Wahlen in den USA: Kompliziert und kostspielig

Analyse

In weniger als einem Monat sind die amerikanischen Zwischenwahlen. Aber was ist eine Zwischenwahl, und wie funktionieren amerikanische Wahlen überhaupt?

Plakate, die zum Wählen aufrufen
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Die amerikanischen Wahlen gehören zu den teuersten der Welt.

In den Vereinigten Staaten finden alle zwei Jahre Bundeswahlen statt. Alle vier Jahre wählt das Land seinen Präsidenten; dazwischen finden die sogenannten „Midterm“-Wahlen statt die Zwischenwahl. Wie die Halbzeit bei einem Sportevent spielen die Zwischenwahlen eine wichtige Rolle in der amerikanischen Politik. Oft gelten Sie als Votum über die Partei, die gerade die Präsidentschaft stellt. Ihr Ausgang kann die Regierungsfähigkeit des Präsidenten radikal verändern. Hier ein Einblick in die Funktionsweise des komplizierten Wahlsystems der Vereinigten Staaten.

Die Macht liegt bei den Bundesstaaten

Alle Wahlen in den Vereinigten Staaten werden auf Ebene der Bundesstaaten abgehalten. Somit entscheiden die Regierungen der Bundesstaaten, wie Wähler*innen registriert werden, wo und wann sie wählen und wann die Vorwahlen stattfinden. Die allgemeinen Bundestagswahlen fallen immer auf den Dienstag nach dem ersten Montag im November.

Die Bundesstaaten legen auch jeweils ihre eigenen Wahlregeln fest. Daher gestalten sich die Wahlen in den verschiedenen Landesteilen sehr unterschiedlich. In allen Bundesstaaten mit Ausnahme von Louisiana finden vor den allgemeinen Wahlen sogenannte Vorwahlen statt, bei denen bestimmt wird, welche Kandidat*innen auf dem Wahlzettel stehen werden. Die Staaten bestimmen, wie viele Wahllokale es gibt, ob Wähler*innen vorzeitig wählen dürfen (an Tagen, an denen ihre Arbeitszeiten günstiger liegen), und ob sie Briefwahl zulassen. In allen Staaten außer North Dakota müssen sich die Wähler*innen vor der Stimmabgabe registrieren lassen. In einigen Staaten kann das allerdings auch noch am Wahltag selbst geschehen. Einige Staaten, wie Oregon, machen das Wählen sehr einfach, indem sie die Wähler*innen automatisch registrieren und Stimmzettel an alle versenden. Andere Bundesstaaten hingegen, oftmals Südstaaten mit einer langen Geschichte der Wählerunterdrückung, erschweren die Stimmabgabe, indem sie mehrere Arten amtlicher Ausweise für die Registrierung verlangen und nur eine begrenzte Anzahl an Wahllokalen zulassen.

Staatliche und lokale Regierungen bestimmen außerdem auch die Abstimmungsmethode. In den meisten Bundesstaaten gilt das Prinzip „first-past-the-post“, d. h. wer die meisten Stimmen auf sich vereinigt, gewinnt die Wahl (unabhängig davon, ob eine Mehrheit der Stimmen erzielt wurde). In einigen Staaten wird bei Bundes-, Bundesstaats- und Kommunalwahlen nach dem Ranglistenverfahren gewählt. Dabei ordnet die Wählerschaft die Kandidat*innen in einer Rangfolge nach ihren Präferenzen. Es gewinnt der*die Konsenskandidat*in. Die Art des Wahlsystems beeinflusst, ob sich eher Kandidat*innen aus der Mitte oder von den Rändern des politischen Spektrums durchsetzen können.

Angesichts dieses Flickenteppichs von Gesetzen müssen Wähler*innen, die von einem Bundesstaat in einen anderen umziehen, sich oft erst mit ganz neuen Wahlregeln vertraut machen.

Neueinteilung der Bezirke: Jedes Jahrzehnt eine neue Karte

Alle zehn Jahre wird in den Vereinigten Staaten eine Volkszählung durchgeführt, die dann als Grundlage für die Erstellung neuer Wahlbezirkskarten dient. Weil die letzte Volkszählung in den USA im Jahr 2020 stattfand, sind die anstehenden Zwischenwahlen die ersten Bundeswahlen mit den neuen Wahlbezirken. Einige etablierte Kandidat*innen werden nun also ganz neue Wählergruppen vertreten und müssen ihre neuen Bezirke im Zuge des Wahlkampfs erst kennenlernen. Diese neuen Bezirke gelten bis 2032, der ersten Zwischenwahl nach der Volkszählung 2030.

Wie die Wahlsysteme gestalten die Bundesstaaten auch die Neueinteilung der Wahlbezirke selbst. Bei der Erstellung neuer Karten müssen die Bundesstaaten darauf achten, dass die Bezirke zusammenhängend, kompakt und gleichmäßig besiedelt sind. In einigen Staaten werden dafür Kommissionen eingesetzt, doch in den meisten legt die Legislative die neuen Wahlbezirke fest. Und da die Parlamente der Bundesstaaten parteipolitische Gremien sind, neigen sie dazu, die Wahlbezirke so zu ziehen, dass sie der jeweils herrschenden politischen Partei Vor- oder Nachteile bringen. Diese weit verbreitete Praxis der parteipolitischen Neueinteilung der Wahlbezirke nennt man „Gerrymandering“. Infolgedessen steht der Ausgang der meisten Wahlen um das Repräsentantenhaus, wo alle zwei Jahre ein Sitz zur Wahl steht, schon so gut wie im Voraus fest. Das ist auch der Grund, warum die Kontrolle über den Kongress in einigen wenigen Wahlbezirken entschieden wird, den so genannten „Swing Districts“, wo die Wahl tatsächlich noch umkämpft ist. Bundesstaaten können Sitze im Repräsentantenhaus auch aufgrund von bei der Volkszählung ermittelten demographischen Entwicklungen einbüßen oder hinzugewinnen. So erhielt Texas in diesem Jahr zwei neue Sitze im Repräsentantenhaus, während New York einen verlor.

Auch deswegen sind Vorwahlen so bedeutsam. Bei den meisten Vorwahlen entscheiden die bei einer Partei registrierten Wähler*innen, wer die Partei bei den allgemeinen Wahlen vertreten wird. Da die meisten Wahlen zum Repräsentantenhaus und zu den Parlamenten der Bundesstaaten nicht weiter umkämpft sind, gelten diese Vorwahlen oft als ausschlaggebend.

Daher spielt die Neueinteilung der Wahlbezirke eine besonders wichtige Rolle für die Parteizusammensetzung der amerikanischen Legislative. Das Verfahren ist hoch umstritten. Ein Extrembeispiel ist Ohio, dessen Oberster Gerichtshof die neuen Wahlbezirkskarten wegen exzessiven Gerrymanderings gleich fünfmal verwarf. Die diesjährigen Wahlen werden nun in offiziell verfassungswidrigen Bezirken abgehalten.

Auswahl der Kandidat*innen: Vorwahlen

In den Vorwahlen werden die Kandidat*innen für die allgemeinen Wahlen ausgewählt. Dabei entscheidet sich dann, wer künftig die zur Wahl stehenden Ämter bekleiden wird. Die Vorwahlen finden einige Zeit vor den allgemeinen Wahlen im selben Jahr statt. Weil die Vorwahlen, wie auch die allgemeinen Wahlen, von der Regierung des Bundesstaates verwaltet werden, gelten dafür in den einzelnen Staaten und für die verschiedenen Parteien unterschiedliche Regeln. In einigen Bundesstaaten muss man sich bei der Anmeldung als Wähler*in einer bestimmten Partei identifizieren, um an den Vorwahlen dieser Partei teilnehmen zu können. Dies wird als „geschlossene Vorwahl“ bezeichnet. In anderen Bundesstaaten entscheiden die Wähler*innen am Wahltag, an welcher Vorwahl sie teilnehmen möchten. Diese häufigste Form wird als „offene Vorwahl“ bezeichnet.

Einige Staaten haben wiederum völlig andere Systeme. In Kalifornien treten alle Kandidat*innen aller Parteien in einer einzigen Vorwahl an. Die beiden Kandidat*innen mit den meisten Stimmen treten in den allgemeinen Wahlen an. Und in einigen Bundesstaaten wird es sogar noch komplizierter: Jede Partei stellt ihre eigenen Regeln für ihre Vorwahlen auf. In Oklahoma zum Beispiel erlaubt die Demokratische Partei des Bundesstaates allen registrierten Demokrat*innen sowie Personen ohne erklärte Parteizugehörigkeit, an ihren Vorwahlen teilzunehmen (halbgeschlossene Vorwahlen), während die Republikanische Partei nur registrierte Republikaner*innen an ihren Vorwahlen teilnehmen lässt (geschlossene Vorwahlen). Im Bundesstaat Louisiana gibt es wiederum gar keine Vorwahlen, sondern es wird nach der allgemeinen Wahl eine Stichwahl abgehalten, falls keiner der Kandidat*innen eine Mehrheit erringt.

In Präsidentschaftswahljahren liegen die Vorwahlen in den einzelnen Bundesstaaten zeitlich näher beieinander, um ihre Bedeutung zu maximieren. Bei Zwischenwahlen zum Kongress hingegen liegen die Vorwahlen sehr weit auseinander. Texas stimmte am 1. März als erster Bundesstaat ab, das Schlusslicht bildeten drei Staaten im Nordosten am 13. September. Die meisten Vorwahlen finden im späten Frühjahr und im Sommer statt.

Geld: Milliarden für den Wahlkampf

Der letzte wichtige strukturelle Faktor bei den Zwischenwahlen 2022 sind die Kosten einer Kandidatur. Die amerikanischen Wahlen gehören zu den teuersten der Welt. Eine Teilnahme an den Wahlen zum Repräsentantenhaus und zum Senat kostet Millionen von Dollar. Nach Angaben von Open Secrets, einer gemeinnützigen Forschungsgruppe, die Finanzen in amerikanischen Wahlen verfolgt, werden allein die Zwischenwahlen 2022 über 9,3 Milliarden Dollar kosten.

Woher kommt das Geld dafür und wer gibt es aus? Einzelpersonen, Unternehmen, Gewerkschaften und viele andere Gruppen spenden für Wahlkämpfe. Ein Teil davon geht direkt an die Kandidat*innen und ihre Kampagnen. Finanziert werden davon Wahlkampfveranstaltungen, Radio- und Fernsehwerbung und Personal. Wichtige Gelder kommen auch von den Parteien. Politische Analyst*innen achten genau darauf, wo die Parteien in der Endphase ihre Mittel einsetzen.

Große Summen kommen aber auch von externen Gruppen. Seit der bahnbrechenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von 2010, Citizens United gegen das FEC, können sogenannte Super PACs (Political Action Committees) unbegrenzte Summen für Kandidat*innen oder Themen annehmen und ausgeben, solange sie sich nicht direkt mit den von ihnen unterstützten Kampagnen abstimmen. Im Wesentlichen hat diese Gerichtsentscheidung zu einer parallelen Wahlkampfstruktur geführt, die riesige Geldbeträge in lokale Wahlkämpfe fließen lässt. Diese externen Gruppen haben bereits über 1 Milliarde Dollar ausgegeben, um die Wahlen im Jahr 2022 zu beeinflussen. Der Schwerpunkt liegt dabei oft auf dem Schalten von Wahlwerbung zur Unterstützung ihrer Kandidat*innen und Themen.

Das stark dezentralisierte und komplizierte Wahlverfahren in den USA verwirrt oft die Amerikaner*innen selbst. Fest steht nur: In der Wahlnacht am 8. November werden die Stimmen ausgezählt, und es wird ein neuer Kongress gewählt.