Aus Schilfhalmen werden Reetdächer, aus Grasfasern werden Möbel: Paludikultur vereint Moorschutz und Landwirtschaft. Damit diese nachhaltige Form der Nutzung nasser Moore eine Chance hat, braucht es jedoch stärkere Unterstützung durch die Politik.
Viele Moore wurden ursprünglich trockengelegt, um Viehweiden zu gewinnen oder Torf abbauen zu können. Werden diese Flächen nun wiedervernässt, bedeutet das jedoch nicht, dass sie plötzlich brachliegen. Die land- und forstwirtschaftliche Nutzung von nassen und vernässten Mooren nennt man Paludikultur. Entwickelt wurde dieses Konzept vor über 20 Jahren – der Name leitet sich von Palus ab, dem lateinischen Wort für Sumpf. Während die Entwässerung dazu dient, die Moorflächen einer bestimmten Bewirtschaftung zu unterwerfen, ermöglicht Paludikultur eine Nutzung, die sich an natürlichen Bedingungen orientiert. Bodendegradierung kann dadurch gestoppt und die Emission von Treibhausgasen reduziert werden. Die Idee: Möglichst ganzjährig hohe Wasserstände im Moor sollen für einen vollständig nassen Torfkörper sorgen, der dadurch erhalten bleibt.
Typische Paludikultur-Pflanzen sind jene, die mit dieser Nässe gut umgehen können und deren oberirdische Biomasse sich wirtschaftlich nutzen lässt: Schilf, Torfmoose, Rohrkolben, Erle, Seggen und andere Gräser. Im Vordergrund von Paludikultur steht nicht die Herstellung von Lebensmitteln, sondern von nachwachsenden Rohstoffen, die zum Beispiel als Baustoffe, Dämmstoffe oder Werkstoffe verwendet werden. Auch Papier, Pappe, andere Verpackungen und biobasierte Grundchemikalien zur Herstellung von Arzneimitteln lassen sich durch Paludikultur gewinnen, genauso wie Kunstharze und Biokunststoffe. Durch Torfmoose, Rohrkolben oder Schilf werden alternative Substratausgangsstoffe erzeugt, die torffreies Gärtnern ermöglichen. Und auch Energie wird durch Paludikultur gewonnen: In lokalen Heizwerken verfeuertes Heu von Nasswiesen sorgt für Wärme, die zahlreiche Haushalte versorgen kann.
Durch die Anpassung an den besonderen Lebensraum haben viele Feuchtgebietspflanzen spezifische Eigenschaften entwickelt, die sich gezielt nutzen lassen. Torfmoose zum Beispiel wirken wie ein Schwamm, weshalb sie sich als Torfersatz für Pflanzenerde eignen – ein Kilogramm Torfmoos kann dabei bis zu 30 Liter Wasser speichern. Rohrkolben besitzen ein luftführendes Gewebe in den Blättern, wodurch sie Luft in die Pflanzenteile unter Wasser transportieren können. Dieses Gewebe macht die Pflanze sehr stabil, sodass Rohrkolben ein vielversprechender Rohstoff für die Verarbeitung zu Baustoffen und Dämmstoffen sind. Schilf wiederum lagert Silizium in einer hohen Konzentration ein. Dadurch ist die Pflanze wasserresistent, schwer entflammbar, resistent gegen Pilze – und damit gut geeignet als Baustoff für Schilfdächer oder zur Dämmung von Wänden.
Für Landwirtinnen und Landwirte ist der Systemwechsel von einer entwässerungsbasierten Nutzung der Moorflächen zu Paludikultur eine enorme Herausforderung: Neue Pflanzenbestände müssen angelegt, Wasserstände angehoben und neue Maschinen angeschafft werden. Häufig sind dafür Baumaßnahmen notwendig, die Planung und Genehmigungen voraussetzen. Um auf dem nassen Moorboden überhaupt wirtschaften zu können, braucht es Raupenfahrzeuge mit geringem Bodendruck. Und weil das Erntegut nicht mehr wie bisher zum Beispiel als Futter für Milchkühe genutzt werden kann, müssen neue Verwertungsmöglichkeiten und Vertriebswege geschaffen werden. Diese Mammutaufgabe können landwirtschaftliche Betriebe ohne politische Hilfestellung nur schwer stemmen.
Ob Einblasdämmung aus Rohrkolben oder Möbelbauplatten aus Grasfasern: viele Prototypen von Paludikultur-Produkten existieren bereits. Sie stellen eine ökologische Alternative zu Rohstoffen dar, die über lange Transportwege nach Europa importiert werden müssen. Allerdings sind bislang nur wenige Paludikultur-Produkte auf dem Markt verfügbar – es fehlen schlichtweg die Flächen, auf denen sie angebaut werden könnten. Dadurch ist nicht genug Rohstoff vorhanden, damit verarbeitende Unternehmen in neue Produktionswege investieren, die es bräuchte, um auf Paludikultur umzustellen. Fachleute fordern deshalb öffentliche Fördermittel entlang der gesamten Produktionskette. Auch Kooperationen zwischen landwirtschaftlichen Betrieben, verarbeitenden Unternehmen und Endprodukt-Vermarktern können den parallelen Aufbau von Flächen- und Verarbeitungskapazitäten ermöglichen. Bauvorhaben der öffentlichen Hand könnten Vorbildwirkung erzeugen, indem klimafreundliche Baustoffe aus Paludikultur bevorzugt verwendet werden. Denn Produkte aus Paludikultur erzielen eine mehrfache positive Klimawirkung: Durch die Wiedervernässung werden Treibhausgasemissionen aus dem Moorboden reduziert und fossile Rohstoffe und energie-intensive Produkte ersetzt. Eine stärkere Honorierung durch Produktlabel, Subventionen oder Flächenprämien dürfte vielen Betrieben den Anstoß geben, auf zukunftsfähige Paludikultur umzustellen.