Mehr als eine Kriegswaffe: sexualisierte Gewalt in Kriegen und bewaffneten Konflikten

Kommentar

In fast allen Kriegen und bewaffneten Konflikten kommt es zu sexualisierter Gewalt. Dazu gehören Vergewaltigungen, sexuelle Versklavung oder auch Zwangsverheiratung. Politik und Medien greifen das Thema immer wieder anlassbezogen auf und verurteilen die Gewalt, wie gegenwärtig im Kontext des Ukrainekrieges. Doch ihre Darstellung greift zu kurz.

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Die Opfer sexualisierter Kriegsgewalt sind zu 97% weiblich.

„Es ist wichtig das Kontinuum von sexualisierter Gewalt in den Blick zu nehmen. Denn sexualisierte Gewalt und ihre Ursachen sind kein Kriegsphänomen… Für die Betroffenen bedeutet sexualisierte Gewalt eine schmerzvolle, demütigende und zerstörerische Erfahrung. Oftmals wird ihr Leid jedoch nur thematisiert, um es politisch und medial zu skandalisieren und zu instrumentalisieren.“

Sexualisierte Kriegsgewalt zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Sie passiert überall, jeden Tag auf der Welt. UN-Generalsekretär António Guterres listet in seinem Bericht vom April 2022 insgesamt 49 staatliche und nicht-staatliche Akteure, die gegenwärtig sexualisierte Kriegsgewalt ausüben.

Zu den Tätern zählen Angehörige von Militär, Polizei und bewaffnete Gruppen, aber auch Zivilpersonen. Die Opfer sind zu 97% weiblich. Aber auch queere Menschen, nicht-binäre und trans Personen sowie Jungen und Männer sind der Gewalt ausgesetzt. Aufgrund mangelnder Dokumentation existieren leider keine genauen Zahlen über das gesamte Ausmaß der Gewalt.

Sexualisierte Gewalt als Waffe

Wenn Politik und Medien sexualisierte Gewalt thematisieren, betonen sie häufig den kriegsstrategischen Aspekt. Tatsächlich kann die Gewalt strategisch funktionalisiert sein. Während des Bosnienkrieges beispielsweise wurden vorwiegend muslimische Frauen und Mädchen von serbischen und serbisch-kroatischen Milizen in Lagern eingesperrt, systematisch vergewaltigt und absichtlich geschwängert. Auch der sogenannte Islamische Staat hat unter seiner Terrorherrschaft gezielt Jesid:innen verschleppt und sexuell versklavt.

Sexualisierte Gewalt erfolgte in diesen Kontexten nachweislich organisiert, wurde als Kriegswaffe eingesetzt und war Teil der Kriegsstrategie. Die systematische Ausübung von sexualisierter Gewalt dient dazu, die „gegnerische“ Bevölkerungsgruppe zu terrorisieren, zu demoralisieren, zu vertreiben und zu zerstören.

Oftmals ist es jedoch juristisch schwierig, die dahinterstehende Systematik nachzuweisen. Konkrete Befehlsanordnungen zur Ausübung der Gewalt können oft nur schwer belegt werden. Das ist auch ein Grund, warum sich die Strafverfolgung der Täter so schwierig gestaltet.

Häufig ist kein Befehl „nötig“

Doch auch außerhalb der unmittelbaren Kampfhandlungen nehmen sexualisierte und andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt in bewaffneten Konflikten stark zu. Die öffentliche Sicherheit ist eingeschränkt, weil Polizei und Armee ins Kriegsgeschehen eingebunden sind und diese nicht mehr gewährleisten können. Außerdem können Angst, Unsicherheit und der allgegenwärtigen Kriegsgewalt auch in der Gesellschaft und in Familien Spannungen erhöhen und vorhandene Gewaltdynamiken verstärken. So ist in bewaffneten Konflikten ebenfalls ein Anstieg von häuslicher Gewalt, Menschenhandel oder sexualisierter Gewalt auch innerhalb der eigenen Bevölkerungsgruppe zu verzeichnen. Übergriffe werden jedoch nicht ausreichend verfolgt und bestraft und Anlaufstellen für gewaltbetroffene Frauen müssen schließen.

Um Überlebende von sexualisierter Kriegsgewalt angemessen zu unterstützen, darf der öffentliche Diskurs zu Gewalt gegen Frauen während bewaffneter Konflikte nicht allein auf den kriegsstrategischen Aspekt beschränkt werden. Eine solche verengte Sichtweise verkennt die strukturellen Ursachen sexualisierter Gewalt und verhindert effektive und nachhaltige Gegenmaßnahmen. 

Es ist wichtig das Kontinuum von sexualisierter Gewalt in den Blick zu nehmen. Denn sexualisierte Gewalt und ihre Ursachen sind kein Kriegsphänomen. Diese sind tief in unseren patriarchalen Gesellschaften verwurzelt, in der strukturellen Diskriminierung und dem Machtgefälle, die schon zu Friedenszeiten die Beziehung zwischen den Geschlechtern bestimmen.

Langfristige Unterstützung statt Aufschrei

Für die Betroffenen bedeutet sexualisierte Gewalt eine schmerzvolle, demütigende und zerstörerische Erfahrung. Oftmals wird ihr Leid jedoch nur thematisiert, um es politisch und medial zu skandalisieren und zu instrumentalisieren.

Exemplarisch konnten wir dies im Bosnienkrieg sehen. So sorgten die Massenvergewaltigungen von muslimischen Frauen und Mädchen kurzfristig für internationale Empörung. Der internationale Aufschrei führte jedoch nicht dazu, dass Frauen an den Friedensverhandlungen von Dayton beteiligt oder die Rechte von Überlebenden im Friedensabkommen erwähnt wurden. Vielmehr wurden die Betroffenen mit den Folgen der Gewalt allein gelassen. Sie wurden gesellschaftlich stigmatisiert und ausgegrenzt. Noch heute leiden viele unter den Langzeitfolgen.

Auch in anderen Kriegen zeichnen sich ähnliche Muster ab. Umso wichtiger ist es deswegen, dass es langfristige Aufmerksamkeit für das erlebte Unrecht und dauerhafte Unterstützung für Überlebende gibt.