„El Salvadors Präsident Bukele will die absolute Kontrolle“

Interview

Die jüngsten Ereignisse in El Salvador demonstrieren erneut die autoritären Tendenzen des salvadorianischen Präsidenten Nayib Bukele. Über die Zukunft der Demokratie in El Salvador sprach Tobias Lambert mit dem Direktor der salvadorianischen Menschenrechtsorganisation Fespad, Saúl Baños.

El Salvador
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Wachen erwarten die Ankunft der neuen Richter*innen.

Die Opposition spricht von Staatsstreich: Das neu zusammengesetzte Parlament in El Salvador hat seine erste Sitzung am 1. Mai dazu genutzt, in einem verfassungswidrigen Schnellverfahren die Obersten Richter*innen sowie den Generalstaatsanwalt auszutauschen. Das Lager von Präsident Nayib Bukele verfügt dort nun über eine Zweidrittelmehrheit. Im vergangenen Jahr war Bukele mehrfach mit den Obersten Richter*innen aneinandergeraten. Unvergessen ist zudem, dass er im Februar 2020 das Parlament kurzzeitig militärisch besetzen ließ, um die damalige Oppositionsmehrheit dazu zu zwingen, einem Kredit zuzustimmen. Bukele inszeniert sich als Antipolitiker ohne festes Programm, aber mit großem Sendungsbewusstsein und bezeichnet sich bei Twitter selbst als „Instrument Gottes“. Der Direktor der salvadorianischen Menschenrechtsorganisation Fespad, Saúl Baños, zeigt sich im Interview besorgt um die Zukunft der Demokratie.

 

Tobias Lambert: Am 1. Mai trat erstmals das neue Parlament zusammen, in dem Präsident Nayib Bukele nach den Wahlen vom 28. Februar über eine Zweidrittelmehrheit verfügt. Diese neue Mehrheit ersetzte gleich am ersten Tag die Richter*innen der Verfassungskammer des Obersten Gerichts und den Generalstaatsanwalt. Wie ist dieser Schritt zu bewerten?

Saúl Baños: Es ist ein Putsch gegen den Rechtsstaat und die demokratische Verfasstheit El Salvadors. Die derzeit gültige Verfassung von 1983 sieht ein republikanisches System vor, das auf zwei Hauptelementen beruht: Auf der Gewaltenteilung und der Unmöglichkeit, dass ein Präsident wiedergewählt werden kann. Seit Unterzeichnung der Friedensverträge 1992 befand sich das Land auf dem Weg der Demokratisierung und dem Wiederaufbau von Institutionen. Das verlief nicht ohne Probleme und es gab mehrere institutionelle Krisen. Aber nie hatten wir eine Situation, wie wir sie seit dem 1. Mai haben.

Was steckt dahinter?

Saúl Baños
Saúl Baños ist Direktor der salvadorianischen Menschenrechtsorganisation Fespad.

Das Ziel Bukeles ist klar: Er will die absolute Kontrolle über alle staatlichen Institutionen. Bei den Wahlen am 28. Februar gewann Nuevas Ideas [Neue Ideen], die Partei des Präsidenten, 56 von 84 Parlamentssitzen. Gemeinsam mit kleineren verbündeten Parteien kommt die Regierung auf 64 Abgeordnete. Auf der ersten Sitzung am 1. Mai entschieden diese ohne echte Debatte, die Richter, ihre Stellvertreter und den Generalstaatsanwalt abzusetzen und bestimmten umgehend neue Personen für diese Posten. Bukele wirft ihnen vor, ihre Ämter missbraucht zu haben. Unter anderem hatten die Richter verschiedene Vorstöße Bukeles zur Bekämpfung der Pandemie zurückgewiesen. [Bukele hatte beispielsweise ein Dekret erlassen, das eine 30-tägige Internierung von Menschen vorsah, die gegen die Ausgangssperre verstießen. Das Gericht entschied, dass dies gegen die Verfassung verstößt und nur über ein Gesetz geregelt werden könne. Bukele ignorierte den Richterspruch, Anm. d. Red.]. Die Absetzung verstößt klar gegen geltendes Recht.

Inwiefern?

Laut Verfassung können die Richter des Obersten Gerichts nur unter bestimmten Bedingungen entlassen werden. Und dafür muss zwingend ein Gesetz verabschiedet werden, was aber nicht geschehen ist. Die abgesetzten Richter stellten daher fest, dass das Vorgehen verfassungswidrig war, woraufhin die Polizei die Räumlichkeiten des Obersten Gerichts besetzte. Einen Tag später traten drei der fünf abgesetzten Richter offiziell von ihren Ämtern zurück. Eventuell wollten sie ihrer Festnahme zuvorkommen und beugten sich dem Druck der Regierung.

An dem Vorgehen gibt es von internationaler Seite Kritik, auch hohe Politiker*innen aus den USA und der EU äußerten sich besorgt. Bukele scheint dies nicht zu beeindrucken, er verweist auf seinen großen Rückhalt innerhalb El Salvadors. Kommt er damit also einfach durch?

Bukele sieht die Äußerungen, darunter von der US-Vizepräsidentin Kamala Harris, tatsächlich als unzulässige Einmischung an. In einen Tweet am Wochenende betonte er, dass es die internationale Gemeinschaft nichts angehe, wenn in El Salvador das Haus „gesäubert“ werde. Die Frage ist, ob seitens der Diplomatie mehr folgt als nur kritische Worte. Einfluss könnten wirtschaftliche Fragen haben.

Was heißt das konkret?

Die Rating-Agenturen haben El Salvador bereits heruntergestuft, so dass der Schuldendienst künftig teurer wird. Und in Kürze soll über einen Kredit des Internationalen Währungsfonds entschieden werden, auf den das Land angewiesen ist. Aber selbst wenn der IWF die Auszahlung an Bedingungen knüpfen würde, ist da immer noch China, das sich in jüngster Zeit El Salvador angenähert hat und finanziell einspringen könnte. Es bleibt auch noch die Hoffnung, an den Rest von Rationalität bei Bukele und seinem Umfeld zu appellieren.

Innerhalb El Salvadors hat Bukele keinen starken Gegenwind zu erwarten?

Es gibt zwar Proteste seitens der Opposition und sozialer Organisationen. Doch es ist offensichtlich, dass Bukele sowohl den Rückhalt der Armee und der Zivilen Nationalpolizei hat, als auch eine sehr hohe Popularität genießt. Die meisten Menschen denken zurzeit nicht daran, was es mittelfristig für ihre Rechte bedeutet, wenn der Präsident die Macht derart stark in seiner Person konzentriert und keine Gegengewichte mehr existieren, um willkürliche Entscheidungen zu verhindern.

Und die Regierung hat eine Kommission eingesetzt, die die Möglichkeit einer Verfassungsreform ausarbeiten soll. Bisher hat Bukele nicht erklärt, dass er etwa die Wiederwahlbeschränkung für das Präsidentenamt aufheben will. Nach den jüngsten Ereignissen ist das aber vorstellbar.

Bukele stilisiert sich öffentlich als Antipolitiker ohne festes Programm. Warum hat er so großen Rückhalt?

Politisch hatte Bukele als Bürgermeister in San Salvador und dem Vorort Nuevo Cuscatlán eine vergleichsweise kurze Karriere, bevor er Präsident wurde. Es ist ihm gelungen, die soziale Unzufriedenheit einzufangen, die sich unter den traditionellen Parteien Arena [Nationalistische Republikanische Allianz] und FMLN [Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí] aufgestaut hat. Die rechte Arena regierte das Land nach den Friedensverträgen 20 Jahre lang, die FMLN anschließend zehn. Vor allem während ihrer zweiten Präsidentschaft [2014 bis 2019] schrieb sich die linke Partei Transparenz auf die Fahnen, setzte jedoch keine strukturellen Reformen um. Auch gab es unter der FMLN mehrere Korruptionsfälle. Bukele setzt auf eine sehr erfolgreiche Kommunikationsstrategie, die jede soziale Wohltat wie zum Beispiel die Verteilung von Computern an den Schulen, geschickt inszeniert. Er pflegt einen direkten, teilweise frechen Stil mit direkter Ansprache sowohl über traditionelle Medien wie das Radio als auch sozialen Medien wie Twitter. Dabei legt er sich offensiv mit allen an, die eine andere Meinung vertreten als er. Er tritt nicht als traditioneller Politiker auf.

Welche Perspektiven sehen Sie in diesem Kontext für die Demokratie in El Salvador?

Wir befinden uns in einer kritischen Situation. Vor allem als Menschenrechtsverteidiger befürchten wir die Schließung demokratischer und partizipativer Räume. Wichtige Rechte wie die Meinungs- und Pressefreiheit werden noch stärker unter Druck geraten. Hoffentlich täusche ich mich, aber die Regierung scheint entschlossen zu sein, sich von niemandem reinreden zu lassen.