
Pestizidanwendung führt zu Rückständen in Lebensmitteln, denen vor allem im globalen Süden viele Menschen ausgesetzt sind. Belastete Ware aus dem außereuropäischen Ausland, wo weniger reguliert wird, landet als Import auch auf EU-Tellern.

Weltweit große Unterschiede bei Pestizid-Vorgaben
Die tägliche Aufnahme pestizidbelasteter Nahrungsmittel birgt Gesundheitsrisiken für alle Menschen, besonders gefährdet sind empfindliche Personengruppen wie Schwangere und Kinder. Daher sind fast überall auf der Welt Rückstandshöchstmengen für Pestizide in Lebensmitteln festgelegt. Die Vereinten Nationen geben seit 1963 den Codex Alimentarius heraus, eine Sammlung von Normen für Lebensmittelsicherheit und Produktqualität – die darin enthaltenen Rückstandshöchstmengen für Pestizide gelten international als eine wichtige Referenz. Allerdings gibt es je nach Land und Region große Unterschiede, welche Belastungsmengen den Menschen zugemutet werden.
Pestizid-Hersteller umgehen EU-Vorgaben
Für jeden in der EU genehmigten Pestizid-Wirkstoff wird festgelegt, wie hoch sein möglicher Rückstand in den verschiedenen Lebensmitteln maximal sein darf. Überschreiten Waren diesen Wert, dürfen sie nicht gehandelt werden. Für die Festsetzung dieser Rückstandshöchstmengengehalte (RHMG) werden neben der Anbaupraxis die Giftigkeit der Wirkstoffe und die Verzehrmengen für die unterschiedlichen Lebensmittel berücksichtigt. Nahrung für Babys muss wegen deren besonderer Empfindlichkeit strengere Vorgaben erfüllen. In der EU werden Lebensmittel jährlich anhand von Stichproben kontrolliert und die Ergebnisse in Berichten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) veröffentlicht. 2019 überschritten 3,9 Prozent der Lebensmittel aus der EU die erlaubten maximalen Rückstandshöchstgehalte. Insgesamt war die Hälfte der Lebensmittel auf dem EU-Markt frei von Pestizidbelastungen, 27 Prozent der untersuchten Nahrungsmittel enthielten Mehrfachrückstände. Besonders häufig wurden Mehrfachrückstände in frischen Produkten wie Johannisbeeren, Süßkirschen, Grapefruits, Rucola und Tafeltrauben festgestellt. Trauriger Spitzenreiter war eine Probe Rosinen mit Rückständen von 28 verschiedenen Pestiziden. Gesundheitsfachleute kritisieren, dass es keinen Summen-Rückstandshöchstgehalt für Mehrfachbelastungen von Pestiziden in Lebensmittel gibt. Ein weiterer Punkt: Verlieren Wirkstoffe beispielsweise wegen einer Einstufung als krebserregend ihre EU-Genehmigung, wird der maximale Rückstandshöchstgehalt automatisch heruntergesetzt auf in der Regel 0,01 Miligramm pro Kilogramm, um die Gesundheit der Menschen zu schützen. Diesen Wert müssen dann auch Importwaren einhalten. Pestizidherstellern bringt es einen Vorteil, wenn sie einer zu erwartenden Einstufung ihres Wirkstoffs als gesundheitsgefährlich entgehen, indem sie die Genehmigung in der EU einfach auslaufen lassen. So können sie „Importtoleranzen“ beantragen: eine Hochsetzung der Rückstandshöchstmengen. Pestizide, die ihre Genehmigung explizit aus Gesundheitsgründen verloren haben, wird das nach EU-Recht grundsätzlich nicht gewährt.
Importe aus Nicht-EU-Staaten oft hoch belastet
In der EU gelten oft strengere Vorgaben als in Nicht-EU-Ländern. In Japan dürfen Mandeln beispielsweise mit einem Milligramm pro Kilogramm und somit um das Zehnfache stärker mit Glyphosat belastet sein als in der EU. Bei Tomaten erlaubt Japan mit 2 Mikrogramm Imidacloprid pro Kilogramm das Vierfache des derzeit in der EU erlaubten Rückstandswertes. In der östlichen Mittelmeerregion, einem Gebiet, in dem fast 679 Millionen Menschen leben und Länder vom Mittleren Osten bis Zentralasien umschließt, wurden in den letzten rund 15 Jahren internationale Rückstandshöchstgehalte in bis zu 61 Prozent der Lebensmittelproben überschritten und immer wieder Rückstände von global längst verbotenen Pestiziden nachgewiesen.
Brasilien bürdet seiner Bevölkerung Rückstandshöchstgehalte in Lebensmitteln auf, die zum Teil doppelt oder dreifach, in einigen Fällen auch hundertfach über den maximalen Rückstandswerten der EU liegen. 2019 überschritten dem offiziellem brasilianischen Rückstandsbericht zufolge 23 Prozent der Proben sogar die ohnehin schon hohen brasilianischen Rückstandshöchstgehalte. Auch Wirkstoffe, die in der EU verboten, aber in Brasilien erlaubt sind, wurden als Rückstände in brasilianischem Getreide, Obst und Gemüse nachgewiesen. Über den Export gelangen Lebensmittel mit diesen Rückständen auch in andere Länder. Russland erwog 2019 wegen hoher Glyphosatrückstände, die Einfuhr von brasilianischen Sojabohnen auszusetzen.
In Tomaten und Grünkohlproben aus drei verschiedenen Gegenden in Kenia wurden 2020 insgesamt 25 verschiedene Pestizid-Wirkstoffe gefunden, von denen 51 Prozent in Europa längst vom Markt genommen wurden. Maximal wurden zehn verschiedene Wirkstoffe in einer Tomatenprobe gefunden. Von den insgesamt 25 Proben überschritten 60 Prozent die erlaubten maximalen Rückstandshöchstgehalte. Besorgniserregend ist hierbei, dass diese beiden Gemüsesorten zu den Grundnahrungsmitteln der kenianischen Bevölkerung zählen. Auch Tomatenproben aus Nigeria wiesen erhöhte Rückstandsmengen auf, unter anderem von Permethrin. Dieses Insektizid wird von der amerikanischen Umweltbehörde (EPA) als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Bohnen aus Nigeria weisen regelmäßig zu hohe Belastungen auf, sodass ein Exportverbot von Seiten der EU erhoben wurde.