Milliardeninvestitionen in die Erschließung neuer Gasfelder in Europa oder etwa in Afrika sind ein Irrweg und senden die falschen Signale an viele Länder in der Welt. Stattdessen sollte die Bundesregierung gerade jetzt massiv ihre Investitionen in emissionsfreie Technologien erhöhen.
Deutschland und die EU stecken in einer Energiekrise ohne historisches Vorbild. Putin dreht uns den Gashahn ab, um uns zu zwingen, den russischen Überfall auf die Ukraine einfach hinzunehmen und unsere Solidarität mit der angegriffenen Ukraine einzustellen. Die hohen Gaspreise jagen aufgrund des aktuellen Strommarktdesigns auch die Strompreise in ungeahnte Höhen. Dass in Frankreich die Hälfte aller Atomreaktoren wegen technischen Problemen ausfällt, verschärft die Lage noch. So mancher fühlt sich jetzt bestätigt, dass Wind und Sonne dieses Land und seine Industrie nicht am Laufen halten können. Diese Auffassung ist aber eine gefährliche Verkürzung, denn der Fortbestand des Standorts Deutschland ist direkt davon abhängig, dass jetzt erst recht in Zukunftsenergien der emissionsfreien Industrie investiert wird.
Wir brauchen Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen
Die Sorge um die kurzfristige Verfügbarkeit von Gas und die hohen Energiepreise bereiten auch vielen Industriebetrieben in Deutschland schlaflose Nächte. Daher ist es ein großer Erfolg, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck es in den vergangenen Monaten geschafft hat, uns weitestgehend von russischem Gas unabhängig zu machen und die Speicher schon zu über 90% zu füllen. Dazu gehört auch der Anschluss von schwimmenden LNG-Terminals, die bereits in diesem Winter in Rekordzeit zur Gasversorgung beitragen. Entscheidend wird daneben jetzt die Reduktion der Nachfrage, da die Preissteigerungen maßgeblich darauf zurückzuführen sind, dass diese deutlich höher als das Angebot ist.
Die erfolgreichen Notmaßnahmen sollten daher nicht den Blick auf die ebenso dringliche Aufgabe verstellen: Die schnellstmögliche Transformation unserer Energieversorgung auf emissionsfreie Alternativen. Für unsere weltweite Glaubwürdigkeit und Vorbildrolle wird von entscheidender Bedeutung sein, ob dies in ebenso hoher Geschwindigkeit und Entschlossenheit gelingt. Eine Studie des Brüsseler Think Tanks Bruegel zeigt, dass die Versorgungsengpässe bei Gas nur wenige Jahre anhalten werden und spätestens ab 2027 europaweit eine Reduktion der fossilen Gasbezüge stattfinden wird. Alles andere wäre die Inkaufnahme einer massiven Verfehlung der Klimaziele.
Die in Teilen der Bundesregierung herrschende Vorstellung, dass nun Milliardensummen in die Erschließung neuer Gasfelder, etwa in Afrika, investiert werden könnten, steht in massivem Widerspruch zu dieser Tatsache. Gleiches gilt für den Abschluss von Gas-Lieferverträgen mit einer mehr als zehnjährigen Vertragsdauer, wie jüngst von Uniper getätigt. Solche Schritte wären nicht nur mit erheblichen wirtschaftlichen Risiken versehen, sie würden die verbindlichen Bekenntnisse zum nötigen Klimaschutz offen in Frage stellen und anderen Ländern der Welt signalisieren, dass eine Rückkehr zur fossilen Energieversorgung und damit auch -förderung eine denkbare Option sei. Dieses falsche Signal darf die Bundesregierung nicht geben.
Wir brauchen stattdessen eine klare Festlegung, dass die Deckung des kurzfristigen Gasbedarfs für die nächsten Jahre möglichst im Rahmen der Nutzung existierender Felder zu erreichen und auf einen Zeithorizont von maximal zehn Jahre auszulegen sind. Zudem muss verhindert werden, dass ein Aufkauf von fossilem Gas auf dem Weltmarkt nicht wiederum Entwicklungs- und Schwellenländer dazu zwingt, sich Russland als Lieferanten zuwenden zu müssen. Damit würden die geopolitischen Ziele Europas im Umgang mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands unmittelbar untergraben.
Wege in eine emissionsfreie Zukunft
Die Bundesregierung sollte ihre Investitionen in die Deckung kurzfristiger fossiler Energiebedarfe bereits jetzt mindestens eins zu eins mit ebenso hohen Investitionen in Industrie und Technologien der Emissionsfreiheit, wie etwa der Versorgung mit und Weiterverarbeitung von grünem Wasserstoff verbinden. Damit würde nicht nur die dringend nötige Transformation zur Klimaneutralität in Gang gesetzt, es käme auch mittelfristig durch eine Nachfragereduktion zu einer Preisentspannung bei den ersetzten fossilen Energieträgern. Dies würde, auch im privaten Verbrauch, einen wichtigen Entlastungsbeitrag leisten.
Die verstaatlichten Energieunternehmen Uniper und Gazprom Germania-Nachfolger SEFE sind nicht nur eine Auffanglösung: Sie müssen mit massiven Investitionen zu Vorreitern der Beschaffung und Verarbeitung grüner Wasserstoffderivate werden und die dafür nötigen Infrastrukturen aufbauen. Statt 20-jähriger Gaslieferverträge sollten sie 20-jährige Lieferverträge für grünen Ammoniak oder grünes Methanol abschließen und so – über staatlich garantierte Offtake-Agreements – einen Markthochlauf für deren Import nach Deutschland sicherstellen. Nur wenn wir jetzt eine diversifizierte Import-Infrastruktur für grüne Gase etablieren, hat der Industriestandort Deutschland eine Zukunft. Die dafür notwendigen Finanzmittel sind eine Investition in diese Zukunft, es braucht hierfür eine Aussetzung der Schuldenbremse.
Und auch in Partnerländern des Südens, insbesondere in Afrika aber auch Südeuropa und Lateinamerika, wo künftig große Mengen Erneuerbare Energien produziert werden, könnten mit deutschen Investitionen dortige Produktionsstätten für Ammoniak, Stickstoffdünger oder gar Eisenschwamm geschaffen werden, die den europäischen Markt unabhängig beliefern. Eine verstärkte Wertschöpfung vor Ort hätte Kostenvorteile und schafft dringend benötigte Arbeitsplätze für die junge Bevölkerung Afrikas. Gleichzeitig wird dadurch die Unabhängigkeit dieser Länder und der EU von Chinas Einfluss gestärkt. Ein Ziel, dass spätestens angesichts der Ereignisse dieses Jahres hohe Priorität haben sollte.