Düstere Zeiten für die Pressefreiheit

Analyse

Die Lage der Pressefreiheit in Zentralamerika und Mexiko ist besorgniserregend. Medienschaffende werden von kriminellen Banden und korrupten Politiker*innen bedroht und überwacht. Häufig müssen sie sogar um ihr Leben fürchten. Umso wichtiger ist, dass es Journalist*innen gibt, die trotzdem weiter machen. Drei Beispiele aus Mexiko, El Salvador und Honduras.

Teilnehmer einer Demonstration in Mexiko-Stadt halten Plakate
Teaser Bild Untertitel
Stoppt die Morde an Journalist*innen": Protest in Mexiko-Stadt im Jahr 2012, seitdemhat die Bedrohungslage nicht abgenommen.

Marcela Turati tat nur ihre Arbeit. Nachdem 2011 in der nordmexikanischen Stadt San Fernando zahlreiche Massengräber gefunden wurden, recherchierte die renommierte Investigativjournalistin zu den Hintergründen. Die Morde gingen auf das Konto des Drogenkartells Los Zetas, das 193 Personen aus Bussen entführen ließ, brutal tötete und verscharrte. Bereits 2010 waren einem weiteren Massaker in San Fernando 72 Migrant*innen zum Opfer gefallen.

Als Turati Einsicht in die Ermittlungsakten bekam, war sie geschockt. Die Behörden hatten nicht nur gegen die Zetas, sondern auch gegen sie ermittelt. Gemeinsam mit der Anwältin Ana Lorena Delgadillo und der Forensikerin Mercedes Doretti taucht die Journalistin in den Akten als Verdächtige auf. Offiziell hieß es, die drei Frauen seien in eine Entführung und die organisierte Kriminalität verwickelt. Zuvor hatten sie den staatlichen Umgang mit den Verbrechen kritisiert. „Wir wurden 2015 und 2016 abgehört, unsere Gespräche genau dokumentiert und unsere Wohnhäuser überwacht“, berichtet Turati in einer digitalen Veranstaltung über Pressefreiheit in Mexiko, El Salvador und Honduras am 3. Dezember. „Ich habe mich zu der Zeit immer wieder über merkwürdige Dinge wie etwa falsche Anrufe gewundert und war sehr vorsichtig.“ Die Vorsicht war gut begründet. Im Juli dieses Jahres enthüllte das internationale Recherche-Netzwerk „Forbidden Stories“, dass unter der Regierung von Enrique Peña Nieto (2012 bis 2018) in Mexiko mutmaßlich bis zu 15.000 Personen mit der Spionagesoftware Pegasus überwacht worden sein könnten. Auf der Liste stehen 25 Journalist*innen und 107 Menschenrechtsverteidiger*innen. Auch Marcela Turatis Name ist darunter.

Seit vielen Jahren arbeitet sie gemeinsam mit anderen Journalist*innen und ihrer Investigativ-Plattform Quinto Elemento Lab zum Drogenkrieg und dem gewaltsamen Verschwindenlassen von mittlerweile über 94.000 Personen. Mit ihrer Arbeit macht sie sich viele Feinde. „Wir untersuchen das Verschwindenlassen, weil der Staat es nicht ausreichend tut“, sagt Turati. „Denn die Menschen verschwinden vor allem dort, wo es aufgrund der Drohungen praktisch keinen Journalismus mehr gibt“.

Die Bedrohungslage in Mexiko bleibt hoch

Laut der Menschenrechtsorganisation Artículo 19 wurden in Mexiko seit dem Jahr 2000 insgesamt 145 Journalist*innen aufgrund ihrer Arbeit ermordet. In keinem Land starben in den vergangenen Jahren mehr Medienschaffende eines gewaltsamen Todes. Aufgeklärt werden die wenigsten Fälle, die Straflosigkeit liegt bei 98 Prozent. Wer zu Drogenkartellen oder staatlicher Korruption recherchiert, muss mit Schikanen und Drohungen rechnen, nicht wenige Journalist*innen verlassen zumindest vorübergehend das Land.

Die Angriffe reichen von öffentlichen Schmutzkampagnen bis hin zu Mord und gehen sowohl vom organisierten Verbrechen als auch von staatlichen Stellen aus. Ein 2012 auf Druck der Zivilgesellschaft geschaffener Schutzmechanismus für Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen funktioniert nicht verlässlich. Die finanzielle und personelle Ausstattung reicht nicht aus und der Mechanismus reagiert zu schwerfällig. Vereinzelt wurden sogar Journalist*innen ermordet, die unter Schutz standen.

Wenngleich der aktuelle Präsident Andrés Manuel López Obrador eine Stärkung der Pressefreiheit und der Menschenrechte versprochen hat, ist das Verhältnis zu den Medien weiterhin angespannt. Auf seinen allmorgendlichen Redaktionskonferenzen können Journalist*innen Fragen stellen, doch geht der Präsident mit einzelnen Pressevertreter*innen immer wieder hart ins Gericht und stellt vermeintliche Fake News an den Pranger. „Wenn sich die Regierung dabei täuscht, veröffentlicht sie hinterher ein Kommuniqué. Aber die Diskreditierungen werden in der Öffentlichkeit stark wahrgenommen und schaden der Pressefreiheit“, sagt Turati. An der  Gefährdungslage und den hohen Mordraten hat sich nichts nennenswert verändert. Seit der Amtseinführung López Obradors im Dezember 2018 wurden bereits 15 Journalist*innen getötet. Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt Mexiko Rang 143 von 180.

Corona-Pandemie verschlechtert Pressefreiheit

In den südlichen Nachbarländern Guatemala (Platz 116), Nicaragua (121) und Honduras (151) sieht es kaum besser aus. Zu den länderspezifischen Ursachen kommt fast überall eine zusätzliche Verschlechterung der Pressefreiheit durch die Corona-Pandemie hinzu. Die Regierungen nutzten pandemiebedingte Beschränkungen dazu aus, freie Berichterstattung zu behindern.

Ein wenig weiter vorne in der Liste befindet sich El Salvador (82). Im Vergleich zum Vorjahr verschlechterte sich das Land jedoch um acht Plätze. Journalist*innen, die über Korruption berichten, werden immer wieder bedroht. Seit Nayib Bukele 2019 Präsident ist, hat der Umgang mit der Presse eine neue Richtung eingeschlagen. Vor allem auf Twitter, wo er sich selbst als „Instrument Gottes“, „coolster Diktator der Welt“ oder aktuell „CEO von El Salvador“ bezeichnet, teilt Bukele heftig gegen Journalist*innen und Medien aus, die sich kritisch zur Regierungspolitik äußern.

Besonders häufig trifft es die Online-Zeitung El Faro. „Wir werden schon fast als politische Partei wahrgenommen, weil der Präsident uns derart attackiert“, sagt der stellvertretende Chefredakteur Sergio Arauz. „Dabei haben wir über alle Regierungen und Korruptionsfälle kritisch berichtet.“ Während der Regierungszeit von Bukele deckte El Faro etwa die Bereicherung von Minister*innen während der Corona-Pandemie oder geheime Verhandlungen der Regierung mit kriminellen Jugendbanden (maras) auf.

Rasanter Demokratie-Abbau in El Salvador

Seit dem 1. Mai dieses Jahres verfügt Bukeles Partei Nuevas Ideas im Parlament über eine Zweidrittelmehrheit und Präsident Bukele baut in rasantem Tempo die staatlichen Institutionen nach seinen Wünschen um. In einem verfassungswidrigen Schnellverfahren wurden die Obersten Richter*innen sowie der Generalstaatsanwalt ausgetauscht. Eine umstrittene Justizreform schickt ein Drittel aller Richter*innen vorzeitig in Rente.

Und erst vor kurzem stand ein Gesetz über ausländische Agenten zur Debatte, das ähnlich wie in Nicaragua die internationale Finanzierung zivilgesellschaftlicher Organisationen unterbinden soll. „Das Gesetz wäre nicht nur das Ende vieler Nichtregierungsorganisationen, sondern würde auch Medien betreffen, die Zuwendungen aus dem Ausland erhalten“, sagt Arauz. „Der Vorschlag enthielt bei Verstößen Geldbußen von bis zu 250.000 Dollar und sogar Gefängnisstrafen.“ Das umstrittene Gesetz ist zwar nach massiven (inter)nationalen Protesten erst einmal in der Schublade gelandet. Gebannt ist die Gefahr aber noch lange nicht. Es ist nicht auszuschließen, dass die Regierung Bukele ein neues Gesetz vorlegen wird oder bestehende Gesetze verschärft, um kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft stumm zu schalten.

Kürzlich gab El Faro bekannt, dass mehrere ihrer Journalist*innen Warnungen von dem US-Unternehmen Apple erhalten haben. Darin hieß es, ihre Telefone würden möglicherweise von staatlichen Stellen ausgespäht. Auch Journalist*innen anderer Medien sowie Vertreter*innen der Zivilgesellschaft wurden gewarnt. Vielleicht bahnt sich in El Salvador also ein ähnlicher Spionage-Skandal an wie in Mexiko. Auch wenn es im Zuge der Einführung der Kryptowährung Bitcoin in El Salvador Proteste gegen die Regierung gibt, ist Bukele noch immer sehr populär. „Die Regierung bringt große Herausforderungen mit sich. Wir müssen die politische Dynamik verstehen, rausgehen, mit den Menschen reden und gleichzeitig uns und unsere Quellen schützen“, betont Arauz.

Hoffnung durch Regierungswechsel in Honduras

Auch im Nachbarland Honduras können Journalist*innen schon seit Jahren nur unter hoher persönlicher Gefährdung arbeiten. Seit dem Putsch gegen Manuel Zelaya 2009 sind die Räume für freie Berichterstattung immer kleiner geworden. Militär, Polizei und Drogenbanden bedrohen Journalist*innen oppositioneller und alternativer Medien, die sich mit Machtmissbrauch und Korruption beschäftigen. In den vergangenen zwölf Jahren wurden mehr als 30 Journalist*innen getötet.

Auch auf juristischem Weg geht die Regierung immer wieder gegen Medienschaffende vor, etwa mit Verleumdungsklagen. „Es sind düstere Zeiten für die Pressefreiheit in Honduras“, sagt die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Dina Meza. 2013 gründete sie die Online-Zeitung Pasos de Animal Grande, ein Jahr später die Menschenrechtsorganisation Vereinigung für Demokratie und Menschenrechte in Honduras (ASOPODEHU), die Journalist*innen in Krisensituationen unterstützt.

Unter der Nationalen Partei war Honduras seit 2009 stramm auf Rechtskurs und machte vor allem durch Korruption, Gewalt sowie fragwürdige Wirtschaftsprojekte wie privatisierte Städte für Investor*innen Schlagzeilen. Die Korruptionsbekämpfung im eigenen Land torpedierte die honduranische Regierung offen, indem sie Anfang 2020 die von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) eingerichtete Unterstützungsmission gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras, Maccih, nicht verlängerte. Der Bruder des seit 2013 amtierenden Präsidenten Juan Orlando Hernández wurde in den USA wegen Drogenhandel zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Auch dem noch amtierenden Präsidenten droht wegen seiner mutmaßlichen Verwicklungen in Drogengeschäfte ein Gerichtsverfahren in den USA.

Er hinterlässt ein Land, das von Gewalt und der Verarmung großer Bevölkerungsteile geprägt ist. Seit der letzten Wahl 2017 haben sich hunderttausende Honduraner*innen in Richtung USA aufgemacht. Der überraschende Wahlsieg des Mitte-Links-Bündnisses der künftigen Präsidentin Xiomara Castro am 28. November weckt bei vielen Honduraner*innen Hoffnung. „Die neue Regierung sollte zunächst alle Gesetze zurücknehmen, die sich gegen die Pressefreiheit und die Menschenrechte richten“, betont Meza. „Dazu zählt die kürzlich erfolgte Reform des Strafgesetzbuches, die unter anderem sozialen Protest kriminalisiert.“ Vereinzelte Reformen und kleinere Anpassungen reichen jedoch längst nicht aus. „Die staatlichen Institutionen sind vom Drogenhandel unterwandert und müssen umfassend wiederhergestellt werden. Unter Xiomara Castro braucht Honduras einen Neuanfang“, stellt Meza klar.

Sergio Arauz aus El Salvador bringt die Herausforderungen, vor denen viele Journalist*innen stehen, auf den Punkt. „Es darf nicht normal sein, dass wir angefeindet werden und unter solchen Bedingungen arbeiten müssen. Auf die Angriffe müssen wir mit qualitativ hochwertigem Journalismus antworten.“

 

Die Zitate im Text entstammen der Online-Veranstaltung „Grundrecht unter Beschuss - Attacken gegen die Pressefreiheit in Mexiko, El Salvador und Honduras“, die das Ökumenische Büro für Frieden und Gerechtigkeit und die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko am 3. Dezember durchführten.