewegen. 

Liebe Maria, vielen Dank für das Gespräch. Könntest du zum Abschluss noch einen Ausblick darauf geben, wie sich die Corona-Krise aus deiner Sicht auf das Klima und die Klimabewegung auswirkt?

Ich denke, dass sich kurzfristig durch den Lockdown einiges zum Positiven entwickelt hat für die Umwelt, da gibt es ja nun oft Schlagzeilen über bessere Luft in den Städten, bessere Wasserqualität in Seen, Flüssen, im Meer und so weiter. Aber mittel- und langfristig sehe ich es eher negativ. Ich gehe davon aus, dass die klimaschädlichen Aktivitäten der Menschheit bald wieder so aufgenommen werden wie vor der Pandemie. Vielleicht wird es sogar eine Art Aufholjagd geben, um die ökonomischen Einbrüche wieder auszugleichen, was dann zu noch mehr Klimaschäden führt. Außerdem werden die sozialen und ökonomischen Folgen der Krise im Vordergrund stehen, wodurch das Klimathema und auch die -bewegung an den Rand gedrängt werden. Das Ziel eines Gleichgewichts von sozial-ökonomisch-ökologisch rückt damit weiter in die Ferne. Ich hoffe, dass die Menschen nicht vergessen, wo wir im Februar standen und was wir erreichen wollten und das von Corona ein Stück Verzicht bleibt und jeder doch seinen Ansatzpunkt findet, die eigentliche historische Krise abzuwenden.